John Locke - Komplexe Ideen?

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John Locke, An essay concerning humane understanding (1689/1690; „Ein Versuch über den menschlichen Verstand“) vertritt in der Erkenntnistheorie einen Empirismus.

Bei der Entstehung von Erkenntnissen sind nach seiner Auffassung grundlegend beteiligt:

  • Sinneseindrücke
  • Verarbeitung der bloßen Eindrücke durch eine aktive, Sinneseindrücke ordnende und bestimmte Vorstellungen erzeugende Fähigkeit, deren Wirksamkeit beobachtet werden kann

John Locke führt das Entstehen von Erkenntnissen auf Erfahrung zurück, nämlich auf Sinneswahrnehmung (äußere Erfahrung) und Wahrnehmung der Tätigkeiten/Operationen des Geistes/des Verstandes bei deren Verarbeitung (innere Erfahrung).

Äußere Erfahrung beruht auf Sinnesempfindung (sensation) und innere Erfahrung auf Selbstbeobachtung (reflection). Als Selbstbeobachtung (reflection) bezeichnet Locke nicht nur das Nachdenken über geistige Tätigkeiten/Tätigkeiten des Verstandes, sondern schon das bloße Bewußtsein von ihnen, und nicht nur die Wahrnehmung von Tätigkeiten, sondern auch die Wahrnehmung von Zuständen, die solche Tätigkeiten begleiten.

Idee/Vorstellung (idea) ist in seiner Theorie das, was Objekt/Gegenstand des Verstandes ist, wenn ein Mensch denkt. Dies kann jeder beliebige Bewußtseinsinhalt im Prozeß des Denkens sein.

Die grundlegenden Bestandteile des Erkennens seien einfache Vorstellungen (elementare Bausteine der Erfahrung), die einfache Abbilder von Eindrücken seien (der menschliche Verstand ist dabei nach Lockes Theorie passiv).

Zusammengesetzte Ideen/Vorstellungen (compound ideas) oder mit einem anderen Namen komplexe Ideen/Vorstellungen (complex ideas) bilde der Verstand durch Kombination einfacher Ideen/Vorstellungen zu zusammengesetzten Ideen/Vorstellungen oder von einfachen und komplexen Ideen/Vorstellungen zu noch komplexeren Ideen/Vorstellungen, ohne aber neue einfache Ideen/Vorstellungen hinzufügen zu können. Eine Bündelung einfacher Ideen/Vorstellungen geschieht. Auf der Stufe des Kombinierens setzt nach der vertretenen Erkenntnistheorie eine aktive Tätigkeit des Geistes/des Verstandes ein. Die zusammengesetzten/komplexen Ideen/Vorstellungen treten häufig in wiederkehrenden und beständigen Kombinationen auf, so daß sie mit Namen oder Wörtern benannt werden, deren Klang im Geist der Hörenden sofort eine entsprechende Idee/Vorstellung hervorruft.

Einteilung komplexer Ideen/Vorstellungen

a) Modi (modes): Ideen/Vorstellungen, die Zustände oder Eigenschaften anderer Ideen/Vorstellungen darstellen und nicht selbständig sind

  •  einfache Modi (simple modes): Variationen oder Kombinationen einer einzigen einfachen Idee
  • gemischte Modi (mixed modes): aus Ideen/Vorstellungen verschiedener Seinsbereiche gebildet

b) Substanzen (substances): Ideen/Vorstellungen über die Grundlagen der Dinge der Außenwelt, die diese als etwas Einheitliches erscheinen lassen

c) Relationen (relations): drücken ein Verhältnis verschiedener Ideen/Vorstellungen zueinander aus, indem sie vergleichend in Beziehung zueinander gesetzt werden, unter Gesichtspunkten der Übereinstimmung und Nichtübereinstimmung.

Vgl. zu der Dreiteilung (Modi, Substanzen, Relationen) vor allem John Locke, An essay concerning humane understanding. Book Two: Of ideas. Chapter 12: Of complex ideas § 3/John Locke. Versuch über den menschlichen Verstand. Zweites Buch: Über die Ideen. Kapitel XII: Über komplexe Ideen § 3)

Abstraktion (abstracting) wird von Locke als einziges Verfahren der Verallgemeinerung von einfachen Ideen/Vorstellungen behandelt. Sie fasse viele Vorstellungen/Ideen zusammen, gehe aber dabei schablonenhaft vor und lasse viele individuelle Bestimmtheiten weg (bei einer Abstraktion wird geistig/gedanklich von etwas abgesehen). Daher beurteilt Locke sie als unsicher.

