Wieso reparieren manche Fahrrad-Werkstätten keine Super- und Baumarkt-Räder für 200€?

12 Antworten

Erstens gibt es auf die Reparatur Gewährleistung. Die kann man aber bei so billigem Material nicht geben. Wenn das also nach einer Woche gleich wieder kaputt ist, beschwert sich der Kunde und prompt ist meistens in seinen Augen natürlich nicht das billige Material Schuld, sondern natürlich die "böse" Fahrradwerkstatt, die angeblich gepfuscht hat.

Zweitens kann so eine Reparatur ein "Fass ohne Boden" sein.

Fiktives Beispiel, kann genau so aber passieren:

Das Pedal ist kaputt und muss getauscht werden. Pedale gibt es schon mal nur paarweise, also müssen beide getauscht werden. Dabei stellt man fest, dass eines der beiden beim Einbau ab Werk schon schief ins Gewinde an der Billigkurbel gedreht wurde und das Kurbelgewinde dabei irreparabel beschädigt wurde. (Montage-Pfusch ab Werk ist bei No-Name Billigrädern eher die Regel als die Ausnahme.)

Also muss die Kurbel auch noch getauscht werden. So eine serienmäßig verbaute 3 Euro Blechkurbel gibt es aber nicht einzeln im Zubehör und der in Taiwan sitzende Hersteller des Rades liefert natürlich auch keinen Ersatz einzeln. Also muss eine andere her, die es auch einzeln zu kaufen gibt und da gibt es nur bessere, von denen die einfachsten von mir aus dann schon 15 Euro pro Stück kostet.

Davon sollte man dann aber auch gleich zwei verwenden, denn rechts und links sollten ja die gleichen verbaut sein. Also werden letztlich wegen einem defekten Pedal beide Kurbeln und beide Pedale ausgetauscht, zum entsprechenden Preis.

Im dümmsten Fall - und den nehmen wir hier mal an, weil es sich ja um ein fiktives Beispiel handelt - passen die neuen Kurbeln dann aber nicht so einfach auf die Tretlagerachse, weil die für diese Kurbeln zu kurz ist oder weil damit die Kettenlinie nicht mehr stimmt (Schaltung würde nicht mehr richtig funktionieren), so dass auch noch ein neues, zu den Kurbeln passendes Innenlager her muss. Nochmal 10 Euro mehr sind fällig, für ein preiswertes Modell und natürlich schon ohne Montage.

Der (sehr preisbewusste) Kunde beschwert sich dann, warum viel mehr gemacht wurde, als seiner Ansicht nach notwendig war und dann auch noch mit "unnötig teurem" Material, weil das nun verbaute ja viel mehr kostet als das, was vorher montiert war.

Ein fiktives Beispiel, wie gesagt, aber so ähnlich geht das wirklich oft bei Billigrädern. Das Theater kann man sich sparen, wenn man solche Räder erst gar nicht zur Reparatur annimmt.

Drittens funktioniert bei Billigrädern vieles niemals richtig, weil es von Anfang an unsauber gearbeitet ist oder eine Fehlkonstruktion. Das kann man also überhaupt nicht einhundert Prozent korrekt reparieren oder einstellen. Besonders "gerne" funktionieren Bremsen und Schaltung bei Billigrädern NIEMALS optimal, d.h. sie lassen sich auch nicht völlig korrekt einstellen. Wenn es aber nur 95 Prozent ist, beschwert sich der Kunde auch - und zwar natürlich nicht über sein Billigrad sondern über die "unfähige" Werkstatt, die noch nicht mal eine einfache Schaltung oder Bremsen vernünftig einstellen kann.

Auch das kann man sich sparen, indem man solche Räder erst gar nicht annimmt.

Viertens gibt es ganz billiges Material - wie oben am Beispiel der Kurbeln erwähnt - oft überhaupt nicht einzeln zu kaufen. Ersatzteile haben also eine wesentlich höherer Qualität und entsprechend höheren Preis. Wenn dadurch eine Reparatur (auch schon ohne das viel mehr ausgetauscht werden muss) inklusive Lohnkosten so viel kostet, wie das halbe Fahrrad neu gekostet hat, beschwert sich der Kunde auch.

Auch das kann man sich sparen.

Fazit:

Räder aus der aller untersten Preis-Schublade, aus dem Baumarkt, dem Großmarkt auf der grünen Wiese oder von dubiosen Internethändlern lassen sich oft überhaupt nicht korrekt reparieren und erst recht nicht in einem dem Kaufpreis des Rades angemessenen Preis-Leistungs-Verhältnis.

Deshalb sparen sich viele Fahrradwerkstätten den Ärger nehmen sie erst gar nicht zur Reparatur an.

Kann ich persönlich sehr gut nachvollziehen.

Hier ein älterer aber brauchbarer Testbericht, der dir mehr oder weniger recht gibt.

https://www.knetfeder.de/magazin/2012/thema/baumarktfahrrad/

Fazit: Man kann schon ein Baumarktrad kaufen, wenn man sich erstens auskennt und nicht auf ein Schnickschnack-2000-Rad reinfallt und man zweitens keine Probleme mit den bald anfallenden Reparaturen hat. Kämen Werkstattkosten hinzu, rechnet sich so ein Rad absolut nicht.

Interessant auch: Ältere real-Räder, Stahl, kein Federzeugs, u. ä., sind besser als die neueren.

