Glaubt ihr an so etwas wie Gerechtigkeit?

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Ich denke, dass es durchaus eine Form von höherer Ordnung gibt, deren Gesetzmäßigkeiten wir aber noch nicht wirklich verstehen und auch nicht als gerecht ansehen.

Das liegt meiner Meinung daran, dass wir alle ein subjektives und von unserer Kultur beeinflusstes Bild von Ordnung und Gesetzmäßigkeiten haben.  Wir denken im Bezug auf Gerechtigkeit zu komplex und zu wertend.

Wir finden es beispielsweise ungerecht, wenn der aufopferungsvoll arbeitende Rettungssanitäter im Alter von gerade einmal 25 Jahren an Krebs verstirbt, während ein brutaler Kriegsverbrecher mit 103 Jahren friedlich in seinem Bett einschläft.

Tatsache ist jedoch, dass jeder stirbt - egal wie, egal wo, egal wann. Es ist unerheblich ob der Mensch reich oder arm, ehrlich, oder unehrlich war - am Ende sterben sie alle, auf die eine oder andere Art und Weise.

Dem Tod ist es egal wer du bist und wie du stirbst.

Natürlich kann sich ein wohlhabender Mensch in einer westlichen Kultur bessere Bedingungen schaffen, hat also eine höhere Lebenserwartung, bessere medizinische Versorgung und wird vermutlich mit weniger Schmerzen sterben.

Ein armer Mensch in einem Land mit schlechter materieller Versorgung, unzureichender medizinischer Hilfe hat eine niedrigere Lebenserwartung und wird ohne Paliativmedizin möglicherweise einen schmerzhafteren Tod erleiden.

Wir sagen, diese Unterschiede sind ungerecht - an dem Umstand, dass selbst der reichste Mann der Welt sich nicht vom Tod freikaufen kann, ändert das aber nichts.

Ist diese Gleichheit des Sterbens nicht eine sehr hohe Form von Gerechtigkeit?

Absolut unbestechlich und kompromisslos.

Manche Menschen werden umgebracht, andere sterben bei einem Unfall, oder aber ganz friedlich. Das sind alles Unterschiede die uns ungerecht erscheinen.

"Wieso hat er ihn ermordet? Er war doch erst 15 und hatte noch sein ganzes Leben vor sich! Das ist so ungerecht, schließlich wollte er nicht sterben!"

Aber, wer will schon sterben? Jeder der sich nicht in einer besonderen Gemütsverfassung befindet, will grundsätzlich leben. Der Mensch hat einen Instinkt überleben zu wollen. Ist sterben nicht immer subjektiv ungerecht?

Natürlich bin ich auch gegen soziale Ungerechtigkeit, Benachteiligung und Diskriminierung und halte nichts davon, passiv auf das Ende zu warten.

Ich bilde mir aber auch nicht ein, das absolute Verständnis aller Dinge zu besitzen und die Weisheit, die Gesetzmäßigkeit hinter allen Abläufen zu durchblicken.

Für mich gibt es eine gewisse Ordnung, die auch eine Gerechtigkeit mit sich bringt - selbst wenn sie sich mir nicht erschließt.

Das muss sie übrigens auch gar nicht - der tägliche Versuch, die Welt ein klein wenig besser und gerechter zu machen und dabei das eigene Verständnis von Gerechtigkeit zu hinterfragen sind aus meiner Sicht schon genug Aufgabe für einen Menschen.

Da überlasse ich den Himmel den Vögeln. :-)

Eine sehr schöne und ausführliche Antwort! Bist du dann eher jemand, der sich für Gerechtigkeit im Leben einsetzt oder spielt das bei dir im Leben keine/ eine sehr untergeordnete Rolle?

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@tobitestudo

Meine eigene subjektive Gerechtigkeit ist in erster Linie das Handeln im Sinne sozialer Gerechtigkeit, also sehr konkret.

"Für Gerechtigkeit einsetzen"

Da denken sicher viele Menschen an politische Aktivisten, Demonstrationen, Petitionen, Hungerstreiks und ähnliche Dinge.

Ich finde, man setzt sich bereits für Gerechtigkeit ein, wenn man Menschen nicht ungleich behandelt.

