These Vor Sonnenaufgang?

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Ein Beispiel für eine Thesenbildung in der Wikipedia Dort findest du auch andere Deutungen. Du solltest sie also nicht einfach übernehmen, sondern könntest das Stück auch positiv sehen. Hier sihst du nur, wie man auch einer Sicht auf das Stück eine These formulieren kann:

These von Dieter Martin: „Ein Buch für Schwächlinge mit Selbsttötung als Hauptmotiv"

„Werther“-Allusionen in Dramen des Naturalismus. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 122, 2003, S. 237–265.

Grundgedanke von Martin ist die Selbsttötung als Leitmotiv. Vor Sonnenaufgang thematisiert vier Selbsttötungen: Die ideologisch motivierte Selbsttötung eines ehemaligen Schulfreundes von Hoffmann und Loth (Friedrich Hildebrandt, genannt Fips, S. 10f.), die Selbsttötung des Bauunternehmers Müller,[42] den Selbstmord einer achtfachen Mutter[43] – alle drei narrativ integriert – und schließlich den Suizid Helenes.[44]

Die Anspielungen (Allusionen) auf Johann Wolfgang von Goethes Briefroman Die Leiden des jungen Werthers dienen zum einen der Charakterisierung des Milieus und der Protagonisten, vor allem Helenes, zum anderen der Illustration bürgerlicher Moralvorstellungen; zum Beispiel kritisiert Lottes Verlobter Albert im Werther den Suizid als unmoralische Schwäche, während Werther ihn als Krankheit zum Tode betrachtet. Die Figuren in Hauptmanns Drama übertragen diese kontroversen Meinungen: Frau Krause sieht in der Lektüre ihrer Stieftochter die Ursache von deren Opposition und realitätsfernen Ansichten und möchte ihr solche Bücher verbieten. Die Stieftochter dagegen findet im Werther eine tröstende Versenkung und Fluchtmöglichkeit (Helene: „Es beruhigt so, darin zu lesen“, S. 51). Auch sie würde wie Werther im zweiten Teil des Briefromans gerne entfliehen, scheitert aber genauso wie ihr literarisches Idol. Alfred kann die Begeisterung und Identifikation Helenes nicht nachvollziehen, er plädiert für Bücher wie Ein Kampf um Rom von Felix Dahn, die einen hohen Idealismus der Hauptfigur zeigen. Alles in allem ist der unterschiedliche Literaturgeschmack von Loth und Helene ein signifikantes Beispiel für einen unüberbrückbaren Gegensatz, auch wenn beide ansonsten in ihren Ansichten oft übereinstimmen.

Die Anspielungen sind aber auch Protest gegen die bürgerliche Goethe-Verehrung der Zeit und die Dominanz traditioneller Kunstanschauung, wie sie zum Teil auch noch Loth selbst vertritt: Ibsen und andere Naturalisten sind nur notwendige Übel, aber keine Dichter, weil sie keinen Trunk, sondern Medizin darbieten.

Neben der die Figur Hoffmann diskreditierenden Ansicht, wonach Literatur nur erheitern solle,[45] werden drei mögliche Funktionen von Literatur (aus der Perspektive von Helene und Loth) vorgestellt:

  1. Sie kann den Kranken beruhigen; dafür steht Goethes Werther und Helenes Rezeption dieses Werks; sie hat folglich eine stabilisierende, aber nicht diagnostisch bewusst machende Funktion.
  2. Sie kann den Gesunden stärken, indem sie vorbildlich wirkt und ihn auf das Ideal des künftigen Menschen verpflichtet; dafür steht Loths Rezeption von Ein Kampf um Rom.
  3. Eine solche in Loths Sinne progressiv-idealistische Literatur kann den Kranken kaum kurieren (siehe Helenes Interesse an Zola und Ibsen). Es gehe um die analytisch-therapeutische Funktion naturalistischer Literatur: Sie betreibe soziale Analyse „und sei es, indem sie vorführt, wie die ‚Krankheit zum Tode‘ der unrettbar degenerierten Glieder krisenhaft beschleunigt wird.“[46]