Warum aß man im Mittelalter mehr Fleisch als heute?

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Die Behauptung eines sehr hohen Fleischverbrauchs im Mittelalter beruht stark auf einer schon etwas älteren Schätzung von Wilhelm Abel, der an eine Veröffentlichung von Gustav Schmoller im 19. Jahrhundert anknüpfte. Die Annahme eines hohen Fleischverbrauchs (im Heiligen Römischen Reich) im Spätmittelalter von durchschnittlich 100 Kilogramm im Jahr und teilweise noch mehr (der in der folgenden Zeit absank, mit einem Tiefpunkt Anfang des 19. Jahrhundert) hat sich verbreitet, ist aber von neueren Untersuchungen (z. B. von Ulf Dirlmeier) auch stark in Zweifel gezogen worden.

Die einfache Bevölkerung (die Armen, »der gemeine Mann«) konnte sich keinen besonders üppigen Fleischkonsum leisten (Ulf Dirlmeier ist auf einen durchschnittlichen jährlichen Fleischverbrauch »des gemeinen Mannes« von 32, 7 Kilogramm gekommen). Mehr Möglichkeiten hatten die Adligen.

»Dem gemeinen Mann« war das Fangen von Vögeln erlaubt, seltener schon die niedere Jagd auf Hasen und Rehwild. Einige haben wohl gejagt, auch wenn dies als Wilderei galt.

In Burgen ist der Anteil gefundener Knochen von Wildtieren verhältnismäßig gering. Allerdings ist Wild bei der Jagd wohl oft an Ort und Stelle verspeist worden.

Die Bevölkerungszahl war im Mittelalter deutlich geringer. Industrielle Landwirtschaft und Massentierhaltung moderner Art gab es nicht. Genutzt wurde hauptsächlich das lokale Angebot.

Völlig gefehlt haben ungünstige Umweltauswirkungen einiger Verhaltensweisen, vor allem im Spätmittelalter, nicht.

Im Lauf des Mittelalters sind auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reiches vermutlich einige Wildtiere aufgrund von Jagd und Schwinden eine geeigneten Lebensraumes bis auf Waldgebiete in Ostpreußen ausgestorben, wie der Auerochse (Ur), der Elch, der Wisent.

Die Gicht war im Mittelalter verbreitet, allerdings nur bei Angehörigen der Oberschicht. Vor allem Männer waren von den Folgen übermäßigen Fleischverzehrs betroffen (20-mal häufiger als Frauen).

Als Fleisch gilt alles, was an Tieren eßbar ist (einschließlich von Innereien).
Massimo Livi Bacci, Europa und seine Menschen : eine Bevölkerungsgeschichte. Aus dem Italienischen von Rita Seuß. München : Beck, 1999 (Europa bauen), S. 69 – 70:
„Einer überzeugenden These zufolge war in den beiden letzten Jahrhunderten des Mittelalters und bis ins 16. Jahrhundert hinein der Fleischkonsum relativ hoch. Anschließend ging er immer weiter zurück, bis er Anfang des 19. Jahrhunderts auf ein Minimum sank. Eine Phase des erhöhten Fleischkonsums setzte, geographisch unterschiedlich gestaffelt, ebenfalls im 19., in einigen Regionen erst im Jahrhundert ein. Der Hauptverfechter dieser These ist Wilhelm Abel, der sich auf die im vergangenen Jahrhundert von Gustav Schmoller durchgeführten Untersuchungen stützt. Der Prozeß der »Wüstungen« (der Verödung des Bodens) infolge der mittelalterlichen Großen Pest war demnach die Ursache dafür, daß bis dahin als Ackerland genutzte Flächen im Weideland umgewandelt wurden und damit die Viehzucht und in der Folge auch der Fleischkonsum zunahm. Im spätmittelalterlichen Deutschland lag, immer noch Abel zufolge, der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch über 100 Kilo Fleisch, doch aufgrund der Krise der nachfolgenden Jahrhunderte ging der Fleischkonsum immer weiter zurück, bis er Anfang des 19. Jahrhunderts den niedrigsten Wert von 14 Kilogramm erreichte. Abel sieht darin die Folge ökonomischer Gesetzmäßigkeiten: Die Nachfrage nach Getreide ist fast immer gleichbleibend und variiert demnach auch kaum mit dem Lohnniveau. Sie sinkt allerdings infolge des Bevölkerungsrückgangs nach der Pest. Die Nachfrage nach Fleisch ist dagegen äußerst variabel, und die Steigerung der Reallöhne nach der Pest führte zu einer steigenden Nachfrage nach Fleisch. Der hohe Fleischkonsum im mittelalterlichen Deutschland und die nachfolgenden Entwicklung dieses Konsums werden durch Informationen aus Polen (einem Fleischexporteur), Schweden, den Niederlanden und England offenbar bestätigt. »Sie essen alle Arten von Fleisch und Fisch im Übermaß«, schreib Sir John Fortescue über die Engländer im 15. Jahrhundert. Daß sie reichlich Fleisch auf ihrem Speisezettel hatten, scheint außer Zweifel zu stehen, ebenso gesichert ist der sinkende Fleischkonsum in den nachfolgenden Jahrhunderten. Auch in Italien war zwischen dem 14. und 15. Jahrhundert der Fleischkonsum relativ hoch, jedenfalls in Piemont und Sizilien. Die schrumpfende Bevölkerungszahl, die Abnahme landwirtschaftlicher Anbauflächen und die Ausdehnung leerer Räume begünstigten Viehzucht und Weidewirtschaft.“

