Warum Autist als Beleidigung?

10 Antworten

Um die Frage im Titel zu beantworten:

Dumme Leute denken gerne, dass Autist/Autistin zu sein etwas Negatives ist und benutzen es daher als Beleidigung. Selbiges gilt für das Wort "behindert"/"behindi". Jemanden damit beleidigen zu wollen ist eine Beleidigung für jeden Autisten/Behinderten. Es sagt ja quasi schon "deine Existenz ist schlecht/weniger wert!".

Oftmals wird "behindert"/"behindi"/"autistisch" ja auch gerne benutzt für Wörter wie "dumm". Aber wenn etwas oder jemand dumm ist, dann sage ich das auch so und wenn jemand behindert ist, in dem Sinne, dass er eine sichtbare oder unsichtbare Behinderung hat, dann sage ich das so.

Stelle dir mal vor, jemand würde z.B. das Wort "Jude" oder "Schwarzer" als Beleidigung verwenden. Die halbe Welt würde aufschreien und Leute würden left and right gecancelled werden - zurecht, wohlgemerkt! -, aber jeder Hinz und Kunz kann es sich erlauben, Wörter wie "Autist", "autistisch", "behindert", "behindi" oder "rewarded" mit t, statt mit w zu benutzen und wehe du sagst etwas dagegen. Dann kommen sie aus ihren Löchern geschossen wie Unkraut nur ohne jeglichen Nutzen und behaupten, es wäre nicht so schlimm, man dürfe doch wohl noch sagen, was man wolle. Diese Leute haben allen Ernstes eine emotionale Bindung zu einem Wort! Es ist so traurig. Und immer kommt irgendwo jemand daher, der sowas dämliches sagt wie "Ich bin Autist, du kriegst den r-word pass von mir" - Absolute bonkers!

So, jetzt lese ich den eigentlichen Text.

Also ich verstehe es nicht. Einige Leute aus meiner Klasse benutzen "Autist" einfach random als Beleidigung. Irgendjemand macht etwas, das eine andere Person irgendwie dumm/scheiße findet oder so. Oder was ein Zusammenhang auch immer. Jedenfalls kommt dann desöfteren "Du Autist" als Beleidigung auf. Meine Frage ist nicht, was Autismus ist. Ich weiß ziemlich gut was es ist, ich habe einen autistischen Bruder. Aber warum, wirklich warum benutzt man es als Beleidigung?

1. Nur weil du einen autistischen Bruder hast, heißt das noch lange nicht, dass du dich "ziemlich gut" mit Autismus auskennst. Mit dem Autismus deines Bruders vielleicht, ja, aber nicht mit Autismus im Allgemeinen. Wenn du dich damit extrem stark identifizieren kannst, besteht die Wahrscheinlichkeit, dass du selber neurodivers bist. Alles in einem ist es jedoch unmöglich für dich, in ein autistisches Gehirn reinzuschauen und die Welt so zu sehen, wie wir sie sehen, genauso wie es für mich, als Autistin, unmöglich ist, in ein neurotypisches Gehirn reinzuschauen. Es ist wichtig, diesen Unterschied zu machen.

2. Das liegt daran, dass sie von ihren Eltern nie gelernt haben, dass man sowas nicht sagt und dass ihnen nie erklärt wurde, weshalb genau man es nicht sagt, was das mit Leuten machen kann. Das ist nicht nur ein Problem in der Jugend, auch wenn es dann verstärkt auftreten mag. Es ist ein generationenübergreifendes Problem und dieser Fakt macht es so viel schwieriger, das zu lösen. Hier müssen Jahrzehnte (bzw. Jahrhunderte) an Ableismus entwirrt werden. Das ist keine Aufgabe, die man an einem Wochenende erledigt hat. Doch wenn niemand diesen Kindern/Jugendlichen beibringt, dass und weshalb man sowas nicht sagt, dann werden sie sehr wahrscheinlich im Erwachsenenalter damit weitermachen.

Deshalb funktioniert die - meiner Meinung nach auch den Ernst der Lage runterspielende - Argumentation, dass das ja nur Kinder/Jugendliche wären, auch nicht. Das macht es nicht weniger schlimm. Ganz im Gegenteil: Das macht es sogar noch schlimmer! Diese Kinder/Jugendlichen sind bereits 15/16 (wie ich deinem Kommentar unten entnehme) und verhalten sich wie 10-Jährige.

