Goethe: "Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben"?

4 Antworten

Im Sonett geht es um das Ideal der deutschen Klassik:  In der freiwilligen Selbstbeschränkung und Harmonie liegt  die  wahre Größe. (Das Sinnbild für Unendlichkeit in der Klassik ist  der in sich geschlossene Kreis, während es in der folgenden - nach Goethe "kranken" -  Romantik dann die unendliche Gerade sein wird). 

In den beiden Terzetten  ist es ja   zusammengefasst:

  • Vergebens werden ungebundne Geister
    Nach der Vollendung reiner Höhe streben.

    Wer Großes will, muss sich zusammenraffen;
    In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister,
    Und das Gesetz nur | kann uns Freiheit geben
    .

Vielelicht verwirrt dich die rhythmusbedingte Stellung des nur. Stell es um: 

nur das Gesetz  kann uns Freiheit geben.

"Freiheit", das ist eben gerade  nicht,  tun und lassen zu können, was man will und  ganz  nach eigenem Gutdünken, sondern es ist  eine  selbst  und mit freiem Willen gewählte Unterwerfung unter  "das Gesetz";  das  ist dann die wahre Freiheit und wahre Größe und Meisterschaft (denk etwa an das Handeln des Thoas in "Iphigenie", der verzichtet und sich der Humanität unterwirft).


Ein durchaus interessanter Gedanke... danke Dir für Deine ausführliche Antwort :-)

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@DahliaxD

Was heißt "interessanter Gedanke" -  es ist ein Faktum!  Wieso wohl hat Goethe in seiner gesamten "klassischen" Periode den in stürmischer Jugendzeit begonnenen Faust nicht weiterführen können und ist erst im hohen Alter, als er in die Romantik hineinwuchs, zu einer Lösung gekommen, die aber eben auch keine Realität, sondern nur eine Vision war ("Verweile, Augenblick, du bist so schön!")?

Wenn du nun fragen solltest, was das "Gesetz" ist: Immanuel Kant hat's zur gleichen Zeit formuliert, und man nennt es den "kategorischen Imperativ":

 „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

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Wieso sind hier nicht ein paar Dutzend DHs außer meinem? Das ist eine perfekte Antwort.

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@languagewizard

Sehe ich genauso.

Falls im Deutschabitur morgen ein klassisches oder sogar genau dieses Gedicht drankommen sollte, bin ich gerettet!

Ich weiß es durchaus zu schätzen, dass jemand, der mich im "richtigen" Leben gar nicht kennt, sich die Zeit nimmt mir eine qualitativ hochwertige Antwort zu schreiben. Und aus diesem Grund bin ich Dir, Koschutnig, wirklich dankbar.

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Ich halte es für sehr gewagt, eine Aussage wie "Nur das Gesetz kann uns Freiheit geben" mit "Freiheit ist Unterwerfung", ob nun unters Gesetz oder etwas anderes, gleichzusetzen ... bei Letzterem bekomme ich wirklich Bauchschmerzen.

Meine Intuition sagt mir, dass du Karl Marx' Satz "Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit" eher nicht unterschreiben würdest, obwohl er genau das sagt. Selbst wenn Notwendigkeit (so es sich um sie handelt) nicht leugbar ist, entsteht hier doch eine unleugbare Spannung, die man nicht unter den Tisch kehren darf. Fügung in die Pflicht zum Beispiel ist im psychologischen Sinne das Gegenteil von Freiheit. Ebenso wäre "das Gesetz" als solches und in seiner konkreten Ausgestaltung zu diskutieren. (Mit dem kategorischen Imperativ an sich kann ich natürlich gut leben. :-))

"Tun und lassen zu wollen, was man will", ist aus individeller Sicht eben doch Freiheit und wird vom Individuum auch so empfunden, das kann man nicht wegdiskutieren. Dass es in sozialen Zusammenhängen Willkür und Ausbeutung und gesellschaftlich Faustrecht bedeutet (oder bedeuten kann), ist eine andere Ebene, die man natürlich anführen muss. Will man den freien Menschen erreichen, kommt man nicht umhin, die Widersprüche und die daraus resultierenden Spannungen, die sich im Zusammenhang mit Freiheit ergeben, nicht wegzudefinieren, sondern wahrzunehmen und damit konstruktiv  umzugehen.

An dieser Stelle wirft sich ein ganzer Fragenkomplex auf, den wir hier natürlich nicht diskutieren können. :(

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@Thelema

Evtl. könnte der Genuss der  zwei Schiller-Epigramme deine Leibschmerzen mildern:

  • Gerne dien ich den Freunden, doch tu ich es leider mit Neigung,
    Und so wurmt es mir oft, daß ich nicht tugendhaft bin. -
  • Da ist kein anderer Rat, du musst suchen, sie zu verachten,
    Und mit Abscheu alsdann tun, wie die Pflicht dir gebeut.

 

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@Koschutnig

Nun ist alles Sinnen und Streben der Klassiker an mich völlig verschwendet. Ich kann deren Gedankenwelt geistig nachvollziehen, aber emotional lässt mich das im besten Falle kalt. Da antworte ich mit Mikhail Bakunin:

"Alle zerstörende Lust ist eine schöpferische Lust."

(Ob das nun sinnvoll ist, lässt sich natürlich infrage stellen ...)

