Ich hätte zu gerne die Antwort "bin immer ehrlich und direkt" ausgewählt, aber, um ehrlich zu sein, kann ich nicht immer ehrlich und direkt sein. Ich versuche es zwar, radikal ehrlich zu sein und immer das zu sagen, was ich denke, manchmal wäre das aber nur dumm, oder einfach falsch.
Wenn ich einen behinderten Menschen im Rollstuhl sitzen sehe, der sabbert, weil er sich eben nicht kontrollieren kann, dann gehe ich auch nicht zu dem hin und sage ihm: "Boah Alter, bist du eklig, voll den Sabber im Gesicht!" Das wäre vielleicht mein erster Gedanke, und so gesehen ehrlich.
Warum tue ich das nicht? Es gibt so etwas wie Normen, seien es soziale, oder persönliche, die ein solches Verhalten verbieten. Darunter fällt auch so etwas wie soziale Erwünschtheit: Behinderte beleidigen ist sozial unerwünscht, wenn ich es doch tue, muss ich mit den Konsequenzen leben. Wahrscheinlich werde ich dann selbst beleidigt, oder muss mir anhören, was für ein schlechter Mensch ich doch sei, auch wenn ich sage, es sei mir egal was andere über mich denken, so ganz stimmt das eben doch nicht. Ich mag den Satz zwar nicht, aber er stimmt: Kein Mensch ist eine Insel. Also verhalte ich mich sozial erwünscht, und vermeide negative Konsequenzen.
Der Alltag ist voll von Vermeidungsverhalten, in engen Beziehungen ist das nicht anders: "Okay ich sage ihr jetzt nicht, dass das Kleid sche*sse: (Soziale Norm auf GF keine Schimpfwörter...) aussieht, weil ich keine Lust auf Streit und Couchsurfing habe." Das ist aber nichts wirklich schlimmes, sondern einfach nur menschlich. (Jaja, manchmal ist es schon nervig ein Mensch zu sein ;))
Klar, man sollte immer ehrlich und direkt sein, Lügen haben kurze Beine und am Ende kommt die Wahrheit sowieso heraus, aber leicht ist radikale Ehrlichkeit eben nicht.