Haneke klärt den Fall nicht auf wie einen "Tatort" oder "Wallander". Am Schluss merkt der Zuschauer aber, dass der Dorflehrer scharf kombiniert und kurz vor der Aufklärung steht, durch die ihm allein die Verstocktheit der Pfarrerskinder Klara und Martin sowie die Porzellanservice-dekorierte Förmlichkeit der Pfaffengattin einen Strich macht.

Bis dahin hat der Lehrer bereits unwiderleglich "ermittelt", dass die letzten Begleiter Siggis vor seiner Schändung die Kinder waren; und dass das Mädchen ihre Vision nicht geträumt, sondern mitgeteilt bekommen hatte. Auch das Drahtseil gegen den Doktor weist wohl unstreitig auf Klaras diabolische Erfindungskraft hin - Klara, die eine Führungsrolle in der Kinderclique der Dorfgemeinschaft einnahm. Wozu sie fähig war, zeigt der Film unverhohlen beim Attentat gegen "Piepsi", den Piepmatz des Pfaffen.

Nun kommt es am Schluss doch noch zu einer überraschenden Wendung: Die missbrauchte Hebamme macht sich aus dem Staub; der Doktor und Karli sind verschwunden. Vermutlich hat der Doktor Karli zu Tode behandelt, und seine gedemütigte Dienerin hat ihn dafür umgebracht und entsorgt. Es mag aber auch sein, dass der Doktor einfach abgehauen und Karli durch seine verzweifelte Mutter zu Tode gekommen ist.

Das Stilmittel der Ungewissheit gibt diesem Film eine besondere Qualität. Es regt beim Zuseher Reflexionen an, im Zuge derer dann die scharf herausgearbeiteten Konfliktlinien und seelischen Verheerungen sichtbar werden: Der sexualneurotische Pfaffe, der den Wald des Bösen vor lauter Tugendbäumen nicht sehen will; der seinem Sohn die Sexualität abspalten will, obwohl der tatsächlich die erlebten Verbrechen nicht verarbeiten kann. Seine Tochter Klara, die sich zu einem diabolisch-durchtriebenen Miststück entwickelt, was der Pfaffe aber zu verstehen unfähig bleibt. Auch der ältere Sohn des Verwalters steckt voller unterdrückter Aggressionen.

Der Lichtblick im Personaltableau ist der sanftmütige und aufrichtige Lehrer, der als einziger zu brauchbaren Erkenntnissen gelangt, obwohl er sie gar nicht mit aller Macht erheischt.

Der historische Kontext verortet das Geschehen am Vorabend des Ersten Weltkrieges; und zu jener Zeit, kunsthistorisch "Fin de Siècle", "Belle Époque" und "Jugendstil", wütete im Deutschen Reich seit der Gründerzeit die Schwarze Pädagogik. Besonders schlimm wütete sie im Dunstkreis der Evangelischen Kirche - dort potenziert durch neurotische Sexualfeindschaft. Das Abtöten natürlicher menschlicher Empfindungen - nicht der Schlaf der Vernunft - gebar Monster, die Hitler ins Amt hievten und als Massenmörder und Greueltäter Karriere machen konnten. Und auch nach der Katastrophe des Völkermordes ging das Grauen in evangelischen kirchlichen Kinderheimen bis in die Siebziger Jahre hinein weiter.

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