Die Französische Revolution Ziele, Mittel, Akteure, Ergebnisse/Folgen?

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Zu einer vollständigen und genauen Beantwortung ist ein ganzes Buch nötig.

Die Französische Revolution (1789 - 1799) umfasst einen größeren Zeitraum. Es kamen auch neue Ziele. Die Ergebnisse waren nicht alle gleichbleibend, sondern es gab Veränderungen und manches bestand nicht sehr lange.

Möglich ist nur ein Versuch, Sachverhalte zu skizzieren.

1) Ziele

  • Abschaffung der absolutistischen Monarchie und Ersetzung durch eine konstitutionelle Monarchie bzw. (vor allem später) durch eine Republik
  • französische Nation als Grundlage des politischen Systems Frankreichs (Legitimation durch Volkssouveränität)
  • Erklärung von Menschen- und Bürgerrechten
  • Schaffung einer geschriebenen Verfassung
  • Verfassung mit Gewaltenteilung, politischer Mitbestimmung und Partizipation (Teilhabe) der Bürger
  • parlamentarische Demokratie, wobei das Wahlrecht mehr oder weniger demokratisch war (ein Wahlrecht für Frauen befürworteten nur wenige, zunächst setzte ein Mehrheit ein Mindestmaß an Besitz/Einkommen als Voraussetzung durch [Zensuswahlrecht])
  • Rechtsstaat mit Gleichheit vor dem Gesetz
  • Abschaffung einer Ständegesellschaft mit Privilegien (Vorrechten) für Klerus (erster Stand) und Adel (zweiter Stand) einerseits, andererseits für andere Belastungen durch Steuern Abgaben und Dienstleistungen an Grundherren (Feudallasten)
  • gerechtere Verteilung der Steuerlasten
  • Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit (liberté, égalité, fraternité)
  • besseres wirtschaftliches Wohlergehen

2) Mittel

  • Mitteilung von Beschwerden und Forderungen
  • Beeinfussung der öffentlichen Meinung, z. B. durch Reden, Zeitungen, Flugblätter, Petitionen, Lieder, bildliche Darstellungen
  • Beratungen und Diskussionen
  • parlamentarische Arbeit/Tätigkeit in einem Parlament
  • Tätigkeit in politischen Klubs
  • Verkünden von Erklärungen
  • Entwerfen und Beschließen von Gesetzen
  • Entwerfen und Beschließen einer Verfassung
  • politische Organsiation
  • Regierungsmaßnahmen
  • Versammlungen, Proteste, Demonstrationen
  • Aufruhr, Aufstände
  • Kampf und Gewalt

3 ) Akteure

Es hat viele wichtige handelnde Personen gegeben, wobei der Zeitraum unterschiedlich ist, in dem sie für die Revolution sehr wichtig gewesen sind

einige Beispiele:

Jean Sylvain Bailly

Bertrand Barère

Antoine Barnave

Jacques Nicolas Billaud-Varenne

Jacques-Pierre Brissot

Lazare Carnot

Pierre Gaspard Chaumette

Jean-Marie Collot d’Herbois

Georges Couthon

Georges Danton

Camille Desmoulins

Adrien Duport

Armand Gensonné

Henri Grégoire

Élie Guadet

Jacques-René Hébert

Alexandre de Lameth

Marie Joseph Marquis de Lafayette

Robert Lindet

Jean-Paul Marat

Honoré-Gabriel Riquetti, Comte de Mirabeau

Jérôme Pétion de Villeneuve

Jean-Marie Roland de La Platière

Maximilien de Robespierre

Antoine de Saint-Just

Emmanuel Joseph Sieyès

Pierre Vergniaud

zu Frauen:

https://www.gutefrage.net/frage/waren-frauen-in-der-franzoesischen-revolution-wichtig#answer-191964350

