Schule und Erziehung: Was haltet ihr von diesem Brief hier?
Heute erreichte mich der verzweifelte Brief einer Freundin, die Grundschullehrerin ist und aus der St. Gallischen Schweiz wegen einer neuen Stelle an den südlichen Zürichsee zog. Nur 80 Kilometer Unterschied. Und offenbar Welten...
Was sie schrieb, hat mich so nachdenklich gemacht, dass ich sie fragte, ob ich einen Auszug daraus anonym ins Web stellen darf, da es auch um die jetzigen Kriege in der Welt geht. Und um unsere Zukunft.
Wer pädagogisch interessiert ist, mag es lesen und eine Antwort hier posten. Es ist viel Text, ja. Mich hat er recht mitgenommen.
Lieber ........,
darf ich Dich ein bisschen als "Briefkastenonkel" ohne Anspruch auf Antwort anschreiben? Ich habe sozusagen meine ganze letzte Ferienwoche damit verbracht, meine Situation, die der Klasse und der Kinder, innerlich aufzuschlüsseln und zu verstehen.
Meine Schulgemeinde ist nicht multikulti. Fast nicht. In meiner Klasse hat es vor allem Zweitgenerationenkinder ohne inneren Halt, ohne Haltung. Nicht hier nicht dort - zu nichts verpflichtet. Heimat und Verbundenheit wird ersetzt durch ein Bandengefühl, durch Markenartikel, Fussball, Äusserlichkeiten und das Eintauchen in virtuelle Welten.
Empathie, Fantasie, Neugier und Körperlichkeit bleiben auf der Strecke. Als Lehrerin habe ich das Gefühl, ich muss danach suchen wir nach einem Schatz, oder aus dem Koma holen und wiederbeleben.
Und ich lese über all die Kriege, die Gräueltaten unter den Menschen und gegenüber der Natur. Dann stehe ich vor meiner Klasse und denke: Das ist die nächste Generation der lieblosen Vernichter alles Belebten und Beseelten.
Etwas dramatisch, ja, ich weiss.
Aber es ist niemand da.
Wichtig ist: Dass die Kinder lernen, sich gut im Schulzimmer zu benehmen, dass das Material perfekt schön aussieht, der Lehrplan genau eingehalten wird, die Möbel auf **Churer Modell gestylt ...
Ausserhalb des Schulzimmers herrscht die Macht der Stärkeren. Im Gang und auf dem Pausenplatz wird oft weggeschaut, Prügeleien und Gemeinheiten auf dem Schulweg sind egal. Von Herzen gelacht wird wenig. Ausgelacht viel. Und GEFLUCHT!
Ist Friedensarbeit nicht gerade heute in den Schulen ein absolutes MUSS? Wo, wenn nicht in der Schule?
Ich möchte niemandem einen Vorwurf machen. Es wird gut und toll unterrichtet, da kann ich viel profitieren. Aber vor der Seele wird Halt gemacht. Vor der eigenen Betroffenheit genauso wie vor der Bedürftigkeit gewisser Kinder und Eltern. Und eine Gruppenseele ist wohl zu esoterisch versponnen, um sich damit zu beschäftigen.
.......
*Die Lehrerin, die das schrieb, unterrichtet seit 30 Jahren, und dies ist ihre vierte Stelle. Sie ist entstammt einer Künstlerfamilie und liebt ihre Arbeit.
**Das Churer Modell ist ein trendiges Unterrichtssystem.
3 Antworten
Es waere interssant gezielt herauszufinden was den einzelnen bedrueckt, vermisst wird / was fuer "Hilfeschreie" kommen - nicht wertend - und versuchen herauszufinden was fuer Antworten erwartet werden.
Mit dem Zuhoeren und Verstehen lernen, kann eventuell ein gemeinsamer Loesungsansatz entwickelt werden.
Durch Motivatiosfoerderung steigt der Respekt untereinander und die Lernfreude, das Helfen untereinander bekommt mehr Anreiz und Bedeutung.
Ich denke, es gibt viele Texte, die Einfühlung nahelegen. Oft wird es aber leichter über Filme und noch besser über Theater erreicht.
Heimatgefühl haben auch bedeutende Persönlichkeiten nicht unbedingt. "Ich kann überall wohnen, Hauptsache, ein Flugplatz ist schnell zu erreichen." Sich als Weltbürger zu fühlen hat große Vorteile.
Es kommt also darauf an, was die Lehrerin von einer "Seele" erwartet.
Ob die Jugendlichen wirklich so abgebrüht sind? Oder wollen sie der Lehrerin gegenüber nur nicht davon reden, was sie fühlen?
Ich erinnere mich an die Antwort einer Schülerin: "Wir sind nicht gewohnt, dass die Lehrkräfte wissen wollen, was wir denken."
Dann hilft wohl nichts als Begegnung mir Personen, die zuhören können und nahbar sind und etwas Bewegendes erlebt haben. Und für die Musikalischen große Musik. Bei Kunst bin ich skeptisch, da muss man zu viel Eigenes hinzugeben, damit man merkt, was große Kunst ist.
Versuchen kann man auch Filme.
Erziehung ist eben jedem Elternteil vorbehalten. Das gilt nach wie vor. Es gibt keinen Elternführerschein. Und an sich ist da auch gut so, sonst wären wir staatüberwacht - und das will keiner! Wiederum ging man bisher davon aus, dass die meisten Eltern ihren Kindern Anstand beibringen. - Nunja.
Ich bin kein Fan von "Anstand". Ich bin kein Fan davon, dass man gesellschaftskonform erzogen wird verhalte Dich bitte so wie andere Dich gerne hätten. Denn davon hat keiner was!
Viele Eltern sind aber schlichtweg mit der Erziehung überfordert. Auch deswegen, weil sie selbst nicht ideal erzogen wurden: Zu selbständig denkenden Menschen. Und viele Zugereiste wissen scheinbar nicht mal, was Erziehung ist. Dass sich die Lehrerin dann Gedanken macht, kann ich nachvollziehen.
Ich habe meine Kinder bewusst erzogen. Und sie danken es mir jeden Tag.
Ich glaube, was ihr am meisten ausmacht, ist diese innere Leere der Kinder. Die sind wie tot, da kommt nichts. Nur Hüllen, die sind nie "abgeholt" und nie geführt worden. Allein gelassen. Von allen. Und diese Leere wird gefüllt mit Trends und Wut..
Ich glaube, was ihr am meisten ausmacht, ist diese innere Leere der Kinder. Die sind wie tot, da kommt nichts. Nur Hüllen, die sind nie "abgeholt" und nie geführt worden. Allein gelassen. Von allen. Und diese Leere wird gefüllt mit Trends und Wut..Das scheint am Zürichsee viel stärker zu sein, als auf dem Land (Region Appenzell/Toggenburg). Sie hat das besonders bei den Ausländerkindern der zweiten Generation bemerkt. Es war das, was ihr so extrem auffiel. Und daher der Bezug auch zum Krieg...um den Zürichsee rum hat es viele ausländische Zuzügler.