Waren die Diktaturen im 20. Jahrhundert kommunistisch?

6 Antworten

Das kommt darauf an, was man als kommunistisch definiert.

Marx zum Beispiel war erbitterter Kämpfer für die Pressefreiheit - und im der Praxis ein klarer Befürworter der Demokratie. Seine theoretischen Abhandlungen sind dagegen etwas zwiegespaltener. Und natürlich waren seine Konzepte eben kommunistischer Natur. Demokratie gehörte aber zum ursprünglichen Kommunismusgedanken.

China nennt sich heute auch Kommunismus. Dabei herrscht einerseits weder Pressefreiheit noch Demokratie, andererseits herrscht starker Kapitalistisch ("neuer Weg"). Das ist in vielen Punkten das Gegenteil des ursprünglichen Kommunismusgedankens.

Die ersten Staatenlenker großer kommunistischer Staaten (Lenin, Stalin, Mao) etablierten etwas in vielen Punkten anderes als das, was Marx oder Engels vorschwebte. Lenin sah manches als eine schwere Übergangszeit (Enteignungen etc.) um die Vision Wirklichkeit werden zu lassen. Stalin aber wollte nur eigene Macht und nutzte den Kommunismus als Vehikel. Und Mao war ein Fan von Stalin, bis es zum Bruch zwischen beiden kam.

Da die Visionen der ursprünglichen Idealisten, der Kommunismus der frühen Zeit und der heutige Kommunismus jeweils etwas völlig unterschiedliches darstellen ist der Begriff der Kommunismus selbst eher unbestimmt. Da nach allem was wir heute wissen Stalin jemand war, der keine kommunistischen Ideale verfolgte sondern nur Macht wollte, würde auch ich zumindest ihn nicht dazuzählen. Seine Beweggründe ähnelten weit mehr den faschistischen Diktatoren als Visionären für ein gerechteres Leben. Es waren also nicht (fehlgeleitete) Visionen sondern schlichter Wunsch nach Macht.

Kommunismus bezeichnet eine klassen- und staatenlose Gesellschaft. Ein kommunistischer Staat wäre also ein Widerspruch in sich. Staaten, in denen eine kommunistische Partei an der Macht ist, werden im Westen oft trotzdem so bezeichnet, obwohl es faktisch falsch ist (es wäre auch erstaunlich, wenn eine sachliche und unvoreingenommene Auseinandersetzung mit kommunistischen Ideen gefördert werden würde).

Die Sowjetunion und die anderen realsozialistischen Staaten bezeichneten sich selbst auch nicht als kommunistisch, sondern als sozialistisch. Im Verständnis Lenins, auf den sich sowohl die realsozialistischen Staaten als auch viele ihrer linken Kritiker berufen, ist der Sozialismus ein Übergangsstadium auf dem Weg zum Kommunismus, in dem die herrschende Klasse gestürzt wurde und die Produktion der direkten, demokratischen Kontrolle der arbeitenden Klassen untersteht.

Dass die arbeitenden Klassen die gesellschaftliche Kontrolle haben, wird auch als Diktatur des Proletariats bezeichnet, damit ist aber nicht gemeint, dass es keine Demokratie geben kann. Es geht vielmehr um einen Gegenentwurf zur Diktatur des Bürgertums in der kapitalistischen Gesellschaft. Auch in kapitalistischen Staaten mit einer mehr oder weniger demokratischen Verfassung werden die Entscheidungen in z.B. wirtschaftlichen Fragen weiterhin vom nicht demokratisch legitimierten Bürgertum gefällt und auch die Regierung beugt sich ihren Interessen und nicht dem Willen ihrer Wähler.

Im Sozialismus oder der Diktatur des Proletariats bestehen noch Relikte der kapitalistischen Gesellschaft, wie Klassenunterschiede, individualistisches Denken und bestimmte Organisationsformen. Die Aufgabe des sozialistischen Staats ist es, diese Relikte abzubauen und die Errungenschaften gegen die kapitalistische Konterrevolution zu verteidigen, bis zu dem Punkt, an dem Klassen überwunden sind und damit der Übergang zum Kommunismus möglich ist.