Beispiele

einfache Modi: Abstand/Distanz (distance), Unendlichkeit/Unermeßlichkeit (immensity), Gestalt (figure), Ort (place), Dauer (duration), Zeit (time), Zahl (number), Bewegung (motion), Ausdehnung (expansion), Liebe (love), Hoffnung (hope), Furcht (fear), Neid (envy)

gemischte Modi: Schönheit (beauty), Diebstahl (theft), Pflicht/Verbindlichkeit (obligation), Trunkenheit (drunkenness), Lüge (lie), Ringen (wrestling), Fechten (fencing)

Substanzen: Mensch (man), Pferd (horse), Sonne (sun), Stein (stone), Gold (gold), Wasser (water), Eisen (iron), Diamant (diamond), Veilchen (violet), Apfel (apple), Brot (bread)

Relationen: Vater und Sohn (father and son), Ehemann und Ehefrau (husband and wife), Ursache und Wirkung (cause and effect), Freund (friend), Feind (enemy), älter (older), jünger (younger), gleich (like), ungleich (unlike)

Abstraktionen: das Weiße (whiteness), Sinneswesen (animal), Lebewesen (vivens), Körper (body), Ding (thing)

Bei Relationen werden Ideen/Vorstellungen in Beziehung zu anderen gesetzt. Wenn von zwei in Bezug zueinander gesetzten Dingen eines entfällt, erlischt die Relation, auch wenn das verbleibende Ding unverändert bleibt. Auch wenn jemand seine Körpergröße behält, ist er nicht ohne Bezug „größer“ oder „kleiner“. Auch wenn jemand sein Geburtsdatum behält, ist er nicht ohne Bezug „älter“ oder „jünger“.

John Locke, An essay concerning humane understanding. Book Two: Of ideas. Chapter 25: Of relation § 2/John Locke. Versuch über den menschlichen Verstand. Zweites Buch: Über die Ideen. Kapitel XXV: Über die Relation § 2 nennt unter anderem Vater und Sohn (father and son). Vater und Kind wäre insofern noch deutlicher, als Vater zu sein nur in Bezug auf ein Kind möglich ist, während bei einem Sohn daneben auch eine Tochter denkbar ist. Aber auch bei einem Vater-Sohn-Bezug ist die Idee/Vorstellung „Vater“ auf die Idee/Vorstellung „Sohn“ bezogen. Jemand ist nicht Vater eines Sohnes ohne den Bezug auf den Sohn.


asnfiebdj 
Beitragsersteller
 20.05.2019, 23:27

Wie kommt man denn auf die Relation Vater/Sohn?

Zunächst muss man ja auf auf die einfachen Ideen kommen, um dann die Relation als komplexe Idee herzustellen.Was soll man denn diese als einfache Idee wahrnehmen bei einem Sohn und einem Vater, um diese vergleichend in Beziehung zu setzen?

Albrecht  21.05.2019, 06:45
@asnfiebdj

Sachbezogen ist eine Wahrnehmung männlicher Merkmale und des Zeugens bzw. des Zusammenseins/intimen Miteinanders des Mannes mit einer Frau mit anschließender Geburt eines Kindes und Aufziehens eines männlichen Nachkommen möglich (wobei Idee/Vorstellungen wie Mann, Frau und Kind auch aus einfachen Ideen/Vorstellungen hergestellt werden müssen), sprachlich der Sprachgebrauch, der in Äußerungen gehört und gelesen wird.

asnfiebdj 
Beitragsersteller
 21.05.2019, 08:24
@Albrecht

Entsteht denn die Unterscheidung zwischen Mann&Sohn bereits in den einfachen Ideen oder muss erst verglichen werden zwischen den Person, also erst in den komplexen Ideen?

Wenn es in den einfachen Ideen entsteht, was für Eigenschaften haben diese beiden denn, die dann verglichen werden?

asnfiebdj 
Beitragsersteller
 21.05.2019, 14:08
@Albrecht

Was sind dann die einfachen Ideen von denen, weil die komplexen Ideen beruhen ja auf den einfachen Ideen. Bei der Relation kommt es ja zu einem Vergleich der beide Ideen.

Albrecht  21.05.2019, 16:27
@asnfiebdj

Die komplexen Ideen/Vorstellungen Mann und Sohn beruhen auf einer Vielzahl von einfachen Ideen/Vorstellungen, die kombiniert und vergleichend in Beziehung zueinander gesetzt werden, z. B. Sinneswahrnehmungen zu Merkmalen, aus denen auf das Geschlecht und das relative Alter geschlossen werden kann, und Beobachtungen von Dingen, die zusammengenommen Handlungen und Zustände ergeben, aus denen auf die Beziehung geschlossen werden kann.