ich bin in einer Zeit groß geworden, als man noch Langeweile hatte. :-) Trotzdem wurde ich auch handysüchtig. Mittlerweile bin ich "clean". Hier ist ein Text, den ich zum Thema in meiner wöchentlichen Kolumne Sonntagskind geschrieben habe. Vielleicht inspiriert er Dich ja!

GedankenbabiesÜber die Freiheit, eine Katze zu sein – und Digital Detox

19.03.2023

Manchmal kommt eine Katze zu Besuch. Dann steht sie vor der Terrassentür, macht auf sich aufmerksam und darf reinkommen. Sie schaut sich um, sucht sich den gemütlichsten Platz und pennt ein paar Stunden, bevor sie sich wieder auf den Weg macht. Ich will sein wie die Katze. Ich habe immer richtig viel zu tun. Orchestermusik will komponiert werden, Songtexte fertiggeschrieben, Webseiten aktualisiert usw. Und dann die Steuer – es ist zuviel: Deadlines, Deadlines, Deadlines. Ich habe ja keinen Arbeitgeber, der mir das Versprechen abringt, zu verabredeter Zeit in irgendeinem Büro zu sein. Ich bin mein eigener Ausbeuter. Während der Künstler schuftet, zündet sich der Unternehmenschef mit einem lila Geldschein eine ebenso kostbare Cohiba an. Zum Glück hat mich neulich Corona erwischt, endlich! (Siehe diese Kolumne). Ich war so geschwächt, dass ich außer dem Bingen von Serien nichts fertigbrachte. Ich hatte noch nicht mal Energie, um mein schlechtes Gewissen zu füttern. Selbst mein innerer Sklaventreiber lag also ermattet in seiner Sänfte.Als mir sogar zum Filmeschauen die Energie fehlte, schaute ich, wie die Katze, aus dem Fenster. Es dauerte nur wenige Sekunden, da tauschte ich das schöne Doppelglasfenster gegen das Iphonedisplay. Den weißlackierten Holzrahmen mit den matt geschliffenen Griffen, der an einem vogelverzwitscherten Maientag der frühen 1970er Jahre von einem Glaser und seinem Lehrling eingesetzt wurde, gegen den viel kleineren Bildschirm meines sogenannten Smartphones, das wahrscheinlich von Kindern zusammengebaut wurde, die keine Zeit hatten, zur Schule zu gehen.

Whatsapp ist längst nicht mehr der Privatkanal für meine Lieben. Frau Habeviel von der Stiftung Reibach & Kasch erinnert an den Vertrag in der unbeantworteten Mail. Sie sieht, dass ich online bin. So wie alle anderen auch, die meine Telephonnummer besitzen, es wissen. Alle können sehen, dass ich in diesem Augenblick ein Tausend-Euro-Gerät in den Händen halte und nicht mit Komponieren, Schreiben, Schlafen oder Feiern beschäftigt bin. Stattdessen bin ich mit einer digitalen Onlinetätowierung als verfügbar gebrandet. Ich schicke nicht nur meine Privatsphäre auf den Kommunikationsstrich, auch meine Aufmerksamkeit geht anschaffen. Für wen eigentlich? 

Ich muss an Roger Willemsen denken. Er hatte nie ein Handy. „Ich versuche, dass alles, was ich tue, mein ganzes Bewusstsein und meine Aufmerksamkeit hat“, verriet er der Zeitschrift „Chrismon“ ein paar Jahre vor seinem Tod.

Vor ein paar Tagen bin ich mit Annabella (Name v. d. Red. geändert) auf die Nordseeinsel Spiekeroog gefahren. (Tolle Insel: siehe die Kolumne „Der Horror mit dem Glückskeks”). Auf dem sturmumtosten Deck der Fähre erzwingt die Natur meine ganze Aufmerksamkeit. Nach einer Weile ohne den autoritären Gedankenwächter höre ich eine ganze Schar Gedankenbabies um meine Beachtung schreien. Sie wollen gefüttert, gepflegt, aufgezogen werden. Da ist das Gedankenbaby, das zeichnen will. Es will Papier und einen Stift. Ein anderes will tanzen und Abenteuer erleben. Ins Wasser springen und mit den Wellen kämpfen, auf Berge steigen und Marathon laufen. Ein anderes Gedankenbaby will die anderen Sklaven der digitalen Idee zur Flucht verführen. 