Wenn man die Sowjetunion und die anderen realsozialistischen Staaten, die sich an ihrem Vorbild orientierten, objektiv betrachtet, haben sie diese Anforderungen nicht erfüllt. Rätedemokratie und Kollektivierung von Produktions- und Hausarbeit wurden in der Sowjetunion nach wenigen Jahren zurückgenommen und anderswo gar nicht erst eingeführt; es herrschte eine elitäre Clique von Parteibürokraten; Unterdrückung der Bevölkerung, Nationalismus und Marktmechanismen kehrten wieder zurück. Auch wenn Tito, Mao und Hoxha früher oder später mit der Sowjetunion brachen, behielten sie dennoch ähnliche Machtsysteme.

Kommunistische und sozialistische Kritiker der Sowjetunion und der übrigen realsozialistischen Staaten, wie Trotzkisten, Räte- und Linkskommunisten bezeichnen sie deshalb nicht als sozialistisch, sondern als spezielle Ausprägung des Kapitalismus oder einen Zwischenzustand zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Ihnen geht es um die Untersuchung der Frage, welche konkreten Bedingungen zur Verzerrung der sozialistischen Idee durch den Stalinismus geführt haben, und wie echter Sozialismus verwirklicht werden kann.

Natürlich waren es kommunistische Regime. Daß Linke das vehement abstreiten, ist nun wirklich nicht verwunderlich.

Norjakeista  31.05.2023, 11:11

Zumindest, wenn man solche Sachen wie Definitionen oder historische Tatsachen ignoriert. Aber das kennt man so von dir ja...

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Den echten Kommunismus gibt und gab es nirgendwo. Die Vorstellung, dass der Mensch von Natur aus durch und durch gut wäre, ist eine Illusion. Soziales Verhalten, Fleiß und Gewissenhaftigkeit erlernt man erst im Verlaufe der Kindheit und Jugend. Es können auch nicht alle Menschen an der Spitze der Pyramide stehen. Die Natur hat alles schon gut und weise eingerichtet. Auch im Tierreich gibt es Ranghohe und Rangniedrige. Es gab mal einen Mann namens Alexander Dubcek, der vielleicht das Unmögliche möglich gemacht hätte. Aber die Sowjets konnten es schlichtweg nicht verknusen, dass ein Oberhaupt eines Sattelitenstaates wesentlich besser und klüger war als sie selbst. Fazit: Wenn alle derzeit bei uns im Bundestag vertretenen Parteien ihre besten Ideen mit in das Ganze einbringen, finde ich das besser als Frontalopposition und Ausgrenzung. Wir leben zwar nicht in einem gerechten Staat, sehr wohl aber in einem der gerechtesten der Welt. Mehr geht nicht.

JakobAT 
Fragesteller
 21.06.2023, 00:37

Wir leben schon lange nicht mehr so wie es die Natur für uns bestimmt hat. Zu sagen das der Kommunismus gegen die menschliche Natur ust, ist als würde man sagen die Weiterentwicklung des Menschen in der Menschheitsgeschichte wäre Quatsch.

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Niemandmann  21.06.2023, 00:56
@JakobAT

Diese Ansicht kann man natürlich vertreten. Dennoch habe ich eine andere Meinung.

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Da Kommunismus per Definition nicht diktatorisch sein kann, erledigt sich diese Frage.

Und es spricht niemand von "richtigem" Kommunismus oder "nicht richtigem" Kommunismus, es ist viel einfacher: Der Begriff hat eine Definition, und diese ist bei deinen Beispielen nicht erfüllt. Also nicht kommunistisch, so einfach ist das.

Am Schluss bleiben es klassische rechtsextreme Diktaturen. Auch wenn die Rechten das vehement abstreiten.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Habe mich wissenschaftlich damit auseinandergesetzt...