Fällt es dir als Deutschen schwer das Wort "Jude" in den Mund zu nehmen?
Es war nach dem 2 Weltkrieg ein langer Lernprozess, der einige Jahre benötigte um die deutsche Bevölkerung aus ihrer festen Verankerung mit dem NS-Regime zu holen und ihnen das Bewusstsein für die Aufarbeitung mit diesem Teil der Geschichte zu geben. Aufgrund dieser langen Wege ist es gelungen der heutigen Bevölkerung die grausamen Taten eines verbrecherischen Systems näher vor Augen zu führen, als es in den direkten Jahren nach Kriegsende und weit darüber hinaus möglich war. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung hat in den 90er Jahren ergeben, das 81 % der deutschen Bevölkerung die Geschichte der Judenverfolgung und die Verbrechen des Nazi-Regimes hinter sich lassen möchten ("am besten vergessen"). Allein die Aussage "am besten vergessen" zeigte hierbei, das es diesen Personen dabei nicht um die Reduzierung der Medienberichte und ähnlichem ging, sondern pauschal um einen kompletten Schlussstrich unter diesen Teil der deutschen Geschichte. Die Akzeptanz der Bevölkerung sich mit dieser Geschichte, auch unser Großeltern und Ur-Großeltern weiterhin auseinanderzusetzen und den Zusammenhang mit der Gegenwart zu erkennen, hat sich seit der immer präsenten Erinnerungskultur in Deutschland fast verdoppelt. Das hat nichts mit Gehirnwäsche gemein, sondern mit der Erkenntnis, das unsere direkten Vorfahren in gewaltiger Anzahl, Täter und Mitwisser waren. Nur der deutliche Blick in die Vergangenheit erklärt die Gegenwart, das vergessen viele!
Die Verantwortung in Deutschland ist eine besondere, denn es war schließlich hier, wo Juden aus ihren Wohnungen gezerrt wurden, um in Ghettos oder Konzentrationslager deportiert zu werden, wo sie erschöpft und systematisch ausgehungert starben oder in Gaskammern ermordet wurden. Wer in Deutschland lebt und Teil dieser Gesellschaft ist, wer das Land verstehen will, muss den Nationalsozialismus und den Holocaust kennen. Nicht im Sinne von Schuld, sondern von Verantwortung.
Hat die immer wieder präsente Erinnerungskultur in Deutschland (die ich als richtig und wichtig empfinde) dafür gesorgt, dass du selbst schon ein "schlechtes Gewissen" bekommst wenn Du das Wort "Jude" aussprechen musst?
Das Ergebnis basiert auf 18 Abstimmungen
12 Antworten

Erst einmal vielen Dank für den sehr gut formulierten Textbeitrag bei deiner Frage.
Bei mir in der Familie wurde immer über die Zeit erzählt. Natürlich zu Beginn eher die positiven Ereignisse und die wichtigen Eckpunkte. So erfuhr ich im Elternhaus viel mehr, als in der Schule.
Wichtig waren die persönlichen Erfahrungsberichte. Meine Mutter hatte beispielsweise eine Vierteljüdin als gute Freundin gehabt, was ihr mein Opa, also ihr Vater erst nach 1945 erzählte. Meine Mutter hatte sich immer gewundert, warum der Opa nie das Haus verließ.
Mein Vater hat sogar Einzelheiten seiner Familiengeschichte aus der Zeit in der Lokalzeitung in den 80er Jahren veröffentlicht. Auch die Verfehlungen werden erwähnt und ich weiß, wer aus meiner Verwandtschaft sich wie verhalten hatte.
In den 90er Jahren wurde mein Vater dann vom polnischen Fernsehen als Zeitzeuge eingeladen, um die Zerstörung Warschaus 1944/45 aus Sicht eines Deutschen Soldaten dort live zu erzählen mit Simultanübersetzung. Mein Vater fand es sehr wichtig, dass es eine Aufarbeitung dieser schlimmen Zeit gibt. Vater wäre fast 1945 noch von besonders extremen Nazis erschossen worden und hatte bis in die 60er Jahre schlimme Albträume aus dieser schrecklichen Zeit.
Bei uns in der Familie wurden mit Freunden viel politisch diskutiert. Das kenne ich aus meiner Kindheit und Jugend so. Dabei waren meine Eltern und ihre Freunde sehr weltoffen. Sie nahmen jährlich an den internationalen Treffen im Sommer zur Politischen Bildung im Jagdschloss Göhrde teil.
Für mich ist ein Jude einfach eine Glaubensrichtung, wie Moslem oder Christ. Ich arbeite in einem Pflegeheim mit einer moslemischen und einer jüdischen Bewohnerin, mit katholischen, evangelischen und freikirchlichen hilfsbedürftigen Bewohnern. Ich rede natürlich alle mit Namen an und auch wenn über betreffende Bewohner geredet wird, dann mit Namen. Ich käme nicht auf die Idee, die "Jüdin" oder die "Moslemin" zu sagen. Wenn konkret nach Religionszugehörigkeit gefragt würden, dann natürlich, doch ohne Wertung.


Nein habe kein Problem damit Das zu sagen.

Ich beantworte die Frage im Titel.
Manche Nichtjuden treiben es echt auf die Spitze und sagen Stadt Jude Menscheb jüdischen Glaubens. Bei uns kann man nicht durch Glauben Jude werden, man wird als Jude geboren und man kann nichts dagegen unternehmen.
Menschen jüdischen Glaubens ist beleidigend gegen uns, denn das schließt den freien Willen aus, unfähig für oder gegen das Judentum zu entscheiden und ein kompletter Widerspruch zu zB atheistischer Juden.
Wer es ehrlich meint, sagt Jude und beleidigt nicht mit einem anderen zusammen geschusterten Begriff(e). Wer beleidigen will, sagt: Menschen jüdischen Glaubens.
Ich bin seit 67 Jahren Deutscher und seit 4 Jahren dazu Israeli. 2018 von Deutschland nach Israel geflohen, weil mir der Judenhass zu weit ging.

Aber sicher kein schlechtes Gewissen. Dafür müsste ich A etwas damit zu tun haben, B mich dafür interessieren und C wenigstens einen Juden kennen und mögen.
Sollten nicht all diese Teile irgend wann mal erfüllt sein werde ich kein schlechtes Gewissen bekommen.
Was es bewegt ist eher Angst vor der staatlichen Verfolgung, denn man muss schon beim benutzen des Wortes „Jude“ im negativen Sinn damit rechnen für Volksverhetzung oder Holocaustleugnung angezeigt zu werden.

Was sind denn Schlagworte der NS-Zeit? "Heil Hitler"? Oder was sind noch Schlagworte

Jude, Schw4rzer, Ne3g3r, BeHlnderter... sind keine Beleidigungen.
Ich sage Reis-Soße der Marke Uncle Ben's.
Es kommt doch auf die sonstige Wortwahl an. Wer irgendwelche Schlagworte der NS-Zeit benutzt, auch da sollte man unterscheiden, ob man sich kritisch mit der Zeit auseinandersetzt, oder diese Zeit sozusagen verherrlicht. Und das Letztere geht nun wirklich gar nicht.