Wenn man sich die Leistungsanforderungen eines durchschnittlichen Gymnasiums der 80er Jahre anschaut, so wird man aufgrund von Schilderungen des Lehrpersonals (sofern bekannt) sehr schnell finden, dass man damit selbst bei dem eigentlich leistungsfähigeren Quentil an seine Grenzen kommt. Das Abitur selbst hat ja auch dadurch, dass es zu einer Regelschullaufbahn geworden ist, seinen Wert verloren. Gleichzeitig sind auch gesellschaftlich zugunsten eines Individualismusbegriffs sehr viele wertgebende gesellschaftliche Grundzüge verlustig gegangen - das, was Herr Eduard Zimmermann noch so schön mit "geordnete Verhältnisse" umschrieb.

Die Welt heute ist im Vergleich dazu in allen Belangen ein Dschungel. Kinder wachsen sehr viel häufiger mit wechselnden "Vaterfiguren" auf. Die Bereitschaft dazu, Verantwortung zu übernehmen, liegt eher an dem Grad der Selbstdefinition als an einem "Pflichtgefühl" - ein solches Empfinden ist ja ohnehin veraltet. Das bedeutet, dass eine Abwägung pro Selbstverwirklichung bzw. pro Selbstdefinition als guter Elternteil immer zur Disposition steht und in bestimmten Lebenssituationen neu verhandelt wird.

Davon abgesehen, bemerke ich selbst in meinem Bekanntenkreis, dass die Bereitschaft zur Verantwortung mit der ansteigenden mangelnden Sanktion immer weiter sinkt. Es hat keine gesellschaftlichen Konsequenzen mehr, das Kind auch mal der Tagesmutter zu überantworten. Es hat ebensowenig gesellschaftliche Konsequenzen, sich zu trennen - dann wächst das Kind halt in einer Patchworkfamilie auf, jeder wie er will. Das Kind ist keine Ausrede mehr dafür, sich selbst nicht zu verwirklichen, beruflich voranzukommen. Häufig sind nicht nur berufstätige, auch arbeitslose Eltern so mit ihren Kindern überfordert, dass hier die Großeltern einspringen. In einer Gymnasialklasse eines befreundeten Lehrers waren 8 von 29 Schülern mindestens einen Großteil der Woche der Obhut ihrer (meist hochbetagten) Großeltern überantwortet, während die alleinerziehende Mutter (in allen Fällen) mit ihren eigenen Turbulenzen kämpfte. In einem dieser Fälle hat dies die Mutter jedoch nicht davon abgehalten, während eines Elternsprechtages die hochbetagten Großeltern anzuranzen, sie hätten ja in der Erziehung versagt.

Geordnete Verhältnisse, in denen so veraltete Dinge wie Pflichtbewusstsein, Disziplin (also das nötige Durchhaltevermögen) oder aber auch das Empfinden, etwas lernen zu müssen, um klüger zu werden, werden insgesamt rarer. Dafür herrscht (dank der vielen Reformen) eher ein wirtschaftsfreundliches Klima mit hohem Konkurrenzdruck und der Erwartung, mit spätestens 21 Jahren endlich (!) der freien Wirtschaft zur Verfügung zu stehen.

Verbunden mit dem geringen Wert des Abiturs ist auch eine allgemeine Niveausteigerung. Es ist bsplw. in meiner Wohnregion (Münsterland/Ruhrgebiet) außerordentlich schwer, einen Ausbildungsplatz zum Friseur mit einem Hauptschulabschluß zu finden. Darauf angesprochen, beklagen die Friseure, dass die Menschen, die sich bewerben, basale soziale Fähigkeiten, die eigentlich einer zivilisierten zwischenmenschlichen Kommunikation entsprächen, nicht verinnerlicht hätten. D.h., sie waren im Kundenumgang wirsch, bei Vorstellungsgesprächen unstrukturiert, teilweise unverschämt, heillos damit überfordert, pünktlich zur Arbeit zu erscheinen und einen Kunden nicht so zu behandeln, als sei er der persönliche Sklave des Auszubildenden. Damit einhergehend ein hohes Anspruchsdenken hinsichtlich der Gehaltsvorstellungen.

All diese Entwicklungen liegen nicht nur an einem einzigen Punkt, an dem man es festmachen könnte. In diesem Beitrag habe ich mich nur auf den Wegfall zwei wichtiger Säulen berufen: 1.) Dem Wegfall des Sicherheitsgefühls, das jeder Mensch, gerade in seiner Kindheit, benötigt; 2.) der Tatsache, dass Bildung an sich kein Wert mehr ist, sondern "Wert" nur noch im ökonomischen Sinne begriffen ist.

So gut ich es auch finde, dass man bsplw. Patchworkfamilien toleriert, so muss man kritisch hinterfragen, in was für Lebensverhältnisse man Kinder setzt und inwieweit man nicht dafür sorgen sollte, mehr dem Kind und weniger den eigenen Lebensansprüchen gerecht zu werden. In dem Zusammenhang verstehe ich auch die Grundablehnung gleichgeschlechtlicher Adoption nicht - viele homosexuelle Paare wären vorzüglich dazu in der Lage, genau für die geordneten Verhältnisse zu sorgen, die einem Kind, das zur Aufbewahrung in einem Heim verdammt ist, auch in seiner persönlichen Entwicklung guttäten.

Sicherlich spielen in die allgemeine Entwicklung viele weitere Faktoren mit hinein. Und sie alle sind nicht intelligenzbezogen. Insofern stimmt der Begriff "dumm" auch nicht. Wir reden hier nicht über eine flächendeckende Intelligenzminderung, sondern um eine Verkümmerung bestimmter Verhaltensweisen, die aufgrund mangelnder Orientierung entstehen. Und davon ab ein Produkt eines nicht mehr funktionierenden Bildungssystems sind. Es gibt de facto keinen Regelschulweg mehr für einen Schüler, der bsplw. Friseur werden will. Er muss, um überall Chancen zu haben, mindestens einen Realschulabschluß mit Zulassung zur gymnasialen Oberstufe erreichen. Das ist eine weitere verheerende Entwicklung.

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