Was jagten Raptoren?

4 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Man weiß es nicht genau. Anders als bei heute lebenden Tieren kann man ihr Verhalten und ihre Jagdgewohnheiten ja nicht beobachten. Man kann sich nur ihre fossilen Überreste möglichst genau anschauen und daraus die wahrscheinlichsten Hypothesen ableiten. Bislang ist nicht einmal wirklich eindeutig belegt, ob Dromaeosaurier überhaupt in Rudeln gelebt haben.

Die Vermutung, dass Dromaeosaurier deutlich größere Beutetiere durch kooperative Jagd erlegt haben könnten, kam vor einigen Jahrzehnten auf, als man neben dem Fossil eines großen pflanzenfressenden Tenontosaurus auch Fossilien (v. a. Zähne) von Deinonychus anthirrhopus fand, einer der bekanntesten Gattungen der Dromaeosaurier. Man vermutete deshalb, dass Tenontosaurus zum Beutespektrum von Deinonychus gehört haben könnte, da er aber viel zu groß für einen einzelnen Raptor war, leitete man daraus die Vermutung ab, die Raptoren könnten sie gemeinschaftlich gejagt haben. Unterstützt wird diese Hypothese durch 2010 von Paul Gignac und seinem Team entdeckte Bissspuren an Tenontosaurus-Fossilien, die sie Deinonychus zuschreiben. Solche Spuren könnten natürlich auch entstehen, wenn Deinonychus ein Aasfresser gewesen wäre, der einfach die Überreste eines Kadavers verzehrt hätte. Träfe das zu, müssten sich aber viel häufiger Bissspuren auf den fossilen Überresten finden. Weil Bissspuren aber eher selten sind, vermuten die Forscher deshalb, dass Deinonychus tatsächlich Tenontosaurus gejagt hat. Weitere Indizien, die für die Hypothese sprechen: man hat Fußspuren mehrerer Dromaeosaurier gefunden, die man Deinonychus zuschreibt. Weil die Fährten der einzelnen Individuen parallel zueinander verlaufen, kann man annehmen, dass sie von mehreren Tieren stammten, die gleichzeitig nebeneinander her liefen.

Jüngst wurde eine Studie von Joseph Frederickson und Kollegen veröffentlicht, welche die Hypothese von der gemeinschaftlichen Jagd anzweifelt. Sie stützen sich darauf, dass kooperative Jagd zwar unter Säugetieren vorkäme, so z. B. bei Raubtieren wie Wölfen (Canis lupus) und Löwen (Panthera leo), aber auch bei Zahnwalen wie Tümmlern (Tursiops truncatus) und Orcas (Orcinus orca). Ausgerechnet bei den nächstlebenden Verwandten der Dromaeosaurier, den Vögeln, gebe es jedoch keine kooperativ jagenden Arten. Sie glauben eher, dass Dromaeosaurier nicht gemeinschaftlich auf die Jagd gingen. Dabei gehen sie von der Überlegung aus, dass gemeinschaftlich jagende Arten ihre Jungen mit erlegten Beutetieren füttern würden, die Zusammensetzung der Nahrung müsste dann bei den Jungtieren und den erwachsenen Tieren übereinstimmen. Bei einzelgängerisch lebenden und nicht gemeinschaftlich jagenden Tieren wie z. B. Krokodilen (Crocodylia) oder Komodo-Waranen (Varanus komodoensis) unterscheidet sich die Nahrung von Jungtieren und Erwachsenen hingegen beträchtlich. Junge Krokodile müssen schon von Geburt an selbst für ihre Nahrung sorgen und erbeuten deshalb nur kleine Tiere, v. a. Insekten und andere Wirbellose und kleine Fische. Adulte Krokodile hingegen ernähren sich vorwiegend von größeren Fischen und großen Säugetieren. Um ihre Hypothese nun bei Dromaeosauriern zu testen, schauten sie sich die Zähne von Deinonychus-Fossilien genauer an. Während die Zähne wachsen, werden Kohlenstoff- und Sauerstoffisotope je nach Art der verzehrten Nahrung in die Zähne eingebaut. Genau diese Isotopenmuster spürten die Forschenden nun mittels neuester Verfahren sowohl bei Zähnen noch nicht ausgewachsener als auch bei Zähnen adulter Deinonychus-Fossilien auf und verglichen sie miteinander. Dabei stellten sie fest, dass die Isotopenmuster bei den juvenilen und den erwachsenen Fossilien unterschiedlich sind und schlussfolgerten, junge Deinonychus fraßen andere Beutetiere als erwachsene.