Albrecht  12.04.2013, 03:04

gegen die Schätzung, die auf einen großen Fleischkonsum kommt, gibt es Einwände:

1) fehlende Berücksichtigung der Fastentage (es gab höchstens 230 Tage im Jahr, an denen Fleisch gegessen werden durfte)

2) Verwickeltheit der Mengen- und Wertangaben (z. B. regionale Schwankungen, wieviel tatsächliches Gewicht eine Angabe bedeutet)

3) sofortige Schlüsse von Preisen auf dem Markt auf den privaten Konsum, obwohl direkte Quellen fehlen und der Fleischanteil nur einen Teil des Preises ausmachte, nicht den ganzen

Ulf Dirlmeier/Gerhard Fouquet/Bernd Fuhrmann, Europa im Spätmittelalter, 1215 – 1378. München : Oldenbourg, 2003 (Oldenbourg-Grundriss der Geschichte ; Band 8), S. 15:
„Das Spätmittelalter war keine Epoche des Überflusses und der Verbrauchsexzesse. Immerhin setzten um 1300 große Hungersnöte ein. Dennoch kann man davon ausgehen, dass während des 14. und I5. Jhs. im Mittel pro Kopf mehr Nahrungsmittel verfügbar waren als in den Zeiten zuvor oder danach. Beim Getreide kann in Mitteleuropa von einem jährlichen Durchschnittsverbrauch von 200 kg ausgegangen werden. Beim Fleisch ist im spätmittelalterlichen Europa mit einem nord-südlichen Konsumgefälle zu rechnen: In Florenz z.B. sind im 14. Jh. lediglich rund 30 kg Fleisch pro Kopf und Jahr errechnet worden. Insgesamt scheint der durchschnittliche Fleischverbrauch während des 13. bis I5. Jhs. höchstens bei 50 kg pro Person und Jahr gelegen zu haben.“

informativ zur Frage ist (mit Erörterung der Behauptung hohen Fleischverbauchs): Ernst Schubert, Essen und Trinken im Mittelalter. Darmstadt : Wissenschaftliche Buch Gesellschaft, 2006, S. 96 – 125 (4. Die Tiere, das Fleisch und der Metzger. 5. Ein Dank an das Huhn)

S. 96: „Die mittelalterliche Küche ist fleischarm und nach heutigen Vorstellungen einfallslos.“

S. 97: „Fleischarmut. Vor allem Frischfleisch ist selten. Die Küche, insbesondere die des gemeinen Mannes, ist nicht nur fleischarm, sondern mehr noch arm an Frischfleisch. Dieses gibt es nur zu bestimmten Zeiten, im Früh- und Hochmittelalter nur in den Schlachtmonaten November und Dezember, wobei vor allem im Dezember, der auch „Schweinemonat“ heißen kann, geschlachtet wurde. Das in diesen Wochen gedörrte oder eingepökelte Fleisch mußte mindestens bis Ostern ausreichen. Zwischen Ostern und Pfingsten herrschte nach Ausweis der Spitalordnungen die Zeit der Eierspeisen und für die Wohlhabenden die Teil des Lammfleischs. Im Sommer und Herbst, wenn die anstrengendsten Feldarbeiten bevorstanden, konnte allenfalls mit untergekochtem Speck angereichert werden.“

