Niederdruckschwere (Spielschwere) bei Klavier tastatur?

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Eine komplexe Frage, auf die es nur eine komplexe Antwort geben kann. Dazu ein paar Gedanken:

Das heute meist übliche Niederdruckgewicht von um die 47 g hat sich im Laufe der Zeit so als Standard herauskristallisiert, kann aber durchaus kritisch hinterfragt werden. Wichtig ist auch das Aufgewicht, das ist jenes Gewicht, mit dem die Taste gerade noch hochgeht. Die Differenz zwischen Nieder- und Aufgewicht ist ein Maß dafür, wie hoch die Reibung in der Mechanik ist. Große Differenz bedeutet hohe Reibungsverluste. Hohe Reibung ist also unerwünscht, da hier Anschlagsenergie statt in Klangenergie in Wärme (Reibung erzeugt Wärme) umgewandelt wird.

Bei einer normalen Stoßzungenmechanik mit Repetierschenkel (umgangssprachlich englische Mechanik genannt) beträgt das Übersetzungsverhältnis, wenn alles richtig zusammengebaut ist (also die rechnerisch ermittelten Hebelverhältnisse eingehalten werden) 1: 5, das heisst 1 mm Bewegung der Taste ergeben 5 mm Bewegung des Hammers. Daraus ergibt sich, dass 1 g Hammerkopfgewicht mehr 5 g Niedergewicht mehr an der Taste produziert. (Vereinfacht kann man sich das vorstellen wie eine Wippe, an deren einem Ende ein Gewicht wirkt, das der Hammerkopf repräsentiert, das andere Ende wäre die Taste, auf die der Spieler seine Kraft ausübt.)

Was tun, um ein bestimmtes Niedergewicht zu erreichen? Bei zu großem Niedergewicht bohrt man im vorderen Tastenbereich Bleigewichte ein, bis man das gewünschte Niedergewicht erreicht. Mit dieser Methode kann man theoretisch jedes beliebige Niedergewicht erreichen. Allerdings darf man dabei nicht übersehen, dass sich, je mehr Bleigewichte in die Tasten eingesetzt werden, sich die Masse des Systems Taste / Hammer erhöht und damit die Trägheit. Was hat der Spieler davon, wenn er weniger Niederdruckgewicht antrifft, dieses aber durch eine höhere Trägheit (die sich in langsameren Repetieren niederschlägt) erkauft wird? Oft spielt sich eine Taste mit bis zu 55 g Niederdruckschwere aber wenig Masse angenehmer, als eine solche mit 47 g und deutlich höherer Masse.

Schließlich ändert sich die Niederdruckschwere auch mit der Luftfeuchtigkeit: Höhere Luftfeuchtigkeit führt zu schwergängigeren Achsen und auch schwereren Hämmern, da der Hammerfilz Feuchtigkeit aufnimmt und dadurch an Gewicht zunimmt.

Wie schon erwähnt, ein sehr komplexes Thema, zu dem man noch viel beitragen könnte.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung

Willwilliam 
Beitragsersteller
 01.05.2025, 15:29

Danke, danke! Dass das SEHR komplex alles miteinander zusammenhängt ahne ich nun - noch mehr! Also viel einfacher gestellt meine Frage nunmehr: Sollte mein Bechstein E (von vor WWII- 270 lang, fast wie der Stw. D) ) bei einer möglichen Renovierung neben der Perfektionierung aller Einzelelemente (soweit DAS überhaupt menschen-möglich und bezahlbar ist, bei allerdings recht gutem Erhaltungszustand) bautechnisch bedingt EIN ganz bestimmtes "Idealgewicht" quasi von selbst erzielen können - einfach nur durch die möglichst nah am Original orientierte rekonstruktive Arbeit eines sehr guten Klaviermechanikers?

Ich hab bei den faszinierenden Videos von "Roberts piano", einem Spezialisten historischer Bechsteine, mitbekommen, dass diese stets tendenziell "leichter" (er sieht heute 50g als "Norm" an) waren, so Mitte 40 etwa - wie auch bei anderen Flügeln dieser Zeit. Ohne zu wiegen vermute ich vergleichsweise das (leider) bei meinem Modell E (270) auch. Ich zöge etwas mehr vor, aber will da - bes. nach Ihren hilfreichen Ausführungen nun noch weniger - Veränderungen vornehmen, die, wenn ich Sie richtig verstanden hab, dann woanders sich "rächen" könnten?!

Bluemilk  01.05.2025, 16:07
@Willwilliam

Richtig! Viele Veränderungen können sich anderswo „rächen“. Die älteren Bechsteine waren gut durchdachte Konstruktionen, die man - so meine Meinung - nicht verändern sollte. Der Bechstein-Klang ist auch nicht auf Lautstärke getrimmt (so wie der von Steinway), sondern auf Klarheit, Helligkeit ohne Schärfe, ideal meiner Ansicht nach für z.B. Debussy.

Ein Problem bei der Restaurierung von Klavieren sind die Hammerfilze. Diese sind Verschleissteile (vergleichbar mit den Reifen beim Auto), also müssen sie - je nachdem, wie viel gespielt wird bzw. wurde - irgendwann einmal erneuert werden. Alte Bechsteine haben original sehr leichte Hammerköpfe, und es ist schwierig bis unmöglich, hier passenden Ersatz zu kriegen. Die modernen Hammerköpfe sind schwerer, das bringt theoretisch mehr Lautstärke und ein höheres Spielgewicht bzw. die Notwendigkeit, die Tasten stärker auszubleien. Das verändert natürlich Spielart und Klang, weg vom alten Bechstein-Ideal.