Ebenfalls gilt meiner Meinung nach auch das Argument von wegen, man "müsse sich eben ein dickeres Fell zulegen", nicht. Nein, es ist nicht meine/unsere Aufgabe, uns ein dickeres Fell zuzulegen, sondern es ist die Aufgaben von anderen, unsere Grenzen zu respektieren und so schnell wie möglich zu lernen, sich nicht wie egoistische, unempathische Menschen aufzuführen. Alles andere ist doch nichts als Victimblaming. Die Frau, die nach einer Nacht im Club vergewaltigt wurde, muss auch nicht lernen, sich nicht mehr so freizügig anzuziehen, keinen Alkohol mehr zu trinken, nicht mehr zu Flirten und/oder nicht mehr in den Club zu gehen. Der Vergewaltiger muss lernen, dass sein Handeln Konsequenzen hat und damit aufhören bzw. gar nicht erst anfangen.

Viel kannst du da leider nicht tun. Du kannst höchstens mit ihnen reden, doch besteht die Wahrscheinlichkeit, dass sie es runterspielen oder sie zuerst sagen, sie machen es nie wieder und eine Woche später hörst du sie wieder alle damit weitermachen, als wollten sie dich für dumm verkaufen.

Das Gespräch mit den Lehrern suchen könnte auch helfen, allerdings müssen deine Lehrer dich ernstnehmen und deine Mitschüler müssen deine Lehrer ernstnehmen. Ich hätte die Sorge, dass es nichts bringt und eh am nächsten Tag alles wieder vergessen ist. Versuchen kannst du es trotzdem!

Und eine andere Sache in dem Kontext, eine Person aus meiner Klasse ist letztens auf die grandiose Idee gekommen, sich auf seinem IPad ein Bild aus dem Internet von einem Schwerbehindertenausweis als Hintergrund einzustellen. Ich habe es schon öfters gesehen und letztens hat er mir dieses Bild auch noch ganz stolz gezeigt.
Also ihr müsst wissen, mein vorhin bereits erwähnter Bruder hat aufgrund seines Autismus einen Schwerbehindertenausweis.

Jap, hab auch einen.

Also ich denke mal nicht, dass er damit versucht, als "schwerbehindert"/"behindert" durchzugehen - würde ihm sowieso nicht gelingen -, aber unempathisch und idiotisch ist es allemale.

(...) Und ich finde einfach, ihr Verhalten ist absolut schrecklich und abwertend gegenüber Autisten und generell Behinderten.

Vollste Zustimmung meinerseits.

Was würdet ihr dazu sagen?

Ich wüsste gar nicht, was ich in solch einer Situation sagen sollte. Ich wäre einfach nur wütend, geschockt und irritiert. Ich würde sofort jeglichen Kontakt zu diesen Leuten abbrechen und nie wieder im selben Raum mit denen sein, aber leider ist das in der Schule keine realistische Option.

Ich meine, übertreibe ich mit der Situation aufgrund meiner persönlichen Verbindung oder was würdet ihr so sagen?

Du übertreibst kein bisschen, jeder andere Autist/Behinderte, der sich dagegen ausspricht, übertreibt kein bisschen. Es gibt natürlich auch Autisten/Behinderte, denen das total egal ist, jedoch finde ich es wichtig, dass man trotzdem nicht rumgeht und solche Wörter als "Beleidigung" rumwirft.

Weiß dein Bruder eigentlich davon? Geht er selber auf die gleiche Schule?

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Ich bin diagnostizierte Autistin (Keine Selbstdiagnose)👽
Inkognito-Nutzer   31.01.2024, 22:41

Danke für deine Antwort. Vor allem auch, dass du ja auch echt sehr ausführlich geantwortet hast.
Ich wollte mit meiner Formulierung, die du bei 1. aufgegriffen hast, nicht sagen, dass ich in ein autistisches Gehirn hineinschauen kann. Ich meinte nur, dass ich eindeutig weiß, was Autismus generell ist. Also so im Allgemeinen, falls du verstehst was ich meine. So im Gegensatz zu den Leuten in meiner Klasse.

Und nein, mein Bruder weiß nichts davon. Er geht nicht auf die gleiche Schule. Er ist mittlerweile auch schon 20, aber er war auch seit er 13/14 oder so war nie wirklich auf einer richtigen "normalen" Schule, sondern auf so einer Webschule. Wie auch immer, ihn würden diese Kommentare wohl kaum persönlich treffen. Er ist da ziemlich unempfindlich, was sowas angeht. Es bin halt einzig und allein ich, die das so hart trifft...

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Zitruseulchen  01.02.2024, 11:27
@Inkognito-Fragesteller

Bittesehr. Immer gerne.

Okay, verstehe. Autismus zeigt sich eben bei jedem anders (Nicht in unterschiedlichen Schweregraden, weil so funktioniert das Autismus-Spektrum ja nicht, aber du weißt sicherlich, was ich meine), deshalb ist es schwer zu sagen, dass man sich gut mit Autismus im Allgemeinen auskennt. Ich meine: Selbst Ärzte und generell Leute, die tagtäglich sehr viel mit uns Autisten zu tun haben, sagen viele Dinge über uns/Autismus, die inkorrekt sind.

