Da gibt es verschiedene Punkte zu betrachten:
- In den alttestamentarischen Schriften, insbesondere bei Levitikus gibt es eine Passage, die Homosexualität als „Gräuel“ bezeichnet, das mit dem Tod bestraft werden müsse. Da bleibt zuerst die Frage, wie sich die Todesstrafe überhaupt mit dem 5. Gebot (in einigen Traditionen: dem 6. Gebot) vereinbaren lässt. Außerdem ist die Übersetzung dieser Passage schwierig. Die finnische Theologin Töyräänvuori hat zum Beispiel ausgearbeitet, dass es nicht um Sex zwischen zwei Männern gehe, sondern eigentlich eher ein Verbot von Patchwork-Beziehungen sei, damit bei einer Schwangerschaft klar ist, wessen Nachkomme das Kind ist.
- Auch bei Paulus gibt es eine Verurteilung von „Lustknaben“ und „Knabenschändern“. Dies wird dann womöglich – siehe auch den Kommentar von ProphetJESAJA weiter oben – nicht nur als Verbot von Kindesmissbrauch verstanden, sondern als pauschale Kritik an bestimmten homosexuellen Praktiken interpretiert. Ich finde allerdings nachvollziehbarer, dass es in erster Linie darum ging, Tempelprostitution zu verurteilen, die wohl in anderen Kulten üblich waren. Aber vielleicht war auch das schon eine Unterstellung.
- Schließlich gibt es eine grundsätzliche Position der historisch-kritischen Bibelforschung: Die biblischen Texte entstanden jeweils aus dem Verständnis der Menschen ihrer Zeit in ihrer jeweiligen Kultur. So ist für uns heute völlig klar, dass trotz anderslautender biblischen Genehmigungen es nicht okay ist, seine Frau und Kinder in die Schuldknechtschaft zu geben oder Kriegsgefangene zu töten. Da besteht auch eigentlich Konsens bei ziemlich allen Kirchen, bei der Frage der Homosexualität bestehen aber einzelne Kirchen und Gemeinden auf der strikten, wörtlichen Auslegung.
Du siehst also, es gibt gute Gründe, diese biblischen Passagen neu einzuordnen und mit dem zusätzlichen Wissen über Homosexualität, das wir heute haben, homosexuelle Menschen nicht grundsätzlich zu verdammen. Viele Kirchen, im besonderen fast alle evangelischen Landeskirchen, teilweise einzelne Freikirchen, aber auch meine alt-katholische Kirche haben sich darum nach langer Diskussion und Wägung aller Argumente dafür entschieden, auch homosexuelle Paare zu trauen und dabei keinen Unterschied zu einem Paar von einem Mann und einer Frau zu machen. Andere Kirchen segnen die Lebenspartnerschaft schwuler und lesbischer Paare, stellen dies aber nicht mit einer Ehe gleich. Andere Kirchen lassen homosexuelle Paare nicht einmal zur Segnung zu. Letzteres ist zum Beispiel meines Wissens bei den orthodoxen Kirchen der Fall, bei Evangelikalen, und auch die offizielle Lehrmeinung der römisch-katholischen Kirche (wobei sich nicht mehr alle römisch-katholischen Priester und Pfarrer daran halten wollen).