Nun ist diese Untersuchung aber noch lange kein endgültiger Beweis, der die Hypothese der gemeinschaftlichen Jagd bei Dromaeosauriern endgültig widerlegt. Zum einen irren sich Frederickson und sein Team, wenn sie davon ausgehen, kooperatives Jagdverhalten wäre bei Vögeln nicht bekannt. Tatsächlich ist von Wüstenbussarden (Parabuteo unicinctus) bekannt, dass sie gemeinschaftlich jagen. Und auch Pelikane (Pelecanus) treiben sich zur Maximierung des Fangerfolgs gegenseitig Fische zu.
Darüber hinaus gibt es für das Zustandekommen unterschiedlicher Isotopenmuster bei Alt- und Jungtieren auch eine ganz andere Erklärungsmöglichkeit. Bei sehr vielen Vogelarten unterscheiden sich die Nahrungsgewohnheiten der Alt- und Jungvögel nämlich erheblich, trotzdem werden die Jungen von ihren Eltern gefüttert und müssen sich ihre Nahrung nicht selbst besorgen. Weil junge Vögel sich im Wachstum befinden, ist ihr Proteinbedarf im Vergleich zu dem der Altvögel deutlich höher. Viele unserer einheimischen Singvogelarten wie z. B. Blaumeisen (Cyanistes caeruleus) fangen während der Brutsaison viele Insekten und füttern damit ihre Jungen. Nur mit dieser tierischen Kost lässt sich der enorme Proteinbedarf ihrer Jungen decken. Als erwachsene Vögel ernähren sich Blaumeisen hingegen vorwiegend von deutlich proteinärmeren Sämereien und Körnern. Es ist daher möglich, vielleicht sogar viel wahrscheinlicher, dass die in der Untersuchung festgestellten verschiedenen Isotopenmuster lediglich das Resultat eines unterschiedlichen Nährstoffbedarfs von Jung- und Alttieren sind und gar keine Aussage darüber getroffen werden kann, ob die Jungtiere der Dromaeosaurier sich selbst versorgten oder gefüttert wurden.

Noch etwas muss man bedenken: gemeinschaftliche Jagd ist nicht der einzige Grund, weshalb Tiere in Sozialverbänden leben. Bei Löwen beispielsweise kommt gemeinschaftliche Jagd zwar vor, aber nur bei sehr großen Beutetieren, z. B. bei der Jagd nach Zebras, Büffeln oder selten auch Giraffen. Kleinere Beutetiere wie etwa Gazellen, Warzenscheine oder Impalas, die regional einen Großteil der erlegten Beutetiere ausmachen, werden üblicherweise allein erbeutet (übrigens: es ist daher auch ein Mythos, die Jagd im Löwenrudel sei ausschließlich Sache der Löwinnen. Auch Löwen-Kater gehen jagen, mitunter beteiligen sie sich sogar an der gemeinschaftlichen Jagd). Der wahre Vorteil für das Leben im Rudel besteht für Löwen darin, dass sie gemeinschaftlich ihre Jungen aufziehen können und sich dabei gegenseitig unterstützen. Das geht so weit, dass Löwinnen sogar fremde Jungen säugen. Grund dafür ist die Verwandtenselektion. Weil die Weibchen eines Rudels alle untereinander verwandt sind, kommt die Unterstützung der anderen Löwinnen letztendlich dennoch der Weitergabe der eigenen Gene zugute.
Das heißt also: selbst wenn Raptoren nicht gemeinschaftlich auf die Jagd gingen, muss das nicht zwangsläufig heißen, dass sie nicht dennoch in Rudeln gelebt haben.

