Interpretation
Das Gedicht âWinterdĂ€mmerungâ von Georg Trakl stellt eine Beschreibung der Landschaft dar. Das Wetter und verschiedene Einrichtungen, vermutlich eine Stadt werden beschrieben. Beim ersten Durchlesen erweckt das Gedicht einen trostlosen, dunklen, bedrohlichen Eindruck, ob dieser sich bei genauerer Auseinandersetzung bestĂ€tigt, das wird im Folgenden erarbeitet. AuĂerdem sollen eine Deutung und eine zeitliche Einordnung folgen.
Zu Beginn des Gedichtes wird die wohl vor LĂ€ngerem hereingebrochene Dunkelheit erwĂ€hnt und KrĂ€hen stellen ein gröĂeres Thema dar, indem ausfĂŒhrlich beschrieben wird, wie sie ĂŒber Parks (âParkenâ) fliegen und letztendlich gelandet sind. Das Gedicht schlieĂt mit einer Darstellung verschiedener stĂ€dtischer Einrichtungen (Kirchen, Krankenhaus âSpitalâ) und BrĂŒcken, sowie einem Ausblick auf einen offenbar stadtnahen, wenn nicht sogar innerstĂ€dtischen Kanal.
AuffĂ€llig ist, dass in dem Gedicht kein lyrisches Ich hervortritt. Die erwĂ€hnten EindrĂŒcke werden zwar âerzĂ€hltâ, doch geschieht an keiner Stelle ein Appell an den Leser oder gar ein GesprĂ€ch, wie man es aus Gedichten der Romantik kennt. Dort tritt nahezu immer ein Lyrisches Ich auf. Hier ist dies nicht der Fall, wie fĂŒr Gedichte um die expressionistische Zeitepoche typisch.
Im Gegensatz zu einigen expressionistischen Gedichten, liegt hier jedoch keine Sonnettform vor: Das Gedicht enthĂ€lt vier Strophen mit jeweils vier Versen. Ein wenig ungewöhnlich ist, dass diese formale Einteilung beziehungsweise Trennung voneinander nicht auch inhaltlich so vorliegt. Die erste kĂŒrzere Beschreibung, in der die Dunkelheit und der Sturm beschrieben werden, geht bis Vers zwei, wĂ€hrend dem vom dritten bis einschlieĂlich zehnten Vers die KrĂ€hen beschrieben werden. Die letzten sechs Verse handeln von der Beschreibung der Stadt.
Zwar kann man bereits mit diesem Konflikt zwischen Inhalt und Form eine Deutung des Gedichts beginnen, doch zunĂ€chst soll eine Analyse der Sprache folgen. Es sticht stark hervor, dass dieses Gedicht viele Ellipsen aufweist. Gleich im ersten Vers fehlt ein PrĂ€dikat (âSchwarze Wolken von Metallâ), auĂerdem gibt es im weiteren Verlauf der ersten Strophe mindestens ein PrĂ€dikat zu wenig. Und genau solche sprachlichen Spielereien wie die Nichtfestlegung eines Bezuges sind charakteristisch fĂŒr dieses Gedicht. Georg Trakl ĂŒberlĂ€sst allein dem Leser die Aufgabe, zu entscheiden, wie er die Wörter bezieht und versteht. Syntaktische MissklĂ€nge (âKreuz wehenâ) und Neologismen sind die Folge von fehlenden ZusammenhĂ€ngen. Wörter wie âgrauâ und âmĂ€henâ werden in einem völlig unĂŒblichen Kontext verwendet und regen den Leser zum Nachdenken an, ebenso wie die Verwendung von âdrĂ€uânâ, das als dialektische Abwandlung von âdrĂ€ngenâ verstanden werden kann.
Doch was will Georg Trakl mit dieser sprachlichen Eigenartigkeit, der Bezugslosigkeit der Wortschöpfungen, erzeugen? Es liegt nahe, dass er eine Flucht aus dem Alltag, des von Industrie gespickten Leben ausdrĂŒcken will. Bereits der erste Vers bringt durch die ErwĂ€hnung von âMetallâ die Industrie ins GesprĂ€ch, ruft sie beim Lesen ins GedĂ€chtnis. Da die âHimmelâ eben âvonâ dem Metall âschwarzâ sind, ist es nicht unbedingt und primĂ€r das Wetter, das die Dunkelheit erzeugt, sondern die Industrie, die dem Leben Finsternis einhaucht.
Den ersten Vers der zweiten Strophe bringt die Ăberschrift in direkten Bezug zum Inhalt: Von âErfrierenâ ist die Rede. Die Industrie sorgt also nicht nur fĂŒr Dunkelheit und Finsternis, sondern kĂŒhlt das Leben, die Emotionen, ab.
Die darstellende Kunst ist vielleicht der einzige Ausweg aus diesem kalten und langweiligen Leben, deswegen herrscht einzig und allein im âTheatersaalâ eine gewisse âHelleâ. Es ist das einzige Mal, dass in diesem Gedicht von Licht die Rede ist. Die angesprochene Langeweile wird durch die Form und vor allem durch das Reimschema symbolisiert: Durchweg im ganzen Gedicht die gleichen Endungen mit der Form a-b-b-a ohne Variation zwischen den Strophen. Im umgreifenden Reim werden die klingenden Kadenzen von den stumpfen eingeschlossen. Man kann hier auch einen Zusammenhang zwischen Form und Inhalt herstellen: Der triste, industrielle Alltag schlieĂt das klangvolle und schöne Leben ein. Nicht einmal die Religion ist ein Ausweg, denn auch die âKirchenâ stehen im âZwielichtâ, der âKampfâ zwischen Gut (vgl. Kreuz) und Böse (vgl. Satans FlĂŒche) raubt den Menschen die letzte Kraft. Zu der industriellen Folter kommt erschwerend hinzu, dass der Krieg bevorsteht. Die âroten StĂŒrmeâ sind womöglich eine Anspielung auf russische Armeen, die im Kampf mit deutschen Armeen stehen. Die KrĂ€hen sind somit eine Metaphorik fĂŒr den Tod, da sie als schwarze Vögel wie Geier ĂŒber der Stadt kreisen und selbst im total Zerstörten wissen, wo sie Nahrung finden.
http://www.frustfrei-lernen.de/deutsch/beispiel-einer-dedichtinterpretation.html