Violine, Viola, ChinCello, Oktavvioline?

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Hi

Interessantes Thema

Während Cello und Violine ihren ursprünglich gestimmten Saiten nach ein exaktes Verhältnis zur Größe des Resonanzkörpers aufweisen sollen, ist dies bei Bratschen wohl nicht der Fall.

Das steht auch auf der wikipedia, aber es ist... imho größtenteils einfach ein Geschwurbel.

Die Idee dass der Resonanzkörper in Wirklichkeit 3/2 so lang sein sollte ist schon mal falsch, das Cello ist ja auch nicht drei mal so lang wie die Violine und der Kontrabass erst recht nicht 6x so lang.

Dann bedenke einmal was das heruntergebrochen auf die Saiten der Viola bedeuten würde- 3 der 4 Saiten teilt die Viola mit der Violine, nur die c Saite erweitert den Tonumfang ins Tenorregister- ja die c Saite ist etwas herb aber die anderen drei- wenn die auf der Violine akzeptabel sind wie sollen sie inakzeptabel sein auf der Viola die ja doch etwas größer ist?

Es stimmt schon, der Korpus ist recht klein und die Mensur auch. Für die Mensur bedeutet dass etwas mehr Wärme, für den Korpus etwas weniger Unterstützung der tiefen Partialtöne der c-Saite. Die anderen drei Saiten sind sogar kälter als auf der Violine!

 Ich glaube dieses Missverhältnis bei der Bratsche heraus zu hören, da Spiel auf der tieferen Saite matter klingt und nicht so laut wie zumindest bei der Violine. Es stimmt nicht ganz hohlklingend mit, sondern wirkt gedämpft.

Ich weiß was du meinst. Nur das könnte auch Absicht sein und an anderen Designeigenheiten liegen. Es gibt ja auch relativ viel Varianz im Bratschenbau.

Trotzdem kommt es mir auch so vor als wäre die Bratsche eher so ein... nicht ganz so überzeugender Klang wie Violine und Cello. Es gibt so ne ähnliche Sache z.B. beim Saxophon- beim klassischen (!) Saxophon ist die Tenorlage irgendwie.... matt. Wie auch immer.

Aber das sind alles Kompromisse- vergrößert man die Mensur der Bratsche ist sie eben auch objektiv vom Fingersatz unangenehmer und wird strahlender, tenoraler und hervorstechender- eben nicht näher ans Cello rangerückt. Es gab ja viele Versuche immer wieder in die Richtung, aber trotzdem hat sich niemals nach ca. 1700-1730 mehr eine größere Standardbratsche durchgesetzt- das kleinere Instrument ist wohl der bessere Kompromiss in der Klassik mit 4 Stimmen und einen strahlenden Klang muss man nicht haben.

Hat jemand zufällig ein Bild von der eigentlich passenden Größe der Bratsche bezogen auf ihre Saiten? 

Wie gesagt das gibt es halt nicht. Es gibt keine eigentlich passende Größe. Es gibt und gab aber immer größere Bratschen. Ritterbratsche googeln.

Dann waren die allerfrühesten Bratschen im 16. Jahrhundert z.B. von Amati oft recht groß.

Dann gab es die drei verschiedenen Bratschen am französischen Hof unter Louis XIV/ Lully- die kleine Haute-contre, die Taille und die deutlich vergrößerte Quinte. Alle drei in cgd'a' nur halt tieferer Stimmton um die 390 400 Hertz. Die Quinte ist merklich lauter und schneidender.

Guck mal

(4) Quinte, Taille, Haute Contre episode 6/6 - YouTube

Na ja, da gibt es so Zwischenlösungen zwischen Bratsche und Cello. Das Violoncello da spalla bzw. Violoncello piccolo kennst du ja schon.

Frühe Bassi di viola da braccio in Italien waren teils wohl eben 'Tenorbratschen', die Basstimmen gehen nicht immer sehr tief runter und sind mit Gdae' oder Fcgd' händelbar, damit meine ich die Zeit um 1600. Zu dieser Zeit gab es keine Violoncelli und kaum Kontrabässe, sondern eher eben kleine Armbässe und große Standbässe, die aber deutlich länger und nur wenig tiefer als heutige Celli waren.

Die kleinen Armcelli die heute einen Boom haben gehen auf Instrumente zurück, die Bach benutzt hat- als höhere Bassinstrumente oder Soloinstrumente in tiefer Lage für Geiger. Stimmung Gdae' oder CGdae', relativ mild und leise.

