Schau mal erst, wer Karl "den Großen" als Vater Europas bezeichnet. In der Zeit Karls war es üblich (das kann man an den Gedichten Alkwins oder Theodulfs drastisch ablesen), sich bei Karl dadurch Gehör zu verschaffen, dass man ihn lobte, was das Zeug hält. Dieses Lob (Einhard ist ein solcher Fall) muss überhaupt nicht mit der Realität zusammenstimmen. Es ist wie heute: Wer gelobt wird, hört nur das Lob. Wenn man jetzt aber mal - nachdem man in die Geschichte hineingeschaut hat - fragt, ob das, was Karl gemacht hat, den Titel "Vater Europas" verdient, dann wird die Frage interessant. Nur mal so ohne viel nachzudenken hingeschrieben:

Pro: Ganz überragendes kulturelles Interesse. Rechtschreibung und Richtigschreibung ("Ein Gebet, das nicht korrekt geschrieben ist, wird wohl nicht gehört"). Vereinheitlichung der Kultur durch Normschrift ("karolingische Minuskel"). Verwaltungsstrukturen werden geschaffen. Tatkräftig.

Contra: Michael Doeberl hat das Vorgehen Karls als "Karolingischen Imperialismus" bezeichnet. Karl konnte sich kein Europa der Regionen vorstellen. Er konnte sich nur sich selbst an der Spitze aller vorstellen. Schließlich konnte er sich die Regierung nur mit einem Aachen als Sitz vorstellen, verbunden mit einem irrealen Legitimationsbedürfnis seiner Position. (Dies werden die Päpste später ausnutzen und beim Investiturstreit in die Arena eintreten). Karl hatte für die Leistung anderer keinen Sinn. Obwohl das tassilonische Bayern eine kulturelle Hochblüte hatte, mußte es dran glauben - und dies (siehe Matthias Becher: Eid ...) in rechtlich frivoler Weise.

Kurz: Wer sich ein Europa mit einem autokratischen Monarchen wünscht, kann einfach von "Vater Europas" sprechen. Wer das nicht wünscht, sollte differenzieren in manches, was anerkenneswert und bewunderungswürdig ist und anderes, was Schrott ist.

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