Warum verwechseln so viele leute Wie und ALS?

4 Antworten

Eine echte Antwort auf Deine Frage erwartest Du wohl nicht. Stattdessen schauen wir uns lieber den historischen Hintergrund an. Da ich zufälligerweise was von Verben verstehe, beschränke ich mich auf Dein Beispiel tun.

Um zu verstehen, warum tun so komisch tut, müssen wir erst einmal verstehen, wie sich regelmäßige Verben verhalten. Als Beispielwort nehme ich lesen, das ist beson­ders einfach, weil l und s sich über die Zeiten zufällig nie geändert haben.

Die älteste Vorläufersprache des Deutschen, die wir (wenn auch nur rekonstruiert) ken­nen, ist das Indogermanische, das vor ca. 5000 Jahren in der Schwarzmeer­region ge­sprochen wurde. Die Wurzel hieß damals gleich, les-, und sie hatte dieselbe Form wie jede andere Verbalwurzel, nämlich im Zentrum ein e und davor und da­nach min­de­stens einen Konsonanten. Im Urgermanischen (vor gut zweitausend Jah­ren) kam sie un­ver­än­dert als les- an, und der Infinitiv hieß dann lesaną. Du siehst, daß die In­fini­tiv­en­dung -aną war und (wie jede andere Endung) mit einem Vokal be­gann. Im Alt­hoch­deut­schen hieß es lesan, und seit dem Mittelhochdeutschen lesen, weil sich da­mals al­le un­beton­ten Vokale zu e abschwächten.

Das ist die normale Entwicklung eines Verbs. Nun gab es aber im Indogermanischen eine Gruppe von drei Lauten, die sogenannten Laryngale h₁,h₂,h₃, die in den Folge­sprachen ausfielen. Dadurch konnten nun Verbalwurzeln entstehen, die auf Vokal endeten, und das gab in den meisten Tochtersprachen Probleme.

Die indogermanische Wurzel dʰeh₁- kam im Germanischen als dō- an, und da kann man jetzt keine Infinitivendung -aną anschließen, weil da zwei Vokale aneinder­stoßen würden. Also lautete der germanische Infinitiv verkürzt dōną, und diese Ver­kür­zung blieb immer eine Irregularität im System und verhinderte eine normale For­men­bil­dung: Im Althochdeutschen haben wir tuon, also eine zweisilbige Form mit einer ir­regu­lä­ren Endung (Infinitive von starken Verben enden auf -an, nicht -on), und im Neu­hoch­deut­schen wurde das einsilbig gemacht zu tun, was eigentlich noch verrückter ist.

Tun ist aber nicht das einzige Laryngalverb: Idg. steh₂- zu germanisch stāną (eben­falls eine verkürzte Form mit langem Wurzelvokal). Dieses Wort wurde bereits im Alt­hoch­deut­schen einsilbig (stān), und ist es eigentlich auch heute noch: Wir stehen spre­chen viele Leute [viːɐ̯ ʃteːn] aus. Ganz analog ist es mit idg. ǵʰeh₁-, das im Ger­ma­ni­schen zu gāną wurde und ebenfalls bereits im Althochdeutschen als gēn einsilbig war, und auch heute noch oft so gesprochen wird gehen [geːn].

Daß wir stehen und gehen heute zweisilbig schreiben, kommt aus einer wirren Quel­le: In der Entwicklung des Deutschen verschwand oft ein h, und das verlängerte den da­vor­ste­hen­den Vokal. Ein Beispiel ist idg. sekʷ-, das im Germanischen sehwaną er­gab, daraus ahd. sehan und mhd. sehen (alle mit kurzem e und gesprochenem h!). Im Neu­hoch­deut­schen verschwand das h aus der Sprache, wurde aber in der Schrift bei­be­hal­ten, um die neu entstandene Länge des e zu markieren. Allmählich entstand dar­aus die Idee, das h wäre ein „Längenzeichen“ für den Vokal, und man trans­ferier­te die­ses „stum­me h“ auch zu anderen Wörtern mit langem Vokal, die aber niemals ein h ver­loren hatten, und so entstanden die Schreibungen stehen und gehen.

Manche lassen sich von der Schreibung täuschen und sprechen diese Wörter dann zwei­silbig aus, z.B. [viːɐ̯ ˈʃteːən], was zwar historisch Unsinn ist, aber vom Duden als Stan­dard­aussprache fehlgeadelt wird.

Du siehst also: Die Sache ist nicht einfach. Historisch sollten alle drei Laryngal­verben einsilbig sein, aber durch eine orthographische Konvention (Dehnungs-h) tauch­te das Mißverständnis auf, stehen und gehen seien zweisilbig. Es ist ziemlich klar, daß man­che Leute das auf das letzte einsilbige verbleibende Verb tun über­tra­gen und es viel­leicht sogar als tuen oder tuhen schreiben wollen. Das ist offen­sicht­lich falsch, aber wenn wir es schon zweimal falsch sprechen, warum sollten wir den Fehler nicht we­nig­stens kon­sistent machen und auch auf den dritten Patienten anwenden?