Und zum Schluss noch eine Bemerkung: Untersuchungen an einer einzelnen Spezies dürfen nicht dazu verleiten, Rückschlüsse auf alle Dromaeosaurier zu ziehen. Selbst innerhalb einer einzigen Gattung können sich die Ernährungsgewohnheiten und Verhaltensweisen beträchtlich unterscheiden - während Löwen gemeinschaftlich jagen, tun die nah verwandten Tiger (Panthera tigris), Leoparden (Panthera leo), Irbisse (Panthera uncia) und Jaguare (Panthera onca) das nicht. Nur weil Deinonychus gemeinschaftlich jagte (oder auch nicht), muss das deshalb nicht zwangsläufig bedeuten, dass dies auch auf alle anderen Gattungen der Dromaeosaurier zutrifft. Selbst Experten können allein anhand des Skeletts einen Tiger und einen Löwen kaum voneinander unterscheiden. Würden Paläontologen in ferner Zukunft nichts über Tiger und Löwen wissen, würden sie vermutlich nicht im Traum darauf kommen, dass sich ihre Lebensweise so deutlich voneinander unterscheidet. Sie würden vermutlich nicht einmal erkennen, dass es sich um verschiedene Arten handelt. Bei Dromaeosauriern, die ja alle unterschiedlichen Gattungen angehörten, die ganzunterschiedliche Größen erreicht haben, dürften sich die Nahrungsgewohnheiten der einzelnen Arten daher erheblich voneinander unterschieden haben.

Überhaupt wissen wir über die Ernährungsgewohnheiten anderer Dromaeosaurier recht wenig. Von Velociraptor mongoliensis wissen wir immerhin, dass die Gattung Protoceratops zu seinen Beutetieren gehörte. Eines der bis heute schönsten und interessantesten je gefundenen DInosaurierfossilie zeigt nämlich einen Velociraptor, der gemeinsam mit einem Protoceratops noch beim "Todeskampf" ineinander verschlungen war, als beide, vielleicht bei einem Erdrutsch, einem Sandsturm oder einem Erdbeben, zu Tode kamen. Dieser Fund lässt daher auch vermuten, dass Velociraptor Beutetiere, die etwa gleich groß wie er selbst waren, wohl eher einzeln und nicht in der Gruppe gejagt hat.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig

Man weiß noch nicht, ob sie im Rudel gejagt haben. Es gibt einen Fund, wo noch sein Beutetier dabei war (Protoceratops andrewsi). In der Größe unterscheiden die sich nicht stark. Wenn man sich die Raubtiere heute so anschaut, haben sie keine Beutetiere, die ihnen weit überlegen sind, auch wenn sie im Rudel jagen (z.B. Löwen). Ein erwachsener Elefant wird z.B. selten angegriffen, eher die kleineren Jungtiere gehören zur Beute. So war es vermutlich auch bei Raptoren.

Jagten Raptoren im Rudel?

Bild zum Beitrag

Paläontologen bezweifeln das Image der prominenten Raubsaurier. leonello/iStock

Focus

Ihre tödliche Teamarbeit hat sie berühmt gemacht: In Filmen wie „Jurassic Park“ werden die sogenannten Raptoren als soziale Räuber dargestellt, die ähnlich wie Wölfe im Rudel jagten. Doch was ist dran an diesem Image? Paläontologen stellen es nun in Frage, denn ihnen zufolge sprechen Hinweise auf Ernährungsunterschiede zwischen jungen und erwachsenen Tieren eher gegen die These vom kreidezeitlichen Rudeltier.

Neben Tyrannosaurus rex und Co sorgten sie schon mehrfach für Spannung im Kino: die sogenannten Raptoren. Es handelt sich dabei um Vertreter der Dinosauriergruppe der Dromaeosauriden – mittelgroße, auf den Hinterbeinen laufende Raubsaurier. Als Vorlage für die furchterrregenden Filmstars diente der bis zu 3,4 Meter lange Deinonychus antirrhopus, der zur Untergruppe der Velociraptorinae gehörte. Klar ist bereits, dass ein Merkmal der Raptoren in den Filmen stets falsch dargestellt wurde: Sie waren nicht nackt oder schuppenbesetzt. Denn vermutlich besaßen alle Dromaeosauriden ein Federkleid, wie mittlerweile aus zahlreichen Funden bekannt ist.

