Hallo musikuss, du hast ja schon sehr aufschlussreiche Antworten erhalten, also möchte ich nur noch eines ergänzen. Betrachtet man Dystopie und Utopie in ihrer Funktion, ist Erstere eine Warnung, Letztere eine Zielvorgabe.
Beide leben, darauf wurde ja schon hingewiesen, von ihrer Glaubwürdigkeit. Wir wissen sehr genau, wie Menschen zum 'Bösen' verführt werden, unklar hingegen ist, wie man die Gesamtheit der Menschheit dauerhaft dazu bewegen könnte, sich moralisch zu verhalten.
Deshalb muss sich eine Dystopie kaum jemals einer Plausibilitätsprüfung unterziehen, während Utopien eine unstemmbare Beweislast zu tragen haben.
Ansonsten glaube ich, dass die Fiktion oftmals ein Gegengewicht zur Realität der Gesellschaft darstellt. Sind die Menschen in ihrem Leben mit unerträglichen Grausamkeiten konfrontiert, wie im blutigen 20. Jahrhundert, sehnen sie sich nach einer 'heilen Welt', wächst man in Frieden, Sicherheit und relativem Wohlstand auf, beschäftigt man sich lieber mit dystopischen Szenarien. Wobei das sicherlich auch immer großen individuellen Unterschieden unterworfen ist und noch zahlreiche andere Faktoren eine Rolle spielen.
Ich wollte nur aufzeigen, dass Pessimismus nur eine mögliche Variante ist, die Popularität von Dystopien zu erklären. Überhaupt funktioniert eine Dystopie ja nur unter zwei Voraussetzungen:
-
Die Dystopie kann eine weitaus schlechtere Situation beschreiben als die Lebenswelt der Rezipienten.
-
Der Rezipient muss dazu in der Lage sein, die Dystopie als solche zu erkennen, die moralische Verwerflichkeit, die Ungerechtigkeit, die Entsetzlichkeit ihres Szenarios zu sehen, ggf. im Kontrast dazu den Vorbildscharakter der Heldenfiguren.
Das bedeutet: Autoren von Dystopien setzen als Empfänger moralische Menschen voraus, die in einer erheblich besseren Welt leben, als die Dystopie vorführt. Das zeugt ja nun nicht von allzu großem Pessimismus ;-)