Lebesgue-Integral, Riemann-Integral ....wo ist der Unterschied?

3 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Ich befürchte, eine Erklärung wirst du nicht verstehen, wenn dir das entsprechende Wissen auf diesem Gebiet fehlt und einige Begriffe fremd sind. Ich werde es aber trotzdem versuchen im groben zu beschreiben.

Der Hauptunterschied zwischen den beiden Integralansätzen besteht darin, dass das Lebesgue-Integral das Messbarkeitsprinzip als Hauptkriterium benutzt, wodurch mehr Funktionen sich integrieren lassen.

Wenn wir als Grundraum die Menge der reellen Zahlen (R) betrachten und darauf die Borelsche Sigma-Algebra definieren (das ist ein Mengensystem auf R, welches bestimmte Eigenschaften erfüllen soll) und diese noch vernünftig erweitern (frag lieber nicht wie), dann erhalten wir ein sehr riesiges System von Teilmengen auf R. Auf diesen wird dann auf eine bestimmte Weise eine Mengenfunktion definiert (die auch als äußeres Maß genannt wird), die jeder Teilmenge ein Maß zuordnet. Auf dem konstruierten Teilmengensystem wird diese Mengenfunktion als Lebesgue-Maß bezeichnet, und alle Teilmengen dieses Mengensystems erhalten den Namen "Lebesgue-meßbare-Mengen".

Es geht weiter: wir nennen eine Funktion Messbar, wenn sie einen bestimmten Zusammenhang zu diesen Lebesgue-meßbaren-Mengen hat. (ohne weitere Angabe). Eine Einfache Funktion ist eine Funktion, die messbar ist und höchstens endlich viele Werte annimmt. Zwar hat sie auf den ersten Blick die gleiche Darstellung als eine Treppenfunktion, aber es gibt weit mehr Funktionen, die einfach sind, als Treppenfunktionen. Der Unterschied liegt darin, dass eine einfache Funktion auf beliebigen Lebesgue-Mengen, während eine Treppenfunktion lediglich auf positiven Intervallen "unter sich" definiert ist. Jedes positive Intervall ist aufgrund der Konstruktion der Borelschen Sigma-Algebra eine Lebesgue-Menge, aber das System solcher Mengen enthält weit mehr, und sogar ganz viele und sehr komplexe Mengen, als nur solche Intervalle. Beispielsweise liegt auch die Menge der rationalen Zahlen (Q) auch in diesem System, Q ist also auch eine Lebesgue-messbare-Menge. Die schon in deiner vorigen Frage erwähnte Dirichlet-Funktion ist in Wirklichkeit eine einfache Funktion, aber keine Treppenfunktion. Sie ist deshalb einfach, weil sie nur 2 (also endlich) viele Werte annimmt und lediglich auf Q und R\Q, also auf zwei messbaren Mengen, definiert ist. Deshalb lässt sich diese Funktion nach dem Lebesgue-Maß integrieren, was aber nach dem Riemannschen Integralansatz unmöglich wäre, weil man für diese Funktion keine Treppenfunktionen konstruieren kann, deren Ober- und Untersummen für immer feinere Intervalle stimmen würden.

Nun, das Lebesgue-Integral für eine meßbare Funktion wird definiert als Limes der aufsteigenden Folge von Einfachen Funktionen, die diese Funktion von unten ausschöpfen. Der letzte Schritt kling sehr ähnlich zu dem der Konstruktion des Riemannschen Integrals, der eine Folge von Treppenfunktionen konvergieren lässt, aber, wie schon gesagt, da es weit viel mehr Einfache Funktionen existieren und Treppenfunktionen lediglich eine kleine Teilmenge dieser darstellen (jede Treppenfunktion ist auch eine Einfache Funktion, aber nicht umgekehrt), so lassen sich mit einfachen Funktionen weit mehr Funktionen approximieren, was man mit Treppenfunktionen sonst nicht erreicht hätte. In diesem Sinne stellt das Lebesgue-Integral eine Verallgemeinerung des Riemannschen Integrals auf der Menge der reellen Zahlen dar.

Pusteblume488 
Fragesteller
 14.10.2012, 13:46

Okay, ich habs jetzt einigermaßen verstanden. (Und bin für mich zu dem Schluss gekommen nie mehr eine Mathe GFS zu machen) Danke für die ausführliche Antwort.

0

Die einfachste mir bekannte Art, das Lebesgue-Integral auf R einzuführen (und zu verstehen) geht so (siehe z. B. Alan J. Weir, Lebesgue Integration and Measure, Cambridge 1973):

Man definiert zunächst die Nullmengen in R: Eine Menge reeller Zahlen heißt Nullmenge, wenn sie sich durch eine Folge von Intervallen mit beliebig kleiner Gesamtlänge überdecken lässt. Und man nennt eine Folge von Funktionen fast überall konvergent, wenn die Werte für die sie nicht konvergiert eine Nullmenge bilden.

Anschließend definiert man das L-Integral einer Funktion f wie folgt:

  1. Ist f eine Treppenfunktion, so ist das L-Integral von f die übliche "Rechtecksumme".
  2. Konvergiert eine Folge monoton steigender Treppenfunktionen fast überall gegen f, so ist das L-Integral von f der Grenzwert der Folge der L-Integrale.
  3. Ist f = g - h mit L-Integralen von g und h gemäß Punkt 2, so ist das L-Integral von f die Differenz der L-Integrale von g und h.

Die über einem Intervall R-integrierbaren Funktionen sind genau die dort fast überall stetigen. Die sind dort auch L-integierbar. Aber es gibt auch Funktionen, die über einem Intervall L-integrierbar sind obwohl ihre Unstetigkeitsstellen dort keine Nullmenge bilden.

Das Lebesgue-Integral lässt sich also ohne den Begriff der Messbarkeit einführen. Es genügt der einfachere Begriff der Nullmenge.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – LMU München, Dipl. Math., eigene Recherche

für alle praktischen Zwecke gibt es auch überhaupt keinen Unterschied

Es geht im Prinzip darum, wieviele Ausnahmen man beim Funktionsverlauf zulassen kann ohne dass das Integrieren schief geht: Die Riemann-Methode ist für die Praxis ok, aber Lebesgue hat eben gefunden dass man auch für einige theoretische Fälle das Integral sauber definieren kann, wo es mit Treppenfunktionen nicht klappt.

Diese Fälle, wo es einen Unterschied macht, sind solche, wo eine Funktion nicht nur in einzelnen Punkten "Ausreisser" hat, sondern wo es unendlich viele abweichende Funktionswerte gibt die aber trotzdem das Integral nicht "stören", weil eben auch unendlich viele Punkte eine "Nullmenge" sein können. Was das genau bedeutet, darum geht es beim Lebesgue-Integral.

Pusteblume488 
Fragesteller
 14.10.2012, 13:39

Okay danke :-)

0