Was ist der evolutionäre Vorteil oder Sinn von Musik?
Warum gibt es Musik, bzw wieso gefällt sie uns? Alles "rudimentäre" (mit fällt kein besserer Begriff ein), was uns Freude bereitet, hat einen biologischen Sinn und dient dem Fortbestand der Art. Sex (bedarf keiner Erklärung), Wald (Schutz und Sicherheit und Nahrung/Wasser im Gegensatz zur offenen und trockenen Savanne) usw. Aber wozu ist/war Musik nützlich ?
Weshalb wird außerdem, nicht jeder Klang oder Klangfolge als harmonisch oder als Musik schlechthin empfunden? Wieder aus naturwissenschaftlicher Sicht des Biologen.
8 Antworten
Da frag mal die Nazis! Die wussten das genau und haben Musik für das Gemeinschaftsgefühl und für den Transport ihrer Botschaften sehr gut genutzt (Marschlieder usw.).
Ich denke, das kann man so stehen lassen - Musik stärkt das Gemeinschaftsgefühl, heute schunkelt man oder tanzt oder summt oder singt mit. Das dürfte in den Anfängen auch schon ähnlich gewesen sein. Zudem kann das zu so einer Art meditativem Zustand führen, man wird entspannt, aber man bindet sich auch (heute noch) an die Gruppe, die musiziert (heute: Festivals, kirchliche Chöre etc.).
Musik kann auch Endorphine freisetzen, also könnte man auch gegen Ängste musiziert haben. Draußen lauern die wilden Tiere oder das bedrohliche Wetter, drinnen wird gesungen und Flöte gespielt.
Die Basis von Musik ist ein Rhythmus. Den haben wir alle im Blut, wir laufen/ marschieren z.B. auch alleine meist nach einem bestimmten Rhythmus. Dazu kann man dann klatschen oder sprechen - so dürfte es angefangen haben. Viele summen, wenn sie sich selbst beruhigen wollen, in Stress-Situationen oder, um andere, etwa Kinder zu beruhigen. Das könnte auch noch ein wichtiger Grund gewesen sein.
Viele Menschen klatschen ganz von allein, wenn sie erregt sind (wütend, aufgebracht) oder auch, wenn sie Musik hören. Aber auch, um sich aufzuwärmen im Winter. Beides könnte also miteinander verbunden sein, jemand klatschte, um sich aufzuwärmen, andere merkten, dass es da einen Rhythmus gab und man klatschte mit und dann gab es vielleicht so etwas wie rudimentäre Sprechgesänge/ Rap dazu, was dann ausgebaut wurde.
Ich denke jedenfalls, dass die Gruppe und der Gruppenzusammenhalt eine wesentliche Rolle spielte. Musik allein zu machen oder zu hören kam erst wesentlich später und ist heute mMn immer noch eher selten. Musik erinnert uns meist an jemanden, Eltern, Erzieher in der Kinderzeit, Freunde in Grundschulzeit und Jugendalter, das erste Konzert, das erste Festival, Feste (Weihnachts- und Geburtstagslieder), oft bringt ein alter Song Erinnerungen daran zurück, was man tat, als man den Song zum ersten oder letzten Mal hörte usw. Das dürfte in den Anfängen auch ein treibender Punkt gewesen sein. Man merkte, dass man über Musik etwas fühlen, erinnern und teilweise steuern konnte. Also rituelle Lieder einführen konnte für Jagt, gegen Angst usw. So dürften dann später traditionelle Lieder entstanden sein wie eben Geburtstagslieder, Trinklieder, Weihanchtslieder, Kirchenlieder.
Ich danke Dir für diese tolle, nachvollziehbare und sehr hilfreiche Antwort.
Was ist der evolutionäre Vorteil oder Sinn von Musik?
Es gibt keinen.
Es gibt einen Hang zum - möglichst gesicherten - Wohlbefinden, der seinen Ursprung in früheren Evolutionsstufen hat: Die Höhle mit einem wärmenden Feuer, die davor bewahrt, im Winter zu erfrieren. Nahrungsmittelvorräte und erster Ackerbau, die davor bewahren, in schweren Zeiten zu verhungern.
Dieser Hang zum Wohlbefinden - gerne auch auf Kosten anderer - endete nicht mit der Sicherung des Lebensnotwendigen sondern führte in der Folge dazu, sich mit nicht lebensnotwendigen aber schönen Dingen zu umgeben: mit Kunst.
LG
Arlecchino
Unterhaltung, Lebensfreude, sie kann auf gesellschaftliche Probleme aufmerksam machen uns somit helfen. Das wären die einzigen Dinge, die mir einfallen würden.
