Gewohnheitsrecht des Arbeitgebers bei geleisteten Überstunden?
Vor folgender Problematik stehe ich gerade:
Ich bin seit über 30 Jahren in einem Großhandelsunternehmen im kaufmännischen Bereich tätig, ausgestattet mit einem Arbeitsvertrag, der 38,5 Wochenstunden beinhaltet,
Vor gut 8 Jahren wurde von der damaligen Geschäftsleitung eine Verlängerung der Arbeitszeiten auf über 40 Stunden "verfügt", Hierfür gibt es keinerlei Schriftstücke oder gar Unterschriften unsererseits. Diese Arbeitszeiten wurden auch unter der mittlerweile neuen Geschäftsleitung als "selbstverständlich" angesehen und quasi übernommen, auch hier immer ohne etwas schriftliches darüber zu erhalten. Einige wenige Mitarbeiter versuchten dagegen anzugehen, was in einer Abmahnung mündete, und der betreffende Mitarbeiter irgendwann von selbst die Segel strich und kündigte. Mit der Drohung einer Abmahnung wurden in der Folge Diskussionen um die 38,5 Stunden Verträge im Keim erstickt.
Nun stellt das Unternehmen ein neues Arbeitszeitmodell vor, welches für alle Mitarbeiter eine 40 Stunden Woche beinhaltet. Dieses dient zweifellos ausschließlich zur arbeitgeberseitigen Absicherung der bisherigen Praxis.
Auf den Einwand, man habe aber einen 38,5 Stunden Vertrag, antwortet die Personalleitung, man habe die letzten Jahre auch länger gearbeitet, das müsse man dann weiterhin auch tun, es wird auf ein "Gewohnheitsrecht" verwiesen.
Ist dies rechtens, oder gibt es dieses Gewohnheitsrecht seitens des Arbeitgebers nicht?
Wie kann man sich dieser Praxis widersetzen, oder muss man sich fügen?
Um der ein oder anderen Antwort vorzugreifen: Nein, es gibt bei uns im Betrieb leider keinen Betriebsrat, der sich dieser Thematik annehmen könnte.
Vielen Dank schon jetzt für hilfreiche Antworten ggf. mit rechtlichen Verweisen.
4 Antworten
Es ist schade, dass der ausgeschiedene Mitarbeiter sich die Bezahlung für die Überstunden nicht per Arbeitsgericht nachträglich geholt hat.
Eine freiwillige(!) Mehrarbeit ist nur dann angebracht, wenn der Job mit einer sehr ordentlichen Bezahlung verbunden ist.
Gewerkschaft oder Berufsgenossenschaft. An die hättet Ihr Euch schon viel früher wenden müssen.
Und was hat die Berufsgenossenschaft damit zu tun?
Und was die Gewerkschaft, wenn hier offensichtlich kein Tarifvertrag anzuwenden ist (denn dann wäre ein solcher Vorgang nicht möglich gewesen - abgesehen bei einer Öffnungsklausel)?
Hier ist es aufgrund der jahrelang geübten Praxis (und ihrer Hinnahme durch die Arbeitnehmer) leider zu einer stillschweigenden Änderung der arbeitsvertraglichen Bestimmungen bezüglich der Wochenarbeitszeit gekommen.
Ich kann dir leider nicht helfen.
Aus Interesse: Hat sich dadurch auch das Festgehalt geändert oder müßt ihr mehr arbeiten und bekommt das gleiche Geld?
Frag am Besten einen Rechtsanwalt für Arbeitsrecht.
Das schreit nach Unterschlagung!
Geh bitte zum Anwalt und zwar bald!
Vielleicht läßt sich auf dem Weg nochwas machen, dass ihr wenigstens nachträglich eure Gelder bekommt! Ev. Sammelklage.
Das mit der Kündigung bzw. dann raus geekelt zu werden ist natürlich so eine Sache!
Das schreit nach Unterschlagung!
Das ist (sorry!) Unsinn, auch wenn das eine ganz miese Masche des Arbeitgebers war/ist, die die Arbeitnehmer aber - und das kann man ihnen vorwerfen - hingenommen haben!
