ich bin etwas spät dran, aber vielleicht interessiert es dich immer noch...ich hab mal einen aufsatz darüber geschrieben, den kannst du dir ja durchlesen:

Es ist schwer, über einen Begriff zu schreiben, den es gar nicht gibt. Der Begriff, um den es gehen soll, ist erfunden, um eine Vorstellung auszudrücken. Oder, um etwas zusammenzufassen. Die Bildung dieses Begriffs ist völlig menschlich. Wir wollen doch immer gliedern, einordnen und in Formeln fassen. Wir wollen trennen. Wir wollen klare Konturen. Wir wollen hören, „das ist schlecht“ oder „das ist gut“, wir wollen die Welt in schwarz und weiß sehen, in hässlich und schön, in perfekt und nicht perfekt und in normal und anormal. Ja, es geht um die Normalität. Die Bedeutung dieses Begriffs scheint völlig klar. Das, was alle machen. Das Gewöhnliche, das Maß, der Durchschnitt, die Anpassung. Aber das Problem ist, dass ein Durchschnitt immer ein Durchschnitt bleibt, also immer das Mittelmaß und nicht unbedingt etwas Erstrebenswertes. Normalität ist hingegen in den Augen der Gesellschaft nicht nur erstrebenswert, sondern alles andere ist abstoßend. Wenn man diese Ansicht mit dem Durchschnitt vergleicht, fallen einem sofort die Unterschiede auf: Wenn der Durchschnitt in einer Klassenarbeit 3,5 ist, dann sagt das nichts über den Einzelnen aus. Mit der Normalität beurteilt man diese Lage. Plötzlich sind alle von 2 bis 5 normal, aber die mit 1 oder 6 sind anormal. Sie stechen heraus und passen nicht zu der vorgegebenen Zahl. Ist das fair? Sollte es nicht erstrebenswert sein, eine 1 oder 2 zu haben, anstatt normal zu sein? Ist richtig und normal nicht etwas völlig Unterschiedliches?

Aber wie kann ein Mensch überhaupt normal sein, wenn alle Menschen verschieden sind? Wie kann es eine Vorstellung von Normalität geben, wenn für jeden etwas anderes normal ist? Kann man denn sagen, dass jemand nicht normal ist, wenn es doch nur eine Frage der Sichtweise ist? Alles ist relativ, stellte schon Einstein fest. Auf ironische Weise verdeutlicht es auch der Spruch „Die neue Pisa-Studie beweist: Der Turm ist gerade, die Welt ist schief“. Und genauso erscheinen wir für die Verrückten verrückt. Leider gibt es immer eine Mehrheit. Und so funktioniert die Gesellschaft, so kommt es zu Außenseitern und Mitläufern. Natürlich spielt nicht nur die Menge eine Rolle, sondern auch die Überzeugungskraft. Oft ist das, was die selbstbewussten, dominanten Menschen tun, normal. Alles andere ist anormal.

Dabei sieht man aber auch, dass „normal“ auch mit„charakterlos“ vergleichbar ist. Eigentlich sind alle verschieden, aber durch das Nachgeben und Anpassen vieler entsteht die Normalität. Dies kann auch gefährlich sein. Man denke nur an das Dritte Reich, in dem Judenvernichtung zur Normalität erklärt wurde. In seinem Buch „Mutige Menschen“ meint auch Christian Nürnberger, „Die Menschen, die protestiert haben, sind noch viel interessanter als die Mitläufer: Wie schafft man es, in einer Menge zu stehen, die zu Hunderttausenden "Heil ..:" brüllt, und zu denken oder zu sagen, „ihr seid alle verrückt.““ Und damit meint er die charakterstarke Menschen, die der Kraft der Normalität widerstehen. Im Nachhinein sind diese Menschen normal. In unseren Augen war das ganze Volk zu dieser Zeit anormal.

Daran sieht man erstens, dass der Begriff „Normalität“ sehr wandelbar ist. Die Menschen passen sich nicht nur an den Begriff an, sondern der Begriff passt sich auch auf die Menschen an. Zweitens sieht man an dem Beispiel, dass Normalität oft keineswegs erstrebenswert ist. Normalität klingt einfach zu sehr nach Normen, aber Normalität ist ein Mittelmaß, während Normen bestimmte Werte und Regeln sind. Normen sind erstrebenswert, Normalität ist es nicht; möglicherweise ist es sogar erstrebenswert, anders zu sein. Man sieht beispielsweise an bekannten Personen, dass man eher in Erinnerung bleibt und bekannt wird, wenn man Ungewöhnliches tut. Manche Menschen erkennen das. Als prominentes Beispiel dient hierbei Angelina Jolie mit dem Spruch „Ich leide nicht unter Wahnsinn – ich genieße jede Minute davon!“

Nun ist es leider so, dass Ungewöhnlichkeit nicht allgemein geachtet wird. Obwohl die Anormalen die sind, die wirklich etwas verändern können. Sie sind die, die neue Gedanken wagen. Sie sprechen Utopien aus. Sie werden schräg angeschaut, wenn sie etwas Neues und Undenkbares wissenschaftlich erproben. Erst, wenn sie gewinnen, werden sie gefeiert. Nun stellt euch vor, es wäre andersherum. Wenn es mehr Toleranz gäbe, wenn es mehr Individuen gäbe, die tun, was sie wollen, und dabei unterstützt und geschätzt werden – Wäre die Welt dann nicht um einiges weiter? Schade, dass es nicht so ist. Die seltsamen Menschen sind unbeliebt und gehasst, sie werden als Gefahr für die Normalität angesehen. Also für etwas Fiktives. Und erst hinterher, oft Jahre nach ihrem Tod, werden sie gelobt und gefeiert. Dann sind sie nämlich normal.

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