ich liege permanent auf der linken seite. Grunde, mein fernseher steht links von mir :D

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Auf den Tag genau vor 19 Jahren ist die Berliner Mauer gefallen. Unter dem Druck des eigenen Volkes musste die DDR-Führung die Grenzen zur BRD und Westberlin öffnen. Zuvor hatten bereits hunderttausende das Land auf teils abenteuerlichen Wegen verlassen. Einer von ihnen war Klaus Kordon, der im Jahr 1973 nach missglückter Flucht und einjähriger Haft von der BRD freigekauft wurde und ausreisen durfte. Knapp 30 Jahre nach dem Verlassen der DDR und gut zwölf Jahre nach der Grenzöffnung arbeitet der mittlerweile hoch dekorierte Autor dieses Abenteuer in einem Roman auf und nennt diesen "Krokodil im Nacken".

Die Grundzüge der Geschichte sind schnell erzählt: Manfred Lenz sitzt in Zelle 102 im Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen in Untersuchungshaft. Gemeinsam mit seiner Frau Hannah und den beiden Kindern Silke und Michael hatte er mit falschen Pässen über Bulgarien in die BRD fliehen wollen. Doch die Familie wird festgenommen, Lenz von Frau und Kindern getrennt. Nach einigen Tagen bangen Wartens folgen Vernehmungen, nach Monaten schließlich das Urteil vor Gericht und ein Jahr nach der Festnahme die Ausreise in die BRD.

Untermalt wird die Beschreibung von Lenz’ Gefängnisaufenthalt mit zahlreichen Rückblicken in die Vergangenheit. Im September 1943 wird Lenz in Berlin geboren. Sein Vater kommt im Krieg ums Leben. Die Mutter, Besitzerin einer Kneipe im Prenzlauer Berg, stirbt, als Lenz noch nicht erwachsen ist. Er kommt ins Heim, verdient sein Geld mit Jobs wie Transportarbeiter, Hilfslagerist, Mechaniker oder Be- und Entlader, landet aber nach erfolgreich beendetem Militärdienst im Außenhandel und wird sogar auf Auslandsreisen geschickt.

Die Frage, die sich dem ehemaligen DDR-Bürger stellt: "Warum will Lenz dann ausreisen?", klärt Kordon auf intensive Weise. Zwar schätzt er die Reisen nach Indien oder Ägypten, aber als sogenannter "Reisekader" muss er sich anpassen, sein "Krokodil im Inneren" besiegen, das ihm "Knochenlosigkeit" vorwirft. Den aufsteigenden Protest verarbeitet er in Gedichtform für die Schublade. Das "Krokodil" gibt erst Ruhe, als er den lukrativen Job hinschmeißt und sich Hals über Kopf eine neue Arbeit sucht.

Bei den Vernehmungen im Gefängnis begründet Lenz den Fluchtversuch der Familie später so: "Ich fände es schön, hin und wieder auch einfach mal nur ich selbst sein zu dürfen." Daraufhin der vernehmende Leutnant: "Menschenskind, kapieren Sie denn nicht: Sie wollten in ein Land fliehen, in dem alles einen Warencharakter hat, sogar der Mensch. Sie wollten ins Land der Arbeitslosigkeit, der Drogen und der Kriminalität und faseln hier etwas von irgendwelchen Vorschriften, die Sie an Ihrer Selbstverwirklichung hindern. Merken Sie denn nicht, wie lächerlich Sie sich damit machen?" (S. 130)

Weitere Anstoßpunkte für die Fluchtpläne der Familie lässt Kordon auf der Seite von Lenz’ Frau, Hannah, entstehen. Auf der einen Seite ist sie, die in Frankfurt am Main Geborene, beunruhigt, als ihre Tochter Silke in punkto Beurteilung der BRD in dasselbe Horn stößt, wie später der Leutnant im Gespräch mit Lenz. Zudem verbieten ihr die DDR-Behörden die Reise nach Hessen zur Beerdigung ihres Bruders. Mithilfe von Hannahs Schwester Franziska setzen Lenz und Hannah schließlich den Plan zur Flucht über Bulgarien um, die erst der Ausgangspunkt für ihre Odyssee nach Westdeutschland sein wird.

Auf knapp 800 Seiten schafft Klaus Kordon das beinahe Unmögliche: Eine realistische Beschreibung des DDR-Alltags sowie nachvollziehbarer Gründe für den Wunsch zur Ausreise, eine spannende Schilderung des mehrmonatigen Gefängnisaufenthalts mit seiner Enge, den Selbstzweifeln, den perfiden Machtspielen der Staatsicherheits-Beamten und der Unsicherheit ob der eigenen Lage und dabei ein Maß an Differenziertheit einzuhalten, das angesichts der persönlichen Erfahrungen erstaunlich erscheint.

So äußert Lenz zwar Kritik am DDR-System, betont aber, die DDR und vor allem ihre Menschen nicht zu hassen. Außerdem stellt er trotz unwürdiger Bedingungen während seines Gefängnisaufenthalts klar, dass dieses Gefängnis "nicht Buchenwald" sei. Überzeugend wird auch eine gewisse Distanz gegenüber der RIAS-Hetze gegen die DDR dargestellt. So zweifelt Lenz daran, dass die Mehrheit der Mauerflüchtlinge wirklich als Freiheitskämpfer bezeichnet werden kann, wo diese doch nur für ihre eigene Freiheit gekämpft hätten.

Klaus Kordons ausgezeichnetes Jugendbuch "Krokodil im Nacken" ist ein wichtiger Bestandteil der Aufarbeitungskultur im wiedervereinigten Deutschland. Wer sich heute noch ernsthaft nach den alten DDR-Zeiten zurücksehnt, sollte einmal dieses Buch zur Hand nehmen, das, ohne anzuklagen, einen unangenehmen Teil der DDR-Geschichte beleuchtet. So ist es schwer vorstellbar und nicht zu verteidigen, dass, obwohl den Eltern die Ausreise bewilligt worden ist, ihre Kinder noch fast ein Jahr in der DDR ausharren müssen.

Kordon und seine Frau sind übrigens in den 90er Jahren wieder nach Berlin zurückgekehrt und haben sich sogar ihre Zellen im mittlerw

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