Ausgehend vom Hammerkopfgewicht kann man sich natürlich gemäß den Hebelverhältnissen das ideale Niedergewicht ausrechnen. Es ist aber immer die Frage, wie stark sich die Reinungsverluste auswirken, Reibung gibt es am Vorderstift, Waagebalkenstift, am Berührungspunkt Pilot / Hebegliedsattel, an den Achsen, am Berührungspunkt von Stosszungenärmchen / Auslöserpuppe und vor allem auch am Hammerröllchen. Sinnvoll ist immer, Reibungsverluste aufzuspüren und nach Möglichkeit zu eliminieren (ganz geht das natürlich nicht, und ein gewisses Mindestmass an Reibung ist auch notwendig.)

Die heutigen Bechstein-Konstruktionen haben übrigens mit den alten gar nichts mehr zu tun. Moderne Bechsteine sind auf Lautstärke getrimmt. Meiner Erfahrung nach hat man bei Bechstein auch nicht mehr viel Ahnung von den alten Konstruktionen. Bechstein will - so wie Steinway - möglichst viel Geld verdienen, alles andere ist dort zweitrangig.

Willwilliam 
Beitragsersteller
 02.05.2025, 01:54
@Bluemilk

Wieder einmal: vielen, vielen herzlichen Dank! Es ist grad schon spät u ich werd darüber nachdenken u prüfen, ich glaube es wurde da auch Mahagonny (also rel. leichtes Holz) in der Mechanik verwendet... Vom Bechstein Archiv in Berlin erhielt ich die Erklärung, zu dieser Vorkriegszeit seien 3 Firmen für den Mechanik-Bau beauftragt und gegeneinander zur Steigerung der Qualität ausgespielt worden... Mal sehen ob ich irgendwo dazu etwas, eine Nr zumindest an der Mechanik finde.

Aber hier schon mal - weil dieses so ein absolutes Lieblingsprojekt von mir, ist, diesen Flügel zu seinem Maximum oder besser: Optimum zu bringen, die Frage: an welcher Fachschule in Österreich oder Deutschland sind denn die fachlich und handwerklich hoch geschätzten Ausbildner und auch Historiker der Flügel-Baukunst (also des relevanten Zeitraums, etwa ab 1856 aufwärts) zu finden? Wenn ältere Bechstein so weinge Kenner mehr hat? Auch nur ein Fingerzeig, wo ich weiter suchen könnte oder wer da aktuell die Übersicht haben könnte, wäre eine große Hilfe... 🤩

Bluemilk  02.05.2025, 05:47
@Willwilliam

Mahagony ist ein sehr leichtes Holz und wird daher für die Hammerkerne von Hammerköpfen die möglichst gewichtsarm sein sollen verwendet. Ich habe von Hammerkernen aus Bambus gehört, weiss aber nicht, ob das nur ein Versuch war, oder ob das weiterverfolgt wurde.

Infos kriegst Du möglicherweise beim deutschen Bundesverband Klavier e.V.

In Altenmarkt in Bayern gab es einen Bechsteinspezialisten, Johann Schadhauser, der dürfte aber schon das zeitliche gesegnet haben. Ob sein Nachfolger sich auch so gut mit Bechsteinen auskennt, weiß ich nicht.

Willwilliam 
Beitragsersteller
 04.05.2025, 02:46
@Bluemilk

Ja, der ist ld. länger schon in himmlischen Gefilden. - Hammerköpfe mit Mahagonny Kern sind extrem schwer zu finden (dzt. in China, aber....) , vielleicht kann man meine derzeitigen Originale neu beziehen, dann stimmt die Größe (Breite) zugleich sowie die ursprünglichen Gewichtsverhältnisse blieben erhalten. Die hiesigen Klaviermacher, auch die besten, sehen das immer nur mit Blick auf die Praxis des Spielens (schon frdl. Mitteilungen wie die von Dir oben bekomm ich da gar nicht, allenfalls genervte Blicke...)

Mir geht es aber auch u besonders "absolut" um die hoch wertige Restaurierung(!), die dann keinesfalls am Finanziellen scheitern wird, sondern an historischem Bechstein-Expertenwissen. - In Seifhennersdorf gibt es eine eigene Bechstein-Restaurierungs-Abteilung, aber die geben besonders gute Instrumente ihres hauseigenen Museums einem (breit orientierten) Restaurator nach Berlin. Das reiche, sogar renommierte Museum dort hat tatsächlich seit Jahren schon hier genau eine Lücke, - ausgerechnet für die 2-3 Jahrzehnte in denen Schnabel die erste komplette Beethoven Sonaten-Einspielung, Edwin Fischer Bach's WTK I und II Gieseking den kompletten Debussy auf diesem Model E aus dieser Zeit herausgebracht haben...

Vielleicht frag ich dort mal bei dem internationalen Beirat an oder biete ihnen - geschenkweise oder zum Kauf - meinen wenig gespielten Aufnahmeflügel aus einer Film-Company an, vorausgesetzt, die Renovierung erfolgt - protokolliert bis aufs letzte Staubkörnchen - zu buchstäblich 100 Prozent. Wenn ich dann einmal im Jahr darauf spielen und das aufnehmen kann, soll es mir genügen...

Bluemilk  04.05.2025, 06:48
@Willwilliam

abel-pianaparts.de bietet neubefilzungen von hammerköpfen an und hat auch neue Köpfe mit mahagonykernen im angebot. Allerdings sind (waren zumindest bisher) deren filze doch deutlich anders als die originalen der alten bechsteine...