Spekulationen über Rudel-Verhalten

Doch wie sieht es mit dem Verhalten aus, das die Rolle der Raptoren in den Filmen prägt? „Da wir diese Dinosaurier nicht bei der Jagd beobachten können, müssen wir indirekte Methoden anwenden, um Rückschlüsse auf ihr Verhalten zu ziehen“, sagt Joseph Frederickson von der University of Wisconsin in Oshkosh. „Die Hinweise, wonach diese Raubsaurier im Rudel jagten, sind nur vage“, betont der Paläontologe. Bisher wurden Funde von gemeinsam fossilisierten Exemplaren als Indizien für entsprechende Verhaltensweisen gewertet. Auch Versteinerungen von Spuren der Raubsaurier, die nebeneinander verlaufen, wurden als Hinweise dafür gewertet, dass die Raptoren in Gruppen lebten und möglicherweise gemeinsam jagten.

Doch wie Frederickson und seine Kollegen erklären, sind auch andere Ursachen für diese Funde möglich. Grundsätzlich geben sie dabei zu bedenken, dass das Jagdverhalten im Rudel zwar für einige Säugetiere typisch ist, aber nicht für die nächsten noch heute lebenden Verwandten der Raptoren – die Vögel. In ihrer Studie verdeutlichen die Wissenschaftler nun, dass es auch möglich ist, dass sich die Raubsaurier ähnlich wie die heutigen Komodowarane oder Krokodile verhalten haben: Oft greifen zwar mehrere Exemplare dieser Tiere ein Opfer gleichzeitig an, doch dabei kommt es nicht zu einer komplexen Zusammenarbeit wie in einem Rudel.

Verhalten im Spiegel von Isotopenanalysen

„Im Rahmen unserer Studie zeigen wir nun auf, dass es eine Verknüpfung zwischen dem Rudel-Jagdverhalten von Tieren und ihrer Ernährung während ihrer Entwicklung gibt“, sagt Frederickson. Bei Wolf und Co bringen erwachsene Tiere ihren Jungen die Jagdbeute – dadurch ernähren sich alle Altersstufen prinzipiell von der gleichen Nahrung. Bei Komodowaranen oder Krokodilen werden die Jungen hingegen nicht gefüttert, sondern suchen sich ihre eigenen, zumeist kleineren Beutetiere. Ihre Nahrung unterscheidet sich dadurch deutlich von derjenigen der erwachsenen Tiere, erklären die Wissenschaftler.

Um Rückschlüsse auf die Verhaltensweisen der Raptoren zu gewinnen, haben sie nun chemische Analysen von fossilen Zähnen junger und älterer Exemplare von Deinonychus durchgeführt. Wie sie erklären, hinterlässt die Ernährungsweise eines Lebewesens beim Wachstum der Zähne charakteristische Spuren in ihrem Material. Vergleiche der Isotopen-Signaturen von Kohlenstoff und Sauerstoff lassen somit Rückschlüsse darauf zu, ob sich der Speiseplan zwischen jungen und alten Exemplaren unterschied.

Wie Frederickson und seine Kollegen berichten, zeichnete sich in den Untersuchungsergebnissen ab: Ähnlich wie bei Krokodilen gab es auch bei den Raptoren einen Unterschied in der Ernährung zwischen den jungen und den erwachsenen Tieren. Darin könnte sich widerspiegeln, dass diese Raubsaurier ihrem Nachwuchs keine Nahrung brachten, wie es bei heutigen Tieren mit sozialem Jagdverhalten üblich ist. „Deshalb glauben wir, dass die Darstellung des Verhaltens der Raptoren in Jurassic Park nicht der Realität entspricht“, resümiert Frederickson. Der furchterregende Velociraptor und seine Verwandten könnten demnach ein weniger raffiniertes Jagdverhalten bezeigt haben, als Hollywood es darstellt.

Quelle: University of Wisconsin in Oshkosh, Fachartikel: Palaeogeography, Palaeoclimatology, Palaeoecology, doi: 10.1016/j.palaeo.2020.109780

Woher ich das weiß:Recherche
 - (Tiere, Wissenschaft, Natur)