Und es gibt eine weitere Komplikation: Dialekte. Die Norddeutschen sind erst in den letzten paar Jahrhunderten von Niederdeutsch auf Hochdeutsch umgestiegen und haben ihre Sprache nach der Schrift gelernt, und nicht nach der Sprachgeschichte. Wenn man ein h schreibt, dann spricht man es eben zweisilbig und sonst nicht, basta.

Aber die, die mit hochdeutschen Dialekten (bairisch, alemannisch) aufgewachsen sind, erben automatisch die Sprachgeschichte der letzten 1500 Jahre. Für die ist es selbst­verständlich, tun, stehen und gehen einsilbig auszusprechen, weil ihre Urgroß­eltern (und deren Urgroßeltern) es so gemacht haben und die Sprache eben über die Generationen weitergegeben wird. Klarerweise sie sind von dem h in zweien der drei Wörter verwirrt. Da sie ihren Lehrern gefallen wollen, schreiben sie dann vielleicht ein h auch dorthin, wo die Lehrer es unerfindlicherweise gar nicht haben wollen.

Kurzfassung: Die richtigen Schreibungen sind tun, gehen und stehen, aber keiner kann sagen, warum das so sein muß, und es hat weder eine innere Systematik, noch kor­re­spon­diert es für alle Sprecher zur gelebten Aussprache. Und daher ist es ver­ständ­lich, wenn Leute Fehler machen, denn Fuсkuр brееdѕ mοrе fuсkuр.

Woher ich das weiß:Hobby – Angelesenes Wissen über Sprach­geschich­te und Grammatik

Weil sie vielleicht an einer Lese-Rechtschreibschwäche leiden und ihnen niemand hilft! oder sie einfach unaufmerksam sind ohne ADHS oder irgendwas zu haben. Oder sie haben ADHS...

Ich gehöre vermutlich zu den ersten Problemkindern. Weiss oft ach nicht, wenn ich diese blonden Christinnen sehe, ob ich schreiben soll "Als ich sie sah ging mir mein Blümchen auf" oder "Wie ich sie sah ging mir mein Blümchen auf"

Ich hänge mich daran auf. Übrigens glaube ich habe nicht nur ich Probleme mit "dem" und "den".

Dann gibt es auch die Leute, die 'das' und 'dass' verwechseln oder 'heisst' statt 'heißt' schreiben.


Robin00125 
Fragesteller
 09.08.2019, 22:05

Ich gehe davon aus, das "heisst" auch ok ist, aufgrund der deutschen Rechtschreibreform.

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Ju202  09.08.2019, 23:11
@Robin00125

Das Wort "heißt" hat sich durch die Rechtschreibreform nicht verändert. Nur nach kurzen Vokalen wird "ss" statt "ß" geschrieben.

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Logindata  09.08.2019, 23:55
@Robin00125

Nur innerhalb der Schweiz ist das Doppel-S okay, weil die haben ihr ß abgeschafft- damals.

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tanztrainer1  11.08.2019, 04:49
@Ju202

In dem Fall hat es gar nichts damit zu tun, ob ein Vokal lang oder kurz gesprochen wird. Es gilt da eine andere Regel: Nach einem Diphthong (Doppelvokal) kommt normalerweise "ß".

ACHTUNG: es gibt auch Ausnahmen!

Beispiel: reisen vs reißen!

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Ju202  11.08.2019, 12:04
@tanztrainer1

Bei der Entscheidung ss oder ß kommt es immer darauf an, was davor steht. Nach einem kurzen Vokal kommt immer ss, nach einem langen Vokal oder Diphthong immer ß. Soweit ist die Sache klar geregelt, weil man sich zu 100 % nach der Aussprache richten kann.

Kompliziert wird die Sache nur dadurch, dass es noch die Möglichkeit gibt, ein einfaches s zu schreiben. Wenn der s-Laut stimmhaft ist, scheiden ss und ß automatisch aus. Für den Fall, dass er stimmlos ist, gibt es drei Möglichkeiten: s, ss und ß. Wenn in diesem Fall aber ein Vokal folgt, scheidet das einfache s aus.

Die Sache mit den s-Lauten könnte man auch einfacher regeln. Warten wir einfach die nächste Rechtschreibreform ab! Die kommt aber sicherlich erst in 100 Jahren.

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Das TUN nicht richtig geschrieben wird, ist schon hart, schau mal wie oft in den Fragen!

Sie haben es nicht gelernt, dass es bei genauso groß/klein „wie" heißt und bei Unterschieden im Vergleich dann „als"....


Grrahl  09.08.2019, 23:51

Aber was ist wenn Wie und Als am Anfang stehen?

Beispiel: "Als ich sie sah ging mir mein Blümchen auf" oder "Wie ich sie sah ging mir mein Blümchen auf"?

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Logindata  09.08.2019, 23:53
@Grrahl

Wie in Deinem Beispiel ist Umgangssprache, m.M. nach.

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