Hallo zusammen,

beim Routen planen in Google Maps habe ich mich an meine Zeit in Zinnowitz erinnert; Sanatorium gesucht und gefunden, und auch die negativen Kommentare dazu. Ich habe mich deshalb hier angemeldet, um meine Sicht dieser 6-wöchigen Kurzeit darzustellen.

Ich war dort Anfang der 80-iger als Dreizehnjähriger zur Kur (als Kind hatte ich Probleme mit Bronchitis). Meine Erinnerungen sind schon sehr verblasst, aber eines kann ich sagen: Ich hatte nicht ein negatives Erlebnis während dieser 6 Wochen. So etwas hätte sich mir eingeprägt.

An die Erzieherinnen kann ich mich so gut wie gar nicht erinnern. Sicher, sie waren streng und konsequent. Wenn man die Vorgaben umgesetzt hat (beim Mittagsschlaf z.B. sollte man eine halbe Stunde auf dem Bauch liegen, was auch kontrolliert wurde; sollte wohl gut für den Rücken sein), gab es keine Probleme; anscheinend waren wir alle brav.

Eine Erzieherin hielt im Gemeinschaftsraum einen Vortrag über Hygiene. Waschen nur mit Seife, und wenn es denn unbedingt Seife aus dem Westen sein muss, dann diese oder jene. Fand ich erstaunlich, Werbung für Westprodukte in einem staatlichen Heim zu tiefsten DDR-Zeiten zu hören.

Beim Essen habe ich zum ersten Mal den Begriff "Adipositas" gehört. Etwas fülligere Kinder haben z.B. zum Frühstück nur einen fettreduzierten Joghurt bekommen. Sicher unschön, wenn alle ringsum normal gegessen haben.

Nach dem Frühstück sind wir durch ein kleines Waldstück zum Strand spaziert. Dort gab es hin und wieder Atemübungen und Wassertreten, ansonsten konnten wir tun, was wir wollten. Ein Mitbewohner und ich hatten uns Taschenmesser gekauft und haben aus Kiefernrinde kleine Kanus geschnitzt.

Ein "negatives" Erlebnis kann ich dann doch berichten. Anfang des Sommers war es schon sehr heiß. Die Ostsee hatte aber erst eine Temperatur von 15 Grad. Von der Kurärztin war baden erst ab 16 Grad freigegeben. Das war schon eine Qual, in der Hitze am Strand zu sein und nicht ins Wasser zu dürfen. Dafür gab es dann ein paar zusätzliche Einlagen Wassertreten.

Eines Tages wurden dann 16 Grad gemeldet, nur war es an diesem Tag bewölkt und windig und es kostete uns Überwindung, ins Wasser zu gehen.

Ich kann mich an Tage erinnern, da haben wir auf dem Spielplatz "abgehangen" oder "mussten" hinter dem Säulengang auf einer Art Terrasse entspannen, heute würde man dazu "chillen" sagen. In einem Liegestuhl in der Sonne in angenehmer Atmosphäre mit einem Buch - unvergesslich.

Woran kann ich mich noch erinnern? Briefe und Pakete gab es mit Sicherheit auch. Obwohl ich mir bei den Paketen nicht sicher bin, verwechsle das vielleicht mit einem anderen Kuraufenthalt. Möglich auch, dass Briefe kontrolliert und als negativ empfundene Zeilen bemängelt wurden. Wenn dem so war, habe ich es mit einem Schulterzucken übergangen. Kontrolle war man ja zu Ostzeiten gewohnt.

Waschen morgens mit kaltem Wasser, nur Oberkörper und Gesicht; abends den ganzen Körper, mit warmem Wasser, Waschlappen und Seife. Am Wochenende konnten wir duschen.

Nachts wurden wir manchmal durch den Überschallknall der in der Nähe stationierten MiGs geweckt.

Zweimal in der Woche gab es Unterricht: 2 Stunden Deutsch und 2 Stunden Mathe. Hausaufgaben gab es auch, die aber niemand gemacht hat, was ohne Konsequenzen blieb, da es ja keine Noten gab.

Alles in allem war es für mich eine schöne Zeit, was sicher auch an meinen Mitbewohnern gelegen hat. Es gab keinen Stress, weder untereinander noch mit den Erziehern. Der Abschied war schon etwas wehmütig. Im Radio lief Phil Collins mit "In the air tonight", und der Zauberwürfel kam gerade groß raus.

Dass man die Zeit dort auch überwiegend negativ wahrnehmen konnte, ist gut möglich. Nur das Heim und das Personal pauschal zu verurteilen, ist aufgrund meiner Erfahrung stark überzogen. Und nein: Ich bin nicht verwandt mit ehemaligen Heimmitarbeitern.

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