Wenn ich den Obdachlosen genau so freundlich und unbefangen Grüßen kann, wie die Mutter mit dem Kinderwagen und den Mann im teuren Anzug, dann handele ich bereits gerecht, indem ich keine Unterschiede aufkommen lasse, wo keine sind.

Es kann gut sein, dass  man den Mann im Geschäftsanzug nicht leiden kann, weil er an einen hochrangigen Manager erinnert und dann die gesamten Vorbehalte gegen Kapitalismus, Egoismus, Macht und Reichtum auf ihn projiziert

Dann hält man ihn für einen kapitalistischen Ausbeuter der Delikatessen in sich reinfrisst, die den Bestand bedrohter Tierarten gefährden, Anzüge trägt die auf Kinderarbeit beruhen und sich einbildet, sich dank seiner Macht alles nehmen zu können, waser will.

Aber, diese Einschätzung dieses Mannes entspricht vielleicht gar nicht der Realität!

Vielleicht ist er ein Langzeitarbeitsloser, der sich von seinem besten Kumpel einen teuren Anzug geborgt hat, um bei seinem Vorstellungsgespräch einen guten Eindruck zu machen?

Vielleicht ist er tatsächlich wohlhabend, hat sein eigentliches Vermögen bereits vollständig gespendet und kann von den Einnahmen oder Zinsen immer noch gut leben?

Egal welche der beiden letzten Szenarien zutrifft - mit dem unausgesprochenen Vorwurf, er sei ein machtgieriger Egomane hat man ihn sehr ungerecht behandelt und ihn vorverurteilt!

Sich "für Gerechtigkeit einsetzen" beginnt für mich bereits bei solchen scheinbar einfachen Dingen.

Deshalb denke ich auch, dass jeder Gerechtigkeit üben kann, auch wenn er nie einen Fuß auf eine Demonstration setzt.

Tatsächlich kann es sogar viel einfacher sein, auf eine Demonstration zu gehen, ein großes Schild hochzuhalten

"MEHR SOZIALE GERECHTIGKEIT!"

und anschließend auf einen anderen Menschen herabzublicken, womöglich sogar ohne die eigene Ungerechtigkeit zu bemerken.

Gerechtigkeit beginnt mit einem ehrlichen Lächeln für Jeden.

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@Enzylexikon

Das ist natürlich nur mein ganz persönliches Verständnis im Bezug auf soziale Gerechtigkeit. Andere Menschen haben da sicher durchaus andere Ansichten, die ebenfalls ihre Berechtigung haben. :-)

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Wow, ich habe mir auch schon einmal überlegt, dass man für Gerechtigkeit keine Berge bewegen muss. Ebenso versuche ich Menschen zu grüßen oder mal ein Lächeln auszutauschen. Bei dem Punkt mit dem Anzug hast du mMn definitiv Recht, da habe ich auch so meine Vorurteile, aber eher an die wohlhabenden Menschen. Und ich weiß nicht genau, ob es schon beim nicht ausgesprochenen Gedanken anfängt. Wahrscheinlich schon. Aber dann sollte man es wenigstens nicht zeigen. Ist es denn ungerecht, wenn ich einen Menschen als attraktiv und einen anderen als weniger anziehend, sehe? Die Personen können nichts dafür und können beide liebe Menschen sein, aber wird die Gerechtigkeit schon durch meine subjektive persönliche Meinung gebrochen?

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@tobitestudo

Es ist natürlich zunächst einmal ungerecht wenn man Menschen allein nach individueller Sympathie und Äußerlichkeiten eigentlich willkürlich in "guter Mensch" und "schlechter Mensch" einteilt.

Der Buddhismus erklärt dies damit, dass wir eigentlich nie die Wirklichkeit sehen, weil diese immer von unseren persönlichen Projektionen überlagert wird - Sympathien, Antipathien, Vorurteile, kulturelle Konditionierung, Erziehung.

Das ist natürlich schade, wenn wir die Welt nicht vorbehaltlos betrachten können, andererseits ist es aber auch kein Beinbruch - schließlich sind wir Menschen und haben eben unsere Fehler und Nachteile genau so, wie unsere Stärken und Vorteile.

Bereits das ist ja wieder eine Unterscheidung die man trifft - wer sagt denn, dass meine angebliche Schwäche nicht auch eine Stärke sein kann?