Die viersaitigen CGda Spalla-Celli sind möglicherweise eher ein historisches Missverständnis (auch oder möglicherweise fast nur große Celli wurden da spalla gespielt), aber Sigiswald Kuijken benutzt sie um vom Bass aus zu leiten und darüber hinaus in la petite bande. Sie sind leiser und dumpfer als große Barockcelli und absolut benutzbar. Durch die kurze Mensur fehlen viele Obertöne und sie haben etwas blasinstrumentenartiges.

Alte Renaissance- bis Frühbarock-Tenorviolen da Braccio (Gdae') sehen so aus:

(4) viola tenor marco massera - YouTube

(4) Anaïs Chen improvises on the viola tenore upon "Io canterei d'amor" by Cipriano de Rore - YouTube

Diese sind ja von Tonumfang her ähnlich dem bachschen Violoncello piccolo, nur ohne C Saite. Und deutlich flacher in dem älteren zweiten Beispiel.

Da ich den Klang des Cellos fast zu tief empfinde, und den der Violine eindeutig zu hoch (beinahe schmerzhaft) kam Neugierde für die Bratsche auf.

Hierbei wäre auch interessant zu wissen wie du dich von deinen Zielen und deinen stilistischen Interessen einordnen würdest, denn das zeigt ja auch so ein bisschen wie speziell man werden kann.

Wenn dir alle Konventionen egal sind kannst du letztendlich eine normale bis sehr große Bratsche evtl. in Gdae' oder ein kleines Violoncello piccolo entweder in CGdae' oder Gdae' spielen- vielleicht ist das einfach für dich. Es ist ja nicht so als ob niemand dir so etwas bauen könnte- es gibt halt noch nicht so einen großen Markt und erst recht keinen so großen für günstige Instrumente. Historisch gab es diese Instrumente immer mal wieder. Sie machen auch total Sinn in vielen Musikrichtungen- aber halt nicht im modernen Orchester oder klassischen Streichquartett.

Und dazu: Wer bringt dir das als Hauptinstrument bei? Das spielt ja kaum jemand! Du musst ja mit irgendwas anfangen! Und das ist dann halt klassische Violine, Viola, Cello, Gambe oder Fiddle.

Nun habe ich aber auch davon gehört, dass die Violine einfach tiefer gestimmt werden kann. 

Ja, im Folk gibt es neuerdings gelegentlich Oktav-Fiddle. Das geht schon und klingt nicht mal verkehrt. Ist aber nicht sehr laut. Moderne Gdae' Bratsche als Oktavfiddle wäre sicher auch interessant, vielleicht sogar genau dein Instrument wer weiß.

(4) Octave Violin Strings - Thomastik Superflexible - YouTube

Aber würde sich nicht hier auch ein vollkommenes Missverhältnis zwischen Tonhöhe/ Saiten und Korpus ergeben? 

Klar- aber es geht halt noch. Wie gesagt, das ist alles eher so leicht unpraktisches Gerede.

Evtl. kennt ihr sogar ein Streichinstrument das zwischen Violine und Cello liegt, das ich noch nicht kenne.

Altgambe aber kennst du schon- Gamben sind scharf im Klang. Aber etwas weniger wenn man besonders kleine Mensur wählt- dann sind sie aber nicht sehr laut.

Dazu gibt es paar Sonderformen wie Streichgitarren (moderne) (5) Acoustic GuitarViol (bowed guitar) impromptu -

YouTube (5) Bowed guitar demo - from www.alanmillerguitars.co.uk - YouTube

Arpeggione- eigentlich nur von diesem einen Schubertstück bekannt:

(5) Arpeggione Sonata // Schubert // Flóra Fábri & Martin Jantzen - YouTube

und Baryton- das Baryton hat die gambentypische "Härte" und das kristalline und zerbrechliche aber wieder.

(5) 12 Cassations for 2 barytons and bass, no. 10, Largo - Franz Joseph Haydn - YouTube

Nyckelharpa ist nichts für dich, zu hell.

Nun aber ernsthafte Idee- Tarhu - eine extrem abgedunkelte Art nahöstliche Fidel. Muss man nicht so auf die Art spielen. Gibt es in verschiedenen Bauweisen. Ist aber die Erfindung eines einzigen Instrumentenbauers. Das ist ein oft sehr milder Ton. Hier eben wegen der kurzen Mensur ein Ton der dem Duduk nahe kommt.

(4) Ross Daly playing a new Nak Tarhu made by Mazdak Fereydooni - YouTube

Ich möchte hier nicht an den allgemeinen Streit zwischen Bratsche und Violine anschließen, da fallen immerzu dieselben Argumente. Es geht mehr um ein allgemeines Verständnis von Saitenlänge, Tonhöhe und Korpus.