3) Ergebnisse und Folgen

  • Abschaffung der absolutistischen Monarchie und Ersetzung durch eine konstitutionelle Monarchie (1789 -1792) und dann durch eine Republik (1792 – 1804)
  • französische Nation als Grundlage des politischen Systems Frankreichs (Legitimation durch Volkssouveränität)
  • Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (französisch: Déclaration des droits de l'homme et du citoyen), am 26. August 1789 von der Nationalversammlung verkündet: Diese enthielt eine Gleichheit vor dem Gesetz, Volkssouveränität, eine gewisse politische Mitbestimmung der Bürger bzw. ihrer Repräsentanten (Vertreter), vor allem aber viele Freiheitsrechte, so eine allgemeine Freiheit im Rahmen der Gesetze, Freiheit der Person, Religionsfreiheit), Freiheit der Äußerung von Gedanken und Meinungen, außerdem, Unverletzlichkeit des Eigentums bzw. eine gerechte Entschädigung bei einer vorher gesetzlich festgestellten öffentlichen Notwendigkeit. Diesen Ansatz der Menschen- und Bürgerrechte führen Verfassungen mit Grundrechten für alle Bürger und Menschenrechtsdeklarationen wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 (UN-Menschenrechtscharta) oder die Charta der Grundrechte der Europäischen Union fort.
  • Schaffung einer geschriebenen Verfassung: vorläufige Verfassung vom 5. Oktober 1789; Verfassung vom  3. September 1791; Verfassung vom 24. Juni 1793; Verfasung vom 23. September 1795. Schriftliche Verfassungen sind zu einer gewöhnlich vorhandenen Grundlage von Staaten und Staatenbünden geworden.
  • Verfassung mit Gewaltenteilung, politischer Mitbestimmung und Partizipation (Teilhabe) der Bürger
  • Rechtsstaat mit Gleichheit vor dem Gesetz: Ein bürgerliches Prinzip der allgemeinen Rechtsgleichheit und individueller Eigentumsrechte wurde eingeführt.
  • Abschaffung einer Ständegesellschaft mit Privilegien (Vorrechten) für Klerus (erster Stand) und Adel (zweiter Stand) und einer gewachsenen Vielfalt unterschiedlicher lokaler und regionaler Ausprägungen einerseits, andererseits für andere Belastungen durch Steuern Abgaben und Dienstleistungen an Grundherren (Feudallasten)
  • politische Schlagworte: Liberté, Égalité, Fraternitée (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) wurden zu einer Parole hochgehaltener Ideale, Werte und Ziele (wobei für das letzte Wort der Ausdruck „Solidarität“ moderner ist).
  • politische Demokratie, Institutionen und Organisation, Meinungsbildung: Die Französische Revolution leistete eine Wegbereitung für neue politische Kultur (politische Öffentlichkeit, Organisation politischer Interessen, politische Parteiungen [z. B. als Gruppen in Parlamenten und als politische Klubs], Symbolik). Demokratische Prinzipen wurden vertreten und erprobt, politische Diskussionen und Versammlungen fanden öffentlich in großer Anzahl statt, die Presse nahm an Auflage, Vielfalt, Erscheinungshäufigkeit und Aktualität stark zu, es gab Revolutionsfeste.
  • Offenheit für eine gestaltbare Zukunft: Es geschah eine Öffnung der Geschichte in die Zukunft mit dem Eindruck einer Möglichkeit, eine neue Gesellschaft (freier, selbstbestimmter, gerechter) aufzubauen und ihre in die Zukunft führende Entwicklung aktiv zu gestalten. Geschichte wurde als selbst gestaltbar verstanden.
  • Aufteilung in verschiedene politische Lager und Richtungen mit einem politischen Spektrum von links und rechts: Die Einteilung in ein politisches Spektrum nach rechts und links geht bis auf die Sitzordnung in der Nationalversammlung zurück.
  • politische Weltanschauungen: Die Französische Revolution hat eine erhebliche Rolle bei der Herausbildung auch in der Gegenwart vorhandener politischer Weltanschauungen wie Liberalismus, Konservativismus/Konservatismus und Sozialismus gespielt.
  • moderner Patriotismus und Nationalismus: Die Forderung nach Gleichheit und Partizipation (Teilhabe) war mit der Entstehung der Nation als politischen Leitbegriff verbunden. Viele Franzosen empfanden sich als Patrioten. Es entstand Nationalgefühl.
  • König Ludwig XVI. am 21. Januar 1793 hingerichtet
  • viele Tote durch Kämpfe, Hinrichtungen und Auseiandesetzungen zwischen Revolutionären und Gegenrevolutionären bis hin zu Bürgerkrieg
  • Revolutionskriege/Koalitionskriege 1792 – 1801/1802
  • Gedanke allgemeiner Wehrpflicht: In den Revolutionskriegen kam es auch zu einer Art Nationalisierung von Kriegen, indem er durch Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht zur nationalen Aufgabe der Bürger wurde (z. B. am 23. August 1793 beschlossene „Levée en masse“ [Massenaushebung]).
  • Französische Revolution als Modell »bürgerlicher Revolution« und Bezugsgröße fortlaufender auch strittig geführter Deutungen und Wertung: Die Französische Revolution ist als Modell einer »bürgerlicher Revolution«. Es wird auf sie auch mit Streitigkeiten mit Deutungen und Wertungen Bezug genommen. Sie ist sowohl Vorbild als auch Schreckbild gewesen und kann eher in die eine oder in die andere Richtung dargestellt werden.
  • Verhältnis von Staat und Kirche: Die Revolution berührte grundlegend das Verhältnis von Staat und Kirche. Der Katholizismus wurde in Frankreich als Staatsreligion abgeschafft und eine Zivilverfassung des Klerus eingeführt. Eine Trennung von Staat und Kirche, der Laizismus, hat dazu Bezug.
  • französische Nationalhymne: Die Französische Nationalhymne, die Marseillaise, stammt aus dieser Zeit. Sie wurde von Claude Joseph Rouget de Lisle 1792 als „Chant de guerre pour l’armée du Rhin“ („Kriegslied für die Rheinarmee“) gedichtet und komponiert und wurde 1795 zur Nationalhymne erklärt.
  • französische Nationalflagge: Die blau-weiß-rote Trikolore entstand als nationales Symbol und wurde zur Nationalflagge. Sie war Vorbild für eine Reihe von Flaggen anderer Staaten.
  • französischer Nationalfeiertag: In Frankreich ist der 14. Juli Nationalfeiertag, im Gedenken an den Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789 und das Föderationsfest auf dem Marsfeld in Paris am 14. Juli 1790.

Rescreamer2 
Beitragsersteller
 12.12.2021, 14:32

Oh das ist gigantisch. Vielen dank

Albrecht  09.12.2021, 00:29

Ernst Schulin, Die Französische Revolution. 5. Auflage. München : Beck, 2013 (Beck's historische Bibliothek), S. 265 - 266:

„Die erste Große Revolution hat den wesentlichen Umbruch geleistet, und soweit er noch nicht dauerhaft war und Rückbildungen auftraten, hat sie dagegen das Revolutionsmachen als innenpolitisches Mittel verfügbar gemacht. Sie hat den funktionsunfähigen, gegen sich selber arbeitenden Staats- und Gesellschaftsapparat des Ancien Régime zerstört. Sie hat das neue Bewußtsein von politischer Demokratie in Frