Hallo Simmi26,
unsere westliche Gesellschaft ist eine Leistungsgesellschaft, gerade Deutschland, in dem die preußischen Tugenden wie beispielsweise "Fleiß", "Strebsamkeit" etc. sehr groß geschrieben werden. Letztlich ist das auch ein Faktor, der in unseren wirtschaftlichen Erfolg mit hineinfließt. Das in Folge dessen hinsichtlich beruflicher Qualifikationen hohe Ansprüche an Bewerber gestellt werden, ist selbsterklärend. Allerdings sollte diesbezüglich berücksichtigt werden, dass in Stellenangeboten bewusst mehr gefordert wird als man tatsächlich erwartet. Die Abstriche ergeben sich von ganz alleine, nicht umsonst heißt es bei Bewerbungstipps als Antwort auf die Frage "Bin ich für eine Stelle geeignet?", dass oftmals die ersten 3, 4 aufgezählten Punkte die signifikantesten sind.
Die von Dir geschilderte erforderliche Vorsicht, um nicht gleich als unfähig hingestellt zu werden, konnte ich selbst noch nicht feststellen. Natürlich gibt es überall Menschen, die anderen wenig nachsehen, jedoch habe ich den Eindruck, das Groß der Gesellschaft ist sich der eigenen Fehler und Schwächen bewusst und urteilt nicht derart schnell.
Geschmäcker sind verschieden, der Anspruch an objektive Korrektheit des eigenen verfällt hier gänzlich. Wir Menschen sind von Natur aus gezwungen, Dinge einzuordnen, zu bewerten, was uns umso schwerer fällt, wenn es kein "Richtig" und "Falsch" gibt. Also ist es naheliegend, sein eigenes Handeln, den eigenen Geschmack etc. als das Maß aller Dinge zu verwenden, alles davon Abweichende ist schlechter. Selbstaufwertung durch Abwertung eines Anderen.
Oftmals werden nur Pauschalurteile vertreten, die Korrelation zwischen "dummer/fauler Mensch" und "HartzIV-Empfänger" wäre hier als Beispiel zu nennen. Gedanken machen sich viele erst, wenn sie selbst betroffen sind. Folglich sind solche Aussagen nicht ernst zu nehmen, insofern würde ich sie auch nicht als "gesellschaftlichen Anspruch" bezeichnen.
"Menschen gehen den Weg des geringsten Widerstandes" - dieser Spruch trifft häufig zu. Diese Bequemlichkeit ist in allen Bereichen unseres Lebens zu finden, auch wenn es darum geht, zu denken. Tritt beispielsweise ein unerwartetes Ereignis ein, z.B. unerklärliches Verhalten von Personen, seltene Vorlieben, etc., so beurteilen wir das Offensichtliche, denn wie bereits gesagt, irgendwo müssen wir das ja einordnen. Und den Bequemlichkeitsanspruch erfüllen wir uns, indem wir das Ereignis nicht kritisch hinterfragen, sondern die für uns bequemste Antwort finden, folglich etwas in eine Schublade packen.
Nicht zu vergessen ist allerdings auch der oftmals hohe Anspruch, den Menschen an sich selbst richten. Eine geringe Selbstkenntnis, begünstigt durch wenig Gedanken über die eigene Person, führt zu unrealistisch hohen Zielen, die nur in den seltensten Fällen erreicht werden können. Egal wie erfolgreich man objektiv gesehen ist, man scheitert immer, wenn auch nur an den eigenen Erwartungen.
Letztlich, denke ich, kann gesagt werden, dass die Anforderungen an die Gesellschaft und die in ihr lebenden Individuen schon sehr hoch sind. Dies wird allerdings auch von Mensch zu Mensch unterschiedlich wahrgenommen, Menschen, die mit sich selbst und ihrem Erreichten zufrieden sind, haben den Eindruck, als dumm hingestellt zu werden, vermutlich seltener. Hingegen sind Menschen, die nur gering von sich überzeugt sind, eher empfänglich für derlei Anzeichen. Es gibt allerdings auch keinen Grund, sich verrückt machen zu lassen, entscheidend ist die Einstellung, bei der man ja leicht feststellen kann, ob sie mit den Erwartungen der Gesellschaft kompatibel sind. Und wenn das der Fall ist, dann leistet jeder, was er kann. Und das ist in Ordnung.