Je länger die Saite bei gleicher Stimmung desto heller und knuspriger der Ton. Je kürzer desto mittenbetonter und leiser der Ton. Zu kleiner Korpus= zu leise, tiefe Partialtöne schlecht unterstützt = "matter" Klang in der Tiefe.

Wie sieht das dann bei Gitarren aus?

Genau so, aber zusätzlich noch werden Gitarren je dicker die Saiten im Vergleich zur Länge- also bei tiefen aber kleinen Instrumenten zunehmend- in sich disharmonischer und der Klang dadurch weniger klar. Es sind mehrere Arten von Gitarrenbässen im Gebrauch- Ukulelenbässe, Akustikbässe- die akustisch unspielbar leise sind wegen zu kleinem Korpus und elektronisch aufgeboostert werden müssen.

Akustikgitarren uä. mit tiefer Stimmung aber kurzen Saiten und kleinem Korpus sind ziemlich leise.

Instrumente mit kurzer Mensur im Vergleich zur Tonhöhe sind wegen der unklaren verstimmten Obertöne nicht geeignet für Akkordspiel- zum Beispiel Short scale Irish Tenor banjos- die Akkorde klingen nach unsauberem Lärm. Ebenso extrem kurze Akustikbässe.

Shortscale-E-Bässe (30 inch) sind im Gegensatz zu 34 inch long scale nicht für alle Stilrichtungen geeignet, da der Klang nicht drahtig sondern eher etwas dumpf ist.

Theoretisch können auch sehr hohe Töne auf dem Cello gespielt werden. Aber durch die Länge der Seiten hat er dennoch eine andere Qualität als derselbe Ton auf der Violine.

Ja, viel weicher.

Sorry, ist ganz schön viel geworden und ich hoffe, es versteht überhaupt jemand

Jo. Ich habe das selbe "Problem". Ich mag außerdem scheinbar wie du auch die dunkleren Streichinstrumente und die Mittellage.

Andererseits ist die Dunkelheit auch nicht bei jeder Musik super. Kennst du die G-Violone?

(4) Michal Bylina, Suite for violone in G - YouTube

Das ist für Barockmusik wahrscheinlich das vielseitigste (und nicht heutzutage in der historischen Aufführungspraxis, aber tatsächlich historisch auch meistbenutzte) Bassinstrument. Für Basso continuo. Sicher nicht für Solo.

Grobbeldopp  30.11.2022, 07:40

PS

Noch ein Wort:

Wenn man ein Saiteninstrument nur 1 Ton runterstimmt mildert man schon den Klang. Ich spiele z.B. auf der Mandoline fc'g'd'' das kann man auch auf der Violine machen und anderen Instrumenten.

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kornbrot 
Fragesteller
 01.12.2022, 13:01
@Grobbeldopp

Ich bin echt wahnsinnig gespannt auf die Antwort, bin gerade noch unterwegs und lese sie mir heute Abend durch. Ich bin echt aufgeregt haha

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telemann2000  04.12.2022, 08:37
@Grobbeldopp

Stimmt, auch einer der Gründe warum ich das Musizieren auf 442 oder 443 Hz nicht mag....

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kornbrot 
Fragesteller
 15.03.2023, 00:07

So, besser spät als nie! Ich wusste nicht die passenden Worte zu finden. Ich war von der Antwort und der darin liegenden Offenbarung sprachlos und bin es noch. Es hat mir definitiv geholfen, Orientierung und Gefühl zu finden.

Alle angesprochenen Instrumente sind super interessant. Ich hatte auch sogleich das passende gefunden, das mich anspricht. Tatsächlich muss es vom Klang, der Farbe und Tiefe nach, aber auch der Frische, ein Kontrabass sein. Wer's glaubt... Aber eben für Lieder in folgender Höhe. Wunderschön! Cello ist zu rau, zu flach. Viola sowieso. Geige insgesamt viel zu hoch. Aber ich habe auch gleich das Problem entdeckt...

Erstmal Nr. 1: https://www.youtube.com/watch?v=qeyvid4wmV4&list=RDMM&index=23

Es ist einfach nur perfekt.

Das Problem daran wird hier deutlich... https://www.youtube.com/watch?v=vEkmDMwstnE Die Töne liegen so weit auseinander! Was heißt Problem... Es braucht eben andere Stücke! Und einen noch größeren Virtuosen!