„Alle Vorstellungen von einem mittelalterlichen Essen, bei dem die Mäuler vor Bratensaft nur so trieften, werden zuschanden, wenn der Blick auf die alltägliche Küche der armen Leute gerichtet wird. Das charakterisiert die Küche der kleinen Leute, jener Menschen, die, wie noch darzustellen ist, je nach ihren Lebensbedingungen im Alpenraum von Murmeltieren und an der Nordseeküste zu Seehundsspeck Zuflucht nehmen mußten.“

S. 100: „Gerade an fettem Fleisch aber, das die erforderlichen Kalorienzufuhr bei schwerer Arbeit gewährleistete, hatte der mittelalterliche Mensch vitales Interesse. Kalorien geben Kraft. Sportliche Fitneß für temporäre Höchstleistungen war angesichts der körperlichen Dauerbelastung nicht gefragt. Schlankheit war kein Schönheitsideal.“

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Früher gabe es keine abgepackten Sachen. Es gab doch nicht viel anderes... Gäbe es damals schon den Aldi, hätten die sich bestimmt auch schon abgepackte Nudeln und die Soße dazu gekauft.

Annemaus85  11.04.2013, 11:17

Die Sachen gab es zwar nicht abgepackt, aber Getreide spielte sehr wohl eine große Rolle in der Ernährung im Mittelalter.

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Im Mittelalter gab es noch keine Deutsche Gesellschaft für Ernährung die den Leuten erzählt was gesund oder ungesund ist.

Annemaus85  11.04.2013, 11:16

Es hätte sich ohnehin nicht sehr gelohnt auf eine gute Ernährung zu achten, da die meisten Leute ohnehin nur ein eher kurzes Leben hatten, weil sie schwer arbeiten mussten und es bei medizinischen Problemen kaum Hilfe gab.

Was nicht heißt, dass die sich schlecht ernährt haben, wahrscheinlich wurde wesentlich mehr Gemüse gegessen als in der heutigen "Generation Milchschnitte".

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Jerne79  11.04.2013, 13:02
@Annemaus85

Es hätte sich ohnehin nicht sehr gelohnt auf eine gute Ernährung zu achten, da die meisten Leute ohnehin nur ein eher kurzes Leben hatten, weil sie schwer arbeiten mussten und es bei medizinischen Problemen kaum Hilfe gab.

Sorry, aber das ist enormer Blödsinn.

  1. Weil die Ernährung ein großer Faktor bei der Lebenserwartung ist.

  2. Weil du offenbar wie viele andere die Statistiken zur Lebenserwartung INKLUSIVE der Kindersterblichkeit betrachtest. Wer erstmal seine Kindheit überlebte, wurde durchaus 60-70 Jahre alt.

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BDaaa  11.04.2013, 14:57
@Annemaus85

Hey, läufst du mir nach? Das mit der DGE hab ich bei dir geklaut, das gebe ich ja zu.

Nee, im Ernst. Eine Frage die mit "Man hört ja andauernd" anfängt finde ich komisch, ich höre davon nicht andauernd, tut mir leid.

Der Fragesteller will dann wissen ob das genauso schlechte Auswirkungen auf die Tiere und die Umwelt hatte. Das kann er sich doch sofort und leicht selbst beantworten. Die Tiere sind genauso tot wie heute bevor sie in den Kochtopf wandern.

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Die aßen auf jeden Fall mehr Fleisch, denkst ihr etwa zu der Zeit in Barock haben die Menschen Gemüse und Obst gegessen um rund zu werden?

menschen haben früher getreide & co. nicht umsonst angebaut, sondern um sie zu essen. fleisch war selten für das volk, oft aber für die regierenden, man sieht es in den bilder von damals, wie dick und krank sie waren. was früher nur die oberschicht hat sich leisten können ist mit zunehmender industrialisierung für die anderen menschen mehr und mehr erschwinglich geworden, infolge dessen auch die entsprechenden erkrankungen. die ganzen errungenschaften grösserer völker seit der antike bis heute hatten als energielieferant reis in asien, weizen in ägypten und europa und korn und kratoffeln in amerika. der glaube, man hat früher viel fleisch gegessen ist falsch.