Gedicht: Das Muster der Ehen?

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Ein außergewöhnliches Gedicht, wie ich finde, vor allem wegen der ernüchternden Pointe, die auf den ersten Blick mit Idealismus nichts zu tun hat. Denn dieser letzte Vers spielt vielleicht auf gewisse Schwächen der Geschlechter an: Frauen reden gewöhnlich zu viel, weswegen der Mann am besten taub ist; und Männer lassen sich optisch gerne gehen, weswegen die Frau möglichst blind sein sollte.

Intention: Indirekt werden die Geschlechter (typisch für die Aufklärung) belehrt, wie sie sich zu verhalten haben, damit die (bürgerliche) Ehe gelingt, in Wirklichkeit natürlich in nicht so extremer Form wie hier bei dieser provokanten und kunstvollen Übertreibung. Aber damit das neue Bürgertum sich gegenüber dem höheren Adel durchsetzen konnte, musste eben auch die private Ehe funktionieren (vgl. Adolf Freiherr von Knigge: Über den Umgang mit Frauen).

Stilmittel: Vers 6 fällt heraus, weil gleich mehrere Stilmittel ersichtlich sind:

"gleich still, wie die stillste Sommernacht":

"Stillste Sommernacht" ist eine Synästhesie: Akustik (still) und Optik (dunkel), ferner natürlich eine Alliteration und eine Steigerung(sform): still - stillste (Superlativ)

Die Synästhesie ist zugleich eine Metapher und Anspielung auf die am Ende erwähnten "idealen" Eigenschaften der Taubheit ("still") und Blindheit ("Nacht").

Im Prinzip empfindet der Leser diesen Vers 6 schon irgendwie als Paradoxon, da man eher Lebhaftigkeit in einer guten Ehe erwartet. Auch die nächsten beiden Verse muten irritierend an.

Dann werden sogar in steigernder Form Mängel erwähnt und darauf folgt die Auflösung dieses Scheinwiderspruchs: weitere Mängel, die die vorigen Mängel aufheben.....!

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Lehrkraft seit etlichen Jahren