Eine sehr interessante Frage, die ich mir auch schon oft gestellt habe. Zumal es scheint, als wenn durch die Entscheidung einer einzigen Person die deutsche und europäische Geschichte einen ganz anderen Verlauf hätte nehmen können. Wahrscheinlich wäre der deutsche Nationalismus nicht so radikal geworden. Durch die frühe Befriedigung der deutschen nationalen Interessen wäre vielleicht ein gesunder Patriotismus daraus geworden.

Laut Paulskirchenverfassung Artikel III §76 sollte es dem Kaiser zustehen, Krieg zu erklären und Frieden zu schließen. Laut Artikel II §73 sollte er seine Gewalt aber durch von ihm ernannte Minister ausüben. Jede Regierungshandlung musste von einem Minister gegengezeichnet werden. Der Minister war dadurch verantwortlich und konnte vom Reichstag angeklagt werden. So wäre unter der Paulskirchenverfassung der Reichstag vielleicht schon eher an der Entscheidung über Krieg und Frieden beteiligt gewesen. Ob eine Blankovollmacht unter dieser Verfassung genauso möglich gewesen wäre, ist fraglich.

Auf alle Fälle hätte das Deutsche Reich die Unterstützung mindestens einer zweiten Großmacht gebraucht. Gegen eine Allianz aus Russland, Großbritannien, Frankreich und Österreich-Ungarn hätte das Reich keine Chance gehabt. Frankreich und Österreich-Ungarn wären dafür aber nicht in Frage gekommen. Napoleon III hätte ein Deutsches Reich, das mächtiger als Frankreich gewesen wäre nicht geduldet. Und auch Österreich-Ungarn hätte die Führerschaft im Deutschen Bund/Reich nicht kampflos abgegeben. Großbritannien war an einem Gleichgewicht auf dem Kontinent interessiert und hätte sich vermutlich eher auf die Seite des schwächeren Frankreichs gestellt. Man hätte vielleicht Königin Victoria die Königskrone von Hannover anbieten können, um so Großbritannien stärker an das Reich zu binden.

Eine weitere Option wäre gewesen, die italienische Einigungsbewegung zu unterstützen, um so einen Bündnispartner zu gewinnen.

Ein Bündnis mit Russland wäre wohl die realistischste Option gewesen. Immerhin war Nikolaus I der Schwager Friedrich Wilhelm IV. Außerdem waren die Beziehungen zwischen Preußen und Österreich damals ziemlich gut. Ein möglicher Köder für Russland wäre gewesen, dass, wenn Russland Preußen in einem Krieg gegen Österreich-Ungarn beistünde, Russland bei einem Sieg die nichtdeutschen Gebiete Österreich-Ungarns erhalten würde. Das wäre eine Win-Win-Situation für Preußen und Russland gewesen. Die deutschen Gebiete Österreichs hätten sich nun leichter einem Deutschen Reich anschließen können und Russland hätte sein Reich erheblich vergrößern können und panslawische Interessen befriedigen können.

Dafür hätte das Deutsche Reich Russland im Krieg, der später Krimkrieg genannt wurde, beistehen können. Deutschland hätte französische und britische Truppen im Westen binden und den Ostseeraum abriegeln können. Dann hätten russische Truppen bis nach Griechenland und Konstantinopel vordringen können. Hätte Russland den Krimkrieg gewonnen, hätte es auch Alaska nicht verkaufen müssen. Russland wäre heute ein riesiges Reich, die Supermacht, von Amerika bis Polen, von der Ostsee bis zum Mittelmeer.

Deutschland wäre heute eine Monarchie, aber demokratisch und eine Großmacht. Deutschland und Russland hätten gemeinsam die erste Atombombe bauen können. Deutschland hatte die Forscher, Russland die Uran-Vorkommen gehabt. Vielleicht würde es auch die EU nicht geben. Europa wäre geteilt in Westeuropa auf der einen Seite und Mittel- und Osteuropa auf der anderen Seite. Wie du siehst, hätte es auf alle Fälle Kriege gegeben, aber andere Kriege.

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