Was den "Unsinn" angeht:
Ja, kann man ihnen vorwerfen. Allerdings wurden auch Drohungen ausgesprochen und Leute zum Schweigen gebracht.
Wenn man das Nachweisen könnte, gäbe es vielleicht irgendwo ein Schlupfloch, vermute ich.
Und eine schriftliche Einwilligung hat es nie gegeben. Das ist auch nicht von der Hand zu weisen.
Ich habe schon ein paar deiner Kommentare gelesen und vermute auch, dass du dich mit dem Thema Arbeitsrecht zumindest ein bischen auskennst. (Dein Profil kenne ich nicht.)
Ich habe aber mit keiner Silbe behauptet, dass ich mich in dem Fall auskenne. Also sei mir dieser "Unsinn", denke ich, nochmal verziehen.
Bei meinem Mann wurden auch unlautere Methoden eingesetzt um eine Insolvenz zu verzögern. Die Gleichen! Und sie haben den Schadenersatz durch bekommen . Frag mich nicht wie, aber es ging.
In dem Fall muss sowas ohnehin über einen Rechtsanwalt gehen. Da kann hier jeder sagen, was er will, auch wenn er selber einer ist. Keiner von uns hat hier eine Mitsprache-Möglichkeit in Bezug auf Vertretung vor Gericht. Das war auch meine Empfehlung!
Das "Unsinn" bezog sich ausschließlich auf den Vorwurf der Unterschlagung!
Und "unlautere Methoden" zur Verzögerung einer Insolvenz ist etwas ganz Anderes, da Insolvenzverschleppung tatsächlich ein Straftatbestand ist.
Danke!
Es gibt kein Gewohnheitsrecht im BGB. Es gilt selbstverständlich der Arbeitsvertrag.
Es gilt selbstverständlich der Arbeitsvertrag.
Selbstverständlich, aber ...
..., der Arbeitsvertrag ist dadurch, dass über Jahre hinweg statt vereinbarter 38,5 Stunden 40 Stunden geleistet wurden,
stillschweigend geändert worden, ohne dass es einer schriftlichen Fixierung bedurfte, so dass jetzt eine vertraglich vereinbarte 40-Stunden-Woche besteht (siehe meine eigene Antwort).
Und das ist so, unabhängig davon, dass es hier kein "Gewohnheitsrecht" gibt.
Nope, es gibt keine stillschweigende Änderung. Schweigen ist ausdrücklich keine Zustimmung.
Alleine das Schweigen bedeutet nicht zwingend Zustimmung, das ist richtig; siehe aber auch BGB § 151 "Annahme ohne Erklärung gegenüber dem Antragenden":
Der Vertrag kommt durch die Annahme des Antrags zustande, ohne dass die Annahme dem Antragenden gegenüber erklärt zu werden braucht, wenn eine solche Erklärung nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist oder der Antragende auf sie verzichtet hat.
Wenn die Arbeitnehmer diese Änderungen über längere Zeit widerspruchslos hingenommen haben - wie es hier offensichtlich der Fall war, bis sich gegen die "mittlerweile neue Geschäftsführung" deswegen bei einigen Widerstand regte -, dann haben sie ein Recht nach BGB § 242 "Leistung nach Treu und Glauben" ("Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.") verwirkt: auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand (38,5 Stunden).
Dass Dein "Gefühl" Dir etwas anderes sagt, ist nachvollziehbar, hat mit der Rechtswirklichkeit aber wenig zu tun!
Siehe dazu LAG Nürnberg, Urteil vom 01.06.2010, Az.: 7 Sa 402/09, Leitsätze:
Das Schweigen eines Vertragspartners auf ein Vertragsänderungsangebot stellt im Rechtsverkehr grundsätzlich keine Willenserklärung dar. Dies gilt namentlich im Arbeitsverhältnis, in dem der Arbeitnehmer es oftmals aus Sorge um seinen Arbeitsplatz unterlässt, einseitigen Maßnahmen des Arbeitgebers zu widersprechen. Das Recht, sich auf eine fehlend Einigung über eine Vertragsänderung zu berufen, kann indes gemäß § 242 BGB verwirken.
Wenn das Gehalt angepasst werden würde, wäre alles ok. Aber das ist natürlich nicht der Fall...