Das Cello tut es auch. Man könnte meinen, wir stehen wieder am Anfang. Nein, jetzt weiß ich auf was ich mich einlasse, eben nicht ein mathematisches Maß zu finden bzw. es zu erreichen, solange ein Mensch daran spielen können muss; sondern nach seiner Präferenz ein Instrument zu wählen mit seinen Eigenheiten.

Danke Ihr Lieben, danke für die wunderbaren Worte und die Hilfe! :)))

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Also dass eine Bratsche irgendwie "schlecht oder schlechter (matt, gedämpft)" klingt als eine Violine kann ich nicht nachvollziehen. Der Klang einer Bratsche kann übrigens zwischen eher wie eine Violine oder eher wie ein Cello variiert werden, je nachdem wo man genau den Steg platziert.

Das entsprechende tiefer Stimmen einer Violine kann man nicht empfehlen, die Saitenspannung würde zu gering, um einen guten Ton hervorbringen zu können, würde man andere Saiten aufziehen (dickere, anderes - schwereres - Material), so käme man auch nicht weiter, gegebenenfalls hielte es das Instrument statisch nicht aus. Geigen gibt es übrigens in verschiedenen Größen (Kindergeigen), und die werden alle gleich gestimmt.

Der Ton (die Frequenz) die eine Saite gibt, hängt vom spezifischen Gewicht des Materials, der Länge, des Durchmessers sowie der Spannung ab, doppelte Länge oder doppelter Durchmesser gäbe halbe Frequenz und umgekehrt, 4 fache Spannung doppelte Frequenz. Somit muss man sich bei der Wahl des Materials, der Abmessungen und Spannung einer Saite in gewissen günstigen Bereichen bewegen, sonst wird das nichts.

Die Dimensionen des Resonanzkörpers, auf den die Saiten einwirken, ist ein anderes Kapitel, natürlich haben sich im Laufe der Zeit bestimmte Standards entwickelt, welche die Größen der Instrumente dimensionieren. Aber da gibt es Möglichkeiten der Variation. Man sieht das beispielsweise beim Klavier: Ein großer Konzertflügel und ein kleines Pianino haben den gleichen Tonumfang, die Dimensionen der Saiten sind in der oberen Mittellage sehr ähnlich, erst in der unteren Mittellage und im Bass gibt es Unterschiede. Und ein gutes Pianino kann besser klingen als ein schlechter Flügel.

Ein vielschichtiges und kompliziertes Thema.

kornbrot 
Fragesteller
 27.11.2022, 00:54

Das ist eine sehr gute Antwort, vielen Dank. Dies erlaubt mir ein sehr gutes erstes Empfinden als Anfänger auf diesem Gebiet. Mich freut es zu hören, dass du meine oben genannte Meinung nicht teilst über das Klingen der Viola. Vielleicht ist doch bloß Einbildung, schließlich habe ich noch keine real vor mir gehört sondern beziehe meine Erfahrungen aus Videos und Interviews von Musikern.

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Evtl. kennt ihr sogar ein Streichinstrument das zwischen Violine und Cello liegt, das ich noch nicht kenne.

Ja, das Violoncello da spalla:

https://www.youtube.com/watch?v=XD4kNY34AoE

(Obwohl du das eigentlich schon in deiner Frage gekennzeichnet hast)

Aber auch die Diskant - oder Altgambe käme in Frage:

https://www.violworks.de/gamben/

kornbrot 
Fragesteller
 26.11.2022, 22:41

Die Gambe hört sich kratzig/piepsig an, aber hat seinen ganz eigenen Charakter und gibt es wohl in vielen Arten. Der Hinweis auf das Violoncello d.S. ist sehr hilfreich, dieses Instrument klingt wirklich sehr schön. Ich schaue es mir genau an. Vielen lieben Dank für deine Hilfe!!!!!!!! : ))))))) Ich habe gelesen, dass auch das Violoncello da Spalla an sich zu klein für ihre Saiten ist. Es klingt dennoch sehr schön. Die Saiten erklingen beim Spielen viel voller und reiner als bei der Viola. Die Viola hat einen rauchigen Ton, der mir durchaus sehr gefällt. Allerdings merkt man irgendwie, dass der Ton nicht richtig rüberkommt und in sich verstummt. Das zu wissen würde mich beim Erlernen des nicht ganz einfachen Instruments wohl stören. Anscheinend ist die Haltung beim Violoncello da Spalla auch gesünder/ natürlicher. Freut mich wirklich sehr. Ich hatte das damals auch irgendwo mal gesehen, aber nur kurz und seitdem nicht mehr gefunden gehabt. Ich erinnere mich dass es mit dem Kommentar verbunden war, es sei eine erdachte Spinnerei gewesen. Das sehe ich nicht so :)

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