Interpretation des 2. Verses des Gedichtes "Die Wälder schweigen" von Erich Kästner?

2 Antworten

Um Metaphern zu verstehen, muss man viel gelesen haben und die Fähigkeit, nicht alles rational erklären zu wollen.

Ein Gedicht ist ein Gedicht und kein Gesetzestext.

Ein "Blatt" hat natürlich diese Doppelbedeutung. Und in einem Blatt kann man durchaus genau so "lesen" wie in einem Tagesblatt.

Man liest aus einem Blatt die Fruchtbarkeit der Natur, die Fähigkeit eines Baumes, aus Sonnenlicht das saftige Grün des Frühlings und Sommers zu machen, man liest aus ihm die Fähigkeit, nach dem Welken im nächsten Jahr wiederzukommen, also nicht nur Abschied, sondern zugleich Wiederkehr zu bedeuten.

Ein Blatt kann der Inbegriff der unberührten Natur sein. Und jeder, der sagt, man könne in einem Baumblatt doch nichts lesen, sollte nur noch Sachbücher lesen und sich nicht an Gedichten vergehen.

niklasmichel 
Fragesteller
 15.11.2018, 15:53

Wie ist es jetzt in diesem konkreten Fall?

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mychrissie  15.11.2018, 15:58
@niklasmichel

Diesen zweiten Interprtetationsschritt kannst Du doch wohl selber vollziehen.

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niklasmichel 
Fragesteller
 15.11.2018, 16:02

Haben sie sich das gesamte Gedicht durchgelesen oder beruht ihre Meinung nur auf den zwei Versen?

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mychrissie  15.11.2018, 17:27
@niklasmichel

Jetzt habe ich mir das Gedicht noch mal durchgelesen, wozu ich vorhin nicht genug Zeit hatte.

Meine erste Deutung war also vorschnell, oberflächlich und deshalb falsch. Ich ziehe sie hiermit schamrot zurück.

Das "Blatt" bedeutet hier also doch das Zeitungsblatt und damit wird es zum Bestandteil der städtischen Zivilisation, die Kästner als negativ der unberührten Natur gegenüberstellt. Dass man die Jahreszeiten nur noch dem Wetterbericht der Zeitung entnimmt, weil man die Natur nicht mehr unmittelbar erlebt, erinnert mich an ein Buch von Neil Postman, auf dessen Titelbild ein Pärchen am Strand vor einem prächtigen Sonnenuntergang sitzt und vor ihnen steht ein Fernsehgerät, auf dem sie sich genau diesen Sonnenuntergang betrachten.

Das Blatt steht also in Kästners Gedicht dafür, dass man Natur als Städter praktisch nur aus zweiter Hand "erlebt".

Das ist ähnlich, wie wenn man auf die Frage, ob es regnet, statt aus dem Fenster auf's Handy, auf die wetter.de-App schaut.

Irgendwie muss ich dabei aber auch an die Aussage von Marcel Reich-Ranicki denken, der mal gesagt hat: "Natur ist erst schön, wenn Dichter sie beschreiben". Klar, denn Natur ist ja erst mal nur zweckmäßig, Punkt. Das was wir als "schön" empfinden, interpretieren wir in sie hinein. Man könnte das Gedicht also auch als Auftakt zu einer interessanten Diskussion über Ursprünglichkeit und Verfälschung durch den Menschen begreifen. Oder als Natur contra Kunst. Interessantes Thema, das gerade durch einen Dichter angeregt wird, der damals als "Asphaltlyriker" bezeichnet wurde. Auch deshalb wurden seine Bücher im Dritten Reich ja verbrannt.

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Zeitung. In Baumblättern kann man nicht lesen.

Außerdem geht es ja darum, dass jemand
in der Stadt lebt und darum den Wechsel der
Jahreszeiten im Wald nicht mitbekommt.

niklasmichel 
Fragesteller
 14.11.2018, 18:36

Vielen Dank! Der Meinung bin ich auch, meine Deutschlehrerin jedoch nicht.

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