Da könnte man natürlich jetzt schwer ins Grübeln kommen und sich fragen, was man bei so viel eigener Ungerechtigkeit gegenüber anderen Menschen denn nun machen soll?

Meiner Meinung nach ist einer der wesebtlichen Schritte zu einer gerechten Behandlung anderer Menschen, die Bereitschaft auch uns selbst gerecht zu behandeln und nicht zu hart mit uns ins Gericht zu gehen.

Es ist positiv, wenn man seine Motive und Denkmuster hinterfragt - dabei sollte aber auch nicht die Lebensfreude zu kurz kommen.

Wer nur über seine Schwächen grübelt wird unleidlich, fühlt sich in seiner eigenen Haut nicht wohl und lässt das womöglich auch andere spüren - und das wäre wiederum weder uns selbst, noch unserem sozialen Umfeld gegenüber gerecht. ;-)

Chiune Sugihara, ein japanischer Diplomat, der während der Zeit des Dritten Reichs gegen Anordnungen seiner Vorgesetzren verstieß und durch die Ausstellung von Transitvisa viele litauische Juden rettete, antwortete auf die Frage, wieso er das gemacht habe:

"Do what is right, because it's right and leave it alone". :-)

Es gibt also keinen Grund sich für seine eigene Übung der sozialen Gerechtigkeit künstlich zu erhöhen - aber auch keinen Grund, sich für seine Schwächen klein zu machen.

Ein mitfühlender Mensch zu sein und Andere nicht ungerecht abzuurteilen ist schon eine Menge wert, denke ich.

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Ich hoffe auch, dass der Versuch eines gerechten Umgangs als gerecht und richtig gilt, auch wenn er misslingt. Ansonsten kann ich dem nichts hinzufügen. :) Danke noch mal. Wegen Nutzern wie dir oder ein paar von den anderen, die auf meine Frage geantwortet habe, lohnt es sich wirklich hier mal etwas reinzustellen. :) Schönes Wochenende.

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@tobitestudo

Sehr gerne, ich bin zum Helfen hier. :-)
Dir auch noch ein schönes Wochenende.

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Vielen Dank für den Stern. :-)

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Mein Glaube an Gerechtigkeit ist ungebrochen, weil ich sie nicht nur in scheinbar auswegslosen Situationen erlebte. 

Sowas von anderen zu hören, macht Mut :)

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es gibt keine gerechtigkeit sondern nur immer eine rechtsfindung

Gilt das nicht eher für die Justiz? :)

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@tobitestudo

das gilt für das ganze menschliche leben

aber justizurteile sind IMMER farbig

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@nowka20

Okay, so kann man es auch sehen. Danke für deine Antwort :)

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Ich glaube, dass es eine höhere Gewalt gibt, die die Menschen nach ihrem Tod richtet.

Ich hoffe es :)

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Ich glaube, dass es eine höhere Gewalt gibt, die die Menschen nach ihrem Tod richtet.

Wenn da mal nicht diese höhere Gewalt durch Menschen hingerichtet wird.

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Dazu meine Erfahrung: Recht haben und Recht zu bekommen sind zwei verschiedene Sachen in Deutschland!

Nur was ist wichtiger? Von Leistungen profitieren, die man gar nicht erbracht hat oder zu wissen, dass man das für sich Richtige getan hat?

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@tobitestudo

Was hat das mit meiner Antwort zu tun? Es ist wirklich so, dass wenn man Geld hat auch viel mehr Gerechtigkeit bekommt als wenn man keins hat!

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@zopiclon5

Danke dass du hier die Rechtsbeugung in Deutschland thematisierst. Es ist auch meine Erfahrung in diese Richtung. Man muss ja nur mal bei Wikipedia unter dem Stichwort "Rechtsbeugung" nachlesen in welcher Weise sich der BGH und das BVerfG an Rechtsbeugung beteiligen - und Wikipedia vertritt bekanntlich Main Stream und Regierungssichtweise. Wenn man mal nach "Rechtsbeugung" googled, erfährt man noch viel mehr ...

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@WotansAuge

Danke für deinen Kommentar! Leider ist es so. Viele wollen es halt nicht Glauben, bis sie selbst mal in der Mühle stecken!

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@zopiclon5

Viele wollen es halt nicht Glauben, bis ...