So im Gegensatz zu den Leuten in meiner Klasse.

Gut, das glaube ich dir sofort.

Ja, ich hätte sowieso gesagt, dass du es ihm nicht hättest sagen sollen. Zwar hasse ich es persönlich, wenn man etwas vor mir verheimlicht, aber wenn man den Mist jeden Tag mehrmals irgendwo liest (oder in manchen Fällen sogar gesagt bekommt), dann kriegt man echt zu viel. Ich finde es gut, dass er sich das nicht so sehr zu Herzen nehmen lässt bzw. lassen würde. Hin und wieder wünschte ich mir echt, ich könnte genauso denken.

Ich kann verstehen, dass dich das trifft. Wie würdest du deine Mitschüler denn ansonsten einschätzen? Würdest du sagen, ihr versteht euch, was das angeht, ganz okay? Denkst du, sie würden die zuhören, wenn du sie darum bittest, das sein zu lassen? Du müsstest ja nicht sagen, dass dein Bruder Autist ist. Du könntest sagen, dass jemand aus deiner Verwandtschaft Autismus hat oder irgendwie so. Na ja, eventuell hast du Glück und du musst das alles nur noch für wenige Jahre mit anhören. Ich weiß nur, dass ich irgendwann platzen würde und dann würde ich womöglich sowas sagen wie "Oh je, Autist/Autismus als Beleidigung verwenden! How creative! Ich wusste gar nicht, dass ihr meine alleinige Existenz als etwas anseht, was man als Beleidigung verwenden kann. Ich fasse es nicht! Ich ertrage das nicht mehr!" und dann würde ich rausgehen ... und nie wieder kommen ... Oh man xD

Da bin ich immer wieder froh, dass ich meine Schulzeit längst hinter mir habe.

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Puh das ist wirklich schrecklich. Ich weiß zwar nicht wie alt ihr seid aber die anderen sind aufjedenfall sehr unreif. Autist sollte niemals eine Beleidigung sein sondern nur eine Diagnose leider verstehen das manche Menschen nicht und machen sich über Krankheiten lustig. Ich verstehe wenn du in den Situationen wo sowas passiert nichts sagst oder machst aber es wäre schade wenn es so weiter geht. Kannst du zu deiner Lehrerin gehen und mit ihr mal privat reden dass sie das vielleicht Behinderungen/Krankheiten als ein Unterrichtsthema nehmen könnte und ausdrücklich erklären sollte das diese Menschen genauso toll sind wie wir und wir sie akzeptieren sollten.

Inkognito-Nutzer   30.01.2024, 23:16

Ist eine 10. Klasse (-> 15/16 Jahre alt) auf einem Gymnasium.

Und danke für deine verständnisvolle und mitfühlende Antwort <3

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Ceces  30.01.2024, 23:25
@Inkognito-Fragesteller

Oh okay ich hätte eher an eine 7. Klasse gedacht. Das ist schon echt traurig in dem Alter noch so zu reden aber im Endeffekt kannst du nichts gegen machen und man kann nur hoffen dass diese Leute mal erwachsen werden und verstehen auf was es im Leben ankommt. Ich weiß dass du ein gutes Herz hast und bestimmt noch gutes in deinem Leben machen wirst. Lass dein Kopf nicht hängen wegen den Idioten. <3

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Inkognito-Nutzer   30.01.2024, 23:27
@Ceces

Ich danke dir :)
Du hast auch ein gutes Herz und bist ein guter Mensch und Freund! Ehrlich, du scheinst sehr sympathisch zu sein.

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Hi, also ich finde deren Verhalten völlig- hat mich nie gejuckt was jemand in kleinen Grüppchen so tuschelt!! :D

Es gibt Begriffe die in Gesellschaften auch erst etabliert werden müssen. "Bastard" ist das beste Beispiel das mir hier einfällt. Wenn andere meinen, Autist ist ne gute Beleidigung, dann meinen die das nur, weil es Erfolg hat. Es kommt eben drauf an, ob man sich geehrt oder beleidigt fühlt... oder ob man einen krass fiesen Konterspruch wie einen Hammer zurück in deren Gesicht wirft \°- °

unreif und respektlos, irgendeiner muss ja die Gaskammern und Krematorien in Auschwitz beladen haben. Und diese Leute gab es nicht nur damals.

Was würdet ihr dazu sagen? Ich meine, übertreibe ich mit der Situation aufgrund meiner persönlichen Verbindung oder was würdet ihr so sagen?

Teenager sind halt so, wir haben uns auch alles an den Kopf geworfen ohne Rücksicht auf Betroffene. Irgendwann haben wir aufgehört.