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Naja ich denke, der Mensch an sich, wäre für Frieden nicht geschaffen. Das meint er denke ich grundsätzlich damit. Der Mensch strebt immer nach Macht, ist eifersüchtig und will immer Besser als der Rest sein.. würden wir also in einem Gesetzteslosen Staat leben und jeder Mensch hätte das Recht zu tun und zu lassen was er will, ohne Konsequenzen und Einschränkungen, würde man vllt. davon ausgehen er sei frei, aber gerade dann herrscht Krieg und Chaos. Man würde sich bekämpfen und bekriegen nur um sich (so egoistisch wie der Mensch nun mal ist) seinen eigenen Vorteil zu beschaffen.

Ist das verständlich? Ich glaube so in etwa könnte man das interpretieren..

Klingt gut, danke dir :)

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In dem Gedicht geht es um scheinbare Gegensätze, die sich erst miteinander, indem beide erfüllt sind, vollenden. Die erste Strophe formuliert das Thema: Genannt in der ersten Zeile ist das klassische Gegensatzpaar Natur und Kultur ("Kunst") als "einander fliehende" Kräfte, die sich also ausschließen, in der zweiten wird ihre Synthese angedeutet: Natur und Kultur "finden sich", und auch im lyrischen Ich löst sich dadurch (in den folgenden Zeilen beschrieben) Spannung auf und Harmonie entsteht.

Man kann wohl davon ausgehen, dass es der Künstler ist (das lyrische Ich), der die Synthese schafft und dadurch die Spannung zwischen beiden als Ausdruck des künstlerischen Grundkonflikts löst - in diesem Fall haben wir es mit einer Darstellung des künstlerischen Prozesses als Gestaltungskonflikt zwischen als immanent aufgefassten ästhetischen Prinzipien, Materialanforderungen und dem Höhenflug des schöpferischen Geistes zu tun.

Die zweite Strophe führt das aus im Ringen um die Schaffung von Kunst, in dem am Ende, wenn es gelungen ist, die Natur wieder in uns zu ihrem Recht kommt ("mag frei Natur im Herzen wieder glühen"). (Hier ließe sich vielleicht Schiller: Kallias oder Über die Schönheit, anführen: Das Handeln eines Menschen erscheint schön, wenn das, was er tun muss, mit dem, was er tun will, zusammenfällt - wenn es als seine zweite Natur erscheint.)

Die dritte wendet das Gesagte auf "Bildung" (Philosophie, Wissenschaft) an und den Widerspruch von Freiheit und Gebundenheit: Erst in der Gebundenheit erreicht der Geist höchste Ziele. Wenn auch nicht explizit, so schimmert hier die Dualität der Freiheit als einer Freiheit von etwas und einer Freiheit zu etwas auf. Für Goethe als schöpferischem Menschen und im Rahmen dieses Textes um das "Bemühen" um Kunst ist der Aspekt der Freiheit zu etwas, der Möglichkeiten, die Freiheit uns gibt, natürlich vorrangig.

Die vierte Strophe schließlich fasst das Ganze in allgemeinen Sätzen, quasi Gesetzen, zusammen und führt uns wieder zum Anfang: Gesetz und Freiheit (synonym zu dem Gegebenen durch die Natur/Welt und dem gestalterischen Wollen des Menschen) sind keine Widersprüche an sich, sondern Bestandteile einer höheren Synthese; erst in dieser Synthese, wenn beide erfüllt sind, ist Vollendung erreichbar. "Wer Großes will", muss die Freiheit mit dem Gesetz (Natur, Pflicht, materiellem Rahmen ...) zusammenführen. Nur so ist die maximale Freiheit zu etwas erreichbar. (Für die Freiheit von etwas gilt das nicht, sie wird hier aber auch nicht thematisiert.)

Ganz praktisch gesehen und sehr prosaisch: Erst in der Beherrschung der Form kann der schöpferische Geist zu voller Größe finden. Das Ganze formvollendet in der Gestalt des aufgrund seiner Form als antithetisch sich anbietenden (und auch so aufgefassten) Sonetts, der klassischen Gedichtform der Gedankenlyrik. ;-)



Dieser Satz ist übrigens auch das Credo der Benedictiner Mönche. Es soll bedeuten, dass wir das Gefühl der Freiheit innerhalb eines geregelten existenziellen Bereiches ungestörter und besser entwickeln können.

Heute betrachten wir Freiheit ja immer so, dass wir praktisch alles machen dürfen, was wir wollen. Zu Goethes Zeiten konnte man sich wirkliche Freiheit nur innerhalb klar definierter Grenzen vorstellen.

Deshalb konnte Goethe auch mit Zeitgenossen, die "über die Stränge" schlugen (z.B. Heinrich von Kleist) nichts anfangen, betrachteten sie sogar als destruktive Elemente. Deshalb hat er (bewusst oder unbewusst) Kleists vorwärtsdrängenden Einakter "Der zerbrochene Krug" als klassischen Mehrakter inszeniert und in dadurch in seiner Substanz nicht nur verfälscht sondern praktisch "vernichtet".

Überhaupt konnte Goethe den in seinen Augen ausufernden Gefühlsausbrüchen der Romantiker generell nichts abgewinnen. Deren Höhepunkt war ja der "Göttinger Hain" um 1812, also als Goethe erst 63 Jahre alt war.