Wem sagst du das?! Ich muss gestehen dass ich es früher selbst nicht glauben wollte. Sogar als ich das erste Mal Rechtsbeugung am eigenen Leben erfahren habe, wollte ich es noch nicht glauben und habe an schlichtes Pech, einen schlechten Anwalt u.s.w. geglaubt. Erst als ich es das zweite Mal am eigenen Leben erfahren habe, konnte ich glauben, was ich erlebt hatte. 

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@WotansAuge

Beim zweiten Mal ist mir das Folgende passiert. Verhandelt wurde vor einem OLG. Die Vorsitzende Richterin des Senats war zufällig eine Kinderfreundschaft von mir (eigentlich war ich eher mit ihrem großen Bruder befreundet). Trotzdem, ich bin etwas älter als sie und habe ihr einmal in gewisser Weise das Leben gerettet. Als sie 4 Jahre alt war, ist sie beim Spielen in einen Bach gefallen und danach im Sumpf steckengeblieben. Sie hat um Hilfe gerufen und schon sehr gefroren. Ich war der einzige, der sie gehört hat. Da bin ich als 8-Jähriger gekommen und habe sie wieder raus gezogen und nach Hause gebracht. Auch ich war über und über mit Schlamm bedeckt. 3 Jahre später ist meine Familie umgezogen und wir haben uns aus den Augen verloren.

Ich konnte mich noch an den Namen erinnern, aber man bekommt ja immer nur den Nachnamen eines Richters zu lesen. Aber sie hat mich an Hand der Akten wiedererkannt. Und sie war wohl mir gegenüber immer noch dankbar. Deshalb hat sie mich überraschend zu Hause besucht und mir die Wahrheit erzählt.

Der Gerichtspräsident eines OLG prüft alle Fälle deren Streitwert einen gewissen Schwellenwert überschreitet, auf Systemrelevanz (manchmal macht diese Aufgabe der Vizepräsident). Hätte ich den Prozess gewonnen, dann hätten Anwälte künftig bedeutend höhere Beiträge für ihre Berufshaftpflichtversicherung zahlen müssen.Außerdem wäre die Gewinnspanne von Versicherungen geschrumpft. Deshalb hatte der Gerichtspräsident entschieden, dass ich den Prozess verlieren soll und die Vorsitzende Richterin, meine Ex-Spielkameradin, entsprechend beauftragt. Außerdem sollte der Senat einstimmig eine Revision verbieten. (Der Gerichtspräsident wusste nichts davon, dass wir uns kannten und sie hat ihm auch nichts davon erzählt.)

Die Richterin sagte mir nun,dass sie sich selber als befangen erklären könne, wegen der damaligen Sache. Aber das wäre mir keine Hilfe – im Gegenteil. Sie habe zwar gesehen, dass sie gemäß der Gesetzeslage und Kommentarwerke für mich entscheiden müsse, könne dies aber nicht tun, weil dann ihre Karriere beendet wäre. Außerdem könne sie sich nicht gegen die beiden anderen Richter des Senats durchsetzen, die ja ebenfalls den Auftrag vom Gerichtspräsidenten erhalten hätten. Und selbst wenn,dann hätte in so einem Fall ihr Urteil keinen Bestand, sondern würde von dem BGH in der Revision kassiert. Deshalb würde sie einen Fehler in ihr Urteil einbauen. Einen auffälligen Fehler könne sie sich nicht erlauben, weil dann ebenfalls ihre Karriere beendet wäre, aber es wäre ein hinreichender Fehler, um mir später Erfolg bei einer Nichtzulassungsklage zu ermöglichen.

Und so kam es dann. Sie wies meine Klage ab, der Senat verbot einstimmig eine Revision, und sie hatte diesen angekündigten Fehler gemacht, dass einer Nichtzulassungsklage hätte stattgegeben werden müssen. Ich hatte auch einen guten Rechtsanwalt der den angekündigten Fehler bestätigte und der bestätigte, dass nun der BGH einer Nichtzulassungsklage stattgeben müsse. AABBEERR der BGH wies die Nichtzulassungsklage ohne Angabe von Gründen zurück. Ohne Angabe von Gründen und ohne auf das Hauptargument einzugehen dürfen die das eigentlich nicht, tuen sie aber laut meinem Anwalt in den letzten Jahren fast immer.

Vorläufiges Ende meiner „Justiz“erlebnisse.

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