Und die lustigsten Defekte am Billigrad, ich habe ja öfter damit zu tun:

  • Räder lösen sich regelrecht auf, Speichen waren nicht angezogen
  • Kugeln im Lauflager sind sofort gebrochen. Schon ein paar Fragmente so einer Kugel im Lager machen fürchterlich laute Schläge
  • Sattelstütze ist zu dünn für das Sattelrohr

Das sind Defekte, die auch den nicht technophoben Hobbyhandwerker vor Probleme stellen, wenn er denn kein Fachmann für Fahrräder ist.

PS. Bei den absolut miesen Billigkomponenten tippe ich eher auf Kontinentalchina oder ein südostasiatisches Land als auf Taiwan.

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@FelixLingelbach

Ich hab neulich nicht schlecht gestaunt als das Problem mit der Sattelstange jetzt auch bei Puky der Fall ist. Gelöst wurde das mit einer Plastik hülse.

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@AntiRedlich

Ja, oft wird diese Distanzhülse von vornherein eingeplant um auf eins der gängigeren Maße zu kommen. Man muss sie dann aber auch einsetzen.

Es kommt auf den Zehntelmillimeter an und es gibt mindestens 20 verschiedene Durchmesser bei den Sattelstützen. (Bei den Außendurchmessern der Rohre vom Rahmen gibt es viel weniger. Unterschiedliches Rohrmaterial führt dann zu dieser Unzahl von Innendurchmessern für die Stützen.)

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Das glaub ich jetzt nicht. Wenn es nur eine Kleinigkeit ist, machen die das bestimmt. Wenn die Reparatur den Neupreis übersteigt machen die Kunden das nicht.

Das liegt daran dass die Kundschaft die solche Fahrräder kauft angesichts dessen Kaufpreises nicht einsieht, dass eine Inspektion/Reparatur schnell den Zeitwert des Rades übersteigt. Die Folge sind fruchtlose Diskussionen in der Art von "Geht das nicht vielleicht doch billiger", "was ist denn wenn Sie nux XY reparieren aber Z nicht" usw., und genau mit solchen Diskussionen verdient der Fahrradhändler keinen Cent.

Der Kunde mit einem Bosch-E-Bike blättert ohne mit der Wimper zu zucken für eine jährliche Inspektion den Gegenwert eines neuen Baumarktrades auf den Tresen, der Fahrradhändler kann seine Arbeit machen und am Monatsende seine Mitarbeiter bezahlen, keine Selbstverständlichkeit  in dieser Branche!

Woher ich das weiß:Berufserfahrung

Das Problem an den 200€ Rädern sind deren oft mangelhafte Verarbeitung und das sich die Werkstätten aus Gründen fehlender Ersatzteile aber auch zur rechtlichen Absicherung von diesen "Drahteseln" fern halten.

Aber ich lasse mal eine Fahrradwerkstatt zu Wort kommen die genau sagt warum: https://www.waz.de/staedte/velbert/fahrrad-haendler-will-keine-discount-raeder-reparieren-id210699437.html

Und noch was zum nachlesen: https://www.knetfeder.de/magazin/2012/thema/baumarktfahrrad/

Woher ich das weiß:Recherche

Aber sooo schlecht ist doch das Billigrad gar nicht gewesen laut dem Knetfeldertest. Ich hatte es mir viel schlimmer gedacht.

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@Nitram

Mag ja sein, dennoch ist den meisten Fahrradwerkstätten die Gefahr zu groß für Mängel die eventuell nach einer Reparatur an einem Billigrad auftreten, haftbar gemacht zu werden. In der Branche gibt es diesbezüglich genug Erfahrungssammlungen dazu ....

Und hinzu kommt auch: Wird dem Kunden die Reparatur am Ende zu teuer holt er das Rad nicht ab sondern gleich ein neues Billigrad und der Depp ist am Schluß die Fahrradwerkstatt die den Ärger hat sich ihr Geld zurück zu holen! Auch Erfahrungswerte ....

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@dieschi

Da hilft nur Vorkasse und der Hinweis für ein höherwertiges Rad und das geschickt an den Kunden bringen und schon hat er vielleicht einen zufrieden neuen Kunden

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a) lohnt das meist einfach nicht. Findest du es sinnvoll, eine Reparatur von 50-80€ an einem Fahrrad durchzuführen, dessen Restwert unter 50€ liegt?

b) ist meist der Arbeitsaufwand bei den Billigrädern größer, weil sie ungepflegt sind und "vorgestrige" Standards verwenden. Allein die Suche nach einem passenden Ersatzteil kann zur Nervenprobe werden. Außerdem hat der Kunde meist wenig Verständnis, wenn die Kosten für die Montage den Preis des Ersatzteils deutlich übersteigen.

c) ist natürlich dem Händler auch ein Verlust entstanden, weil du das Fahrrad im Baumarkt gekauft hast, und nicht bei ihm. Aber wenn das Billigzeug dann den Geist aufgibt, soll er es richten, anstatt ein anständiges Fahrrad verkaufen zu können.

Wenn er es gut anstellt verkauft er aber nun eines seiner Räder nach dem Sprichwort - Wer billig kauft, kauft zweimal -

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@Nitram

Was dann ja bedeutet, dass die Billigschüssel nicht repariert wird ;)

Nicht jeder ist zu der mentalen Leistung "okay, ich habe zu billig eingekauft, das wird dann jetzt unterm Strich deutlich teurer" in der Lage. Viele, die diese 189€-Fahrräder fahren, glauben dass das hochwertiges Material ist und schon die 500€-Fahrräder beim Händler völlig überzogen sind. Und dabei nichtmal vollgefedert!

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