Ich will mich um meine Gedankenbabies kümmern. Wenn ich sie nicht füttere, hören sie bald auf zu schreien, dann ist es zu spät. Dann sind da nur noch die quadratischen Symbole auf dem Handy. Es klingt wie eine Binsenweisheit, aber hier, Hand in Hand mit den Naturgewalten, höre ich eine Stimme. Es ist die Stimme einer Katze. Sie ist schlau: „Hände weg vom Handy, Sklave! Das Ding verhindert Leben.” Wer ein iPhone 11 Max Pro haben will, schreibe mir. Aber bitte per Post.

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Mein Freund Rainer meint, das das Chaos mit der Privatisierung der Bahn begann. Ich habe in meiner wöchentlichen Kolumne www.sonntagskind.blog meinen Kummer als Vielreisender in einen unterhaltsamen Text zu verwandeln versucht. :-)

Wenn ich anfange, über die Bahn zu schimpfen, haut mir immer eine innere Stimme auf die Finger: woanders sind Krieg und Hunger, hab dich nicht so. Außerdem ist Rummeckern nicht gerade originell – und der allgemeine Schlechte-Laune-Pegel steigt. Also versuche ich einen Kunstgriff, schließlich habe ich mich der freundlichen Weltbetrachtung für den Frühstückstisch verschrieben. Die Lage ist nicht hoffnungslos.

Ich danke, dass ich jede Woche auf diese Weise bei Euch sein darf und freue mich über Eure Mails. Dass Einige von Euch den PayPal-Button nutzen und mir Geld zukommen lassen, gibt mir ein ganz hervorragendes Gefühl. Ich freue mich über jeden Euro. Nun aber: habt eine herrliche Woche und viel Freude mit Gute Miene zur bösen Schiene.

Spontan aus der Bahn

„Einige von Ihnen müssen den Zug verlassen. Wir sind überfüllt, wir können so die Fahrt nicht fortsetzen. Bitte steigen Sie aus.“ Ich quetsche mich mit ein paar anderen Sommergästen unseres beliebten Reiseunternehmens vor einer Toilettentür mit „Defekt“-Schild herum. Die sizilianische Eisenbahnhitze drängt mir die Frage auf, was für ein mafiöses Unternehmen eigentlich mehr Tickets verkauft, als es Plätze hat?

Wir kennen die Antwort – die freundliche Aktiengesellschaft richtet neuerdings auch soziale Experimente aus: geben ein paar Klügere nach oder zwingt kollektiver Trotz das ICE-Team und über tausend Fahrgäste in die Geduldsprobe? Die Statuten des großzügigen Fuhrunternehmens gestatten eine Auslastung von 200% – erst, wenn einer mehr steht als sitzt, gilt das Verhältnis als so ungünstig, dass die Fahrgäste zwischen Hamburg und Berlin „Reise nach Jerusalem“ spielen müssen. Mir fehlt der Wille zum Rechtbehalten, ich steig aus.

Ein Gedicht – was sich als Nerd gehört

Dabei liebe ich die Bahn. Ich wohne in Berlin mit Blick auf die Gleise, gegenüber fährt jeden Abend um 18.40 der Nachtzug nach Wien ab, dann liegt Reiseromantik in der Luft. Nur ein paar andere Zufälle in meinem Leben, und ich wäre einer dieser von Eisenbahnern „Pufferküsser” genannten Nerds geworden, die Zugfahrpläne auswendig kennen und den ICE-Typ am Bremsgeräusch erkennen.

Ode an die Eisenbahn
Wenn ich bei den Zügen steh,
über Gleise in die Ferne seh
und der Duft von Staub und Eisen lullt mich ein.
Dann weiß ich, hier wo Weg und Hin
sich treffen, find ich Lebenssinn.
Auch wenn ich reisend untergeh,
du sollst mein Zuhause sein.
Trotz Stimmungstief ein Liebesbrief

Aber, liebe Bahn, die ich so gerne hab, wir müssen reden. Wisst ihr, diese unbegrenzten Ticketverkäufe holen das Schlechteste aus uns Menschen raus. Es ist wie bei Konzerten mit freier Platzwahl. Alle wollen vorne sitzen. Dann drängelt man sich schon zwei Stunden vor Einlass vor der Tür. Da hat man Zeit, darüber nachzudenken, dass Darwin doch recht hatte und Kant ein Traumtänzer war.

