Durant über die Kunst: "Nach fünfzigtausend Jahren Kunst sind die Menschen sich noch immer nicht über ihre im Instinkt und ihre in der Geschichte liegenden Quellen einig. Was ist Schönheit? - Warum bewundern wir sie? -Warum verlangt unser Wesen, sie zu schaffen? - Der Platz für psychologische Erörterungen fehlt uns; wir sagen kurz und allgemein, Schönheit sei jedwede Eigenschaft, durch die ein Gegenstand oder eine Form das Gefallen eines Betrachters auslöst. Ursprünglich gefällt der Gegenstand dem Betrachter nicht, weil er schön ist, sondern er bezeichnet ihn umgekehrt als schön, weil er ihm gefällt. Jeder Gegenstand, der einen Wunsch befriedigt, wird irgendwie schön erscheinen. Für einen verhungernden Mann ist Essen schön und Thais nicht schön. Der gefällige Gegenstand kann auch der Betrachter selbst sein; in unserem geheimsten Herzen finden wir keine Form so schön, wie die unsere, und die Kunst beginnt mit der Schmückung des eigenen köstlichen Körpers. Der gefällige Gegenstand kann aber auch die ersehnte Gefährtin sein, und dann das Schönheitsgefühl die Intensität und schöpferische Kraft des Geschlechtstriebes und weitet den Heiligenschein der Schönheit auf alles aus, was mit der Geliebten in Berührung kommt - auf alle Formen, die der ihren ähneln, auf alle Farben, die ihr Anmut verleihen, ihr gefallen oder an sie erinnern, auf Schmuck und Kleidung, die sie zieren, und auf alle Körper, die ihre Grazie und ihr Ebenmaß widerspiegeln. Ist die gefällige Form der Mann, der mit seiner kraftvollen Erscheinung das schwächlichere Weib anzieht, so entsteht jener Sinn der Erhabenheit, der stets durch Anwesenheit der Kraft ausgelöst wird, befriedigend wirkt und die hehrste aller Künste schafft. Schließlich können wir auch die Natur selbst als etwas Schönes und Erhabenes empfinden; nicht nur, weil sie weibliche Zärtlichkeit und männliche Kraft in sich birgt, sondern auch, weil wir unsere Gefühle und Stimmungen, unsere Sehnsucht und Liebe in sie hineinlegen, weil wir in ihr die Bilder unserer Jugend wiederfinden, uns vor den Stürmen des Daseins in ihre stille Einsamkeit flüchten, in ihr die Jahreszeiten des menschlichen Lebens - den Frühling der Jugend, die Glut des Sommers, die Fülle des Herbstes, das winterliche Absterben - finden und weil wir in ihr dunkel die Mutter erkennen, die uns das Leben gab und uns im Tode wieder empfangen wird. Kunst ist die Schöpfung der Schönheit; sie ist der Ausdruck des Denkens oder Fühlens in einer schön oder erhaben scheinenden Form, und deshalb erweckt sie in uns irgendein Widerstrahlen jenes uranfänglichen Entzückens, das die Frau dem Manne oder der Mann der Frau gibt. Jedes Einfangen der Lebensbedeutung kann diesen Gedanken, jede Steigerung oder Befreiung der Lebensspannung kann dieses Gefühl ausmachen. Die Form kann uns durch den Rhythmus ansprechen, der angenehm mit unserem Atem dem Pulsieren unseres Blutes und dem majestätischen Abrollen von Winter und Sommer, von Ebbe und Flut, von Nacht und Tag zusammenfällt; sie kann uns aber auch durch ihre Symmetrie gefallen, die, gleichsam ein ruhender Rhythmus, in Kraft ersteht und uns an die wohlgefügten Maße von Pflanze und Tier, von Mann und Frau erinnert; ferner können uns ihre Farben freuen, die den Geist erhellen und das Leben steigern, und schließlich ist es auch die Wahrhaftigkeit, die uns an der Form angenehm auffällt, ihre klare und durchsichtige Nachahmung der Natur oder Wirklichkeit, die etwas vom sterblichen Zauber der Pflanze oder des Tiers oder vom rastlos ziehenden Sinne des Augenblicks erhascht und es für unser Genießen und Verstehen in Stille taucht. Aus diesen mannigfachen Quellen fließen jene edlen Dinge, die das Leben verschönern, der Gesang und Tanz, die Musik und das Drama, Töpferei und Malkunst, Bildhauerei und Architektur, Literatur und Philosophie. Denn was ist Philosophie anders als die Kunst - ein Versuch mehr, dem Gewirr der Erfahrung eine " bedeutsame Form " zu geben?"

(William Durant; Die Kulturgeschichte der Menschheit-Band 1 Das Vermächtnis des Ostens „Die Kunst“; Editions Rencontre Lausanne; S.131- 133)

Außerdem, wenn Kunst über Politik, Religion oder Psychologie steht und im Schaffensprozess nicht darauf angelegt ist politisch zu sein sondern erst politisch wird.

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