Weshalb wird außerdem, nicht jeder Klang oder Klangfolge als harmonisch oder als Musik schlechthin empfunden?
das ist eine einfache physikalische Beziehung. Harmonie hat mit ganzzahlig rationalen Verhältnissen von Frequenzen zu tun. Die Oktave hat ein Verhältnis von 2, die Quint 3/2 usw. Dahinter steckt die mögliche Fouriersynthese beliebiger Wellenformen aus Sinuswellen mit ganzzahligen Vielfachen einer Grundfrequenz (sog. Obertöne).
ja, auch Renaissance ist kein Problem. Ich mache selbst ITM, die viel davon übernommen hat.
Was ist ITM?
Beispiele die ich bringen wollte sind Monteverdis "Zephiro torna" und Rameaus "Rondeau des sauvages"/ "les sauvages" aus "les indes galantes". Wenn du eines davon kennst weißt du vielleicht auf was ich hinaus will.
Musik aus jener Zeit und die Musiker die sie machen spielen gerne mit den verschiedenen reinen und temperierten Stimmungen herum (das Pythagoräische Komma muss sich doch lösen lassen), und ihre Instrumente haben oft verschiebbare Bünde oder andere subtile Methoden dafür. Auch ich tue solches (die G- und E-Saiten meiner Mandola spreize ich in der Stimmung etwas auseinander, um den reinen Quinten dazwischen näher zu kommen).
Aber für die Beantwortung der Originalfrage hätte das eindeutig zu weit geführt.
Oh, und ITM ist Irish Traditional Music
Natürlich hätte das viel zu weit geführt, aber es unterläuft die Schlussfolgerung.
Die ganzzahligen Verhältnisse führen zu keiner konsistenten Wahrnehmung.
Eben wegen der engen Quinten in der Barockzeit ist damals Moll nicht die böse Tonart, sondern uU die kühle und erfrischende Tonart.
Und noch früher ist durum=hart und molle=weich an die Vorzeichen gebunden, etwas was man heute aufgrund kultureller Prägung gar nicht wahrnehmen kann.
https://m.youtube.com/watch?v=HPcJsrxt4LU
https://m.youtube.com/watch?v=Fdj-WPCgD8c&t=295s
Oder wie das ganze fehlfeuern kann zwischen heute- Moll gleich böse Tonart und ehemals Moll gleich weiche, erfrischende Tonart:
https://m.youtube.com/watch?v=TfQJZ76WR0U
https://m.youtube.com/watch?v=RKvd4tMkFHc
Text: Wohltuende Wälder, niemals erschüttert ein leeres Verlangen hier unsere Herzen....
Passt diese Ausführung?
Oder eher diese?
Moll gleich böse Tonart und ehemals Moll gleich weiche, erfrischende Tonart
Komisch, ich habe Moll noch nie als böse empfunden. Es gibt viele Dancetunes in Moll, die allesamt mitreißend und fröhlich sind. Und was ist mit all den anderen Skalen, zB Dorisch (wütendes Moll) oder Mixolydisch (Dur auf Droge)? Vielleicht wird in den Charakter zu viel hineininterpretiert.
Solange man es sofort konsistent merkt, wenn einer einen falschen Akkord spielt, so lange funktioniert die Harmonik und so lange werden Gitarristen in Sessions schief angeschaut.
Bei Irish tunes ist es genau so weil sie auch verdammt alt sind 😀 Ich sitze grade in meinem Musikzimmer zwischen meinen Whistles und meiner Mandoline 😄.
Bei Irish tunes ist es genau so weil sie auch verdammt alt sind
Das Genre ist alt, neue Tunes entstehen andauernd. Der zweite Tune in diesem Set zB heißt "Luke Skywalker Walks on Sunshine" und ist eher jüngeren Datums (auch der 7/8 Takt ist ein Hinweis - wer kann dazu tanzen?).
Aber der Rahmen ist uralt- mittelalterlich modal. 😀 Ich kann z.B. keine Tunes im irischen Stil komponieren, weil bei mir der Dur- oder Moll mit kleiner Sexte Modus so unverrückbar im Kopf ist, dass wenn ich versuche im irischen Stil zu improvisieren- etwas rauskommt was nach Blowzabella oder Praetorius klingt 😀 .
Geselligkeit, Verbundenheit, Harmonie, Spass und Wohlbefinden,... und nein man muss nicht alles nach dem Sinn hinterfragen.
Oder was macht Schokolade essen , ins Kino oder in die Kirche gehen für ein evolutionärer Sinn?
Warum sind die auf ganzzahligen Verhältnissen beruhenden Musikstile der europäischen Vergangenheit für heutige Ohren so schwer zu entschlüsseln?