Wer jeden Tag 40.000 Züge an knapp 6.000 Bahnhöfen managt, braucht doch Hochspannung in seinen Oberleitungen. Wo kommt der Kriechstrom her?

Vor kurzem sprach eine Zugbegleiterin die Wahrheit: die Verspätung lag nicht „an der verspäteten Bereitstellung des Zuges“ oder „an einer Verspätung aus vorheriger Fahrt“, sondern daran, dass sich kein Triebzugführer finden ließ, der heute Bock auf Lok hatte – der helle Bahnsinn. Aber weißt du was? So eine Offenheit macht dich menschlich! Sofort hat man Verständnis und möchte die Schaffnerin und ihr Team im Bord-Bistro auf ein Gläschen Rotkäppchen Halbtrocken einladen.

Im Umspannwerk der Sprachgewalt

Wenn aber eine so wichtige Information wie der Ausfall des ICE nach Bremen vom emotionsbefreiten Sprechautomaten verkündet wird und die dazugehörige Nachricht untergeht, dass stattdessen ein Ersatzzug zur selben Zeit auf einem anderen Gleis fährt, möchte man glauben, dass herzlose Bürokraten bei euch die Weichen der Kommunikation stellen. Und wenn es nach einer nicht von Erklärung begleiteten Ansage über einen Zugausfall heißt: „We apologize for any inconvinience“, dann ist das zynisch und eine hartnäckige Schranke sinkt zwischen uns nieder, liebe Bahn. Sprecht mit uns, fertigt uns nicht ab.

Der toughe Schaffner

Zur Zeit, das kann ich nicht anders sagen, bin ich enttäuscht. Ich glaube, ich brauche erstmal ein bisschen Abstand. Bei Check24 gibt es immer wieder mal günstige Mietwagen. Ich habe in der Zeitung von einer Schulklasse gelesen, die von Duisburg zurück nach Berlin wollte.
32 Jugendliche nebst Lehrerin am Bahnhof, der gebuchte Zug, ein DB-fremder „Flixtrain“ kam nicht. Er fuhr von einem anderen Gleis ab, das stand aber nirgendwo und wurde noch nicht mal vom Automaten durchgegeben. Also stieg die ganze Bande in den nächsten ICE nach Berlin. Dort gab es Ärger. Uniformen führen wohl manchmal zu einem militärischen Selbstverständnis: der Zugbegleiter focht den gnadenlosen Kampf des unnachgiebigen Gleisgenerals. Dass ein Bahn-Fehler der Grund für das Schlamassel war, hielt er nur für eine Signalstörung im kollektiven kriminellen Passagierbewusstsein, das sich hier einer multiplen Beförderungserschleichung schuldig machte.

Der Feldherr mit der Fahrkartenzange tippte die Fahrpreisnacherhebungsdaten in seinen Taschenrechner und nannte den Preis: 9.000 Euro, zahlbar sofort. Das gab die Reisekasse nicht her. Der Eisenbahner griff zum letzten Mittel und rief die Polizei, die am Zielbahnhof die Personalien der Kriminellen aufnahm.Aus Mitgefühl für die gedemütigte Schulklasse habe ich ein Gedicht geschrieben. Es lässt sich gut gemeinsam sprechen und schafft Durchzug in der Seele, damit die schlechten Gefühle vom Abstellgleis kommen:

Wer torpediert den Abfahrtsplan?
Nicht Terroristen, nein, die Bahn!
Wer spinnt das dickste Seemannsgarn?
Nicht Käpt’n Blaubär, nein, die Bahn!
Wer hat die Macht eines Gangster-Clan?
Nicht nur Abou Chaker, nein, auch die Bahn!
Wo lenkt und führt der Schlendrian?
Nicht bei Hempels unterm Sofa, aber in der Bahn!
Wer definiert das Wort „human“?
Nicht Kant, nicht Darwin, nein, die Bahn!

Dieses Gedicht ist Open-Source-Kunst: Ihr seid herzlich eingeladen, weitere Zeilen hinzuzudichten. Am besten gleich hier:

Jetzt wünsche ich einen schönen, reisefreien Sonntag. Und winkt bitte, wenn Ihr mit einer verspäteten Eisenbahn durch den Bahnhof Berlin-Charlottenburg fahrt. Ich lege ein Kissen auf die Fensterbank und schaue verträumt auf die Züge.

Mehr davon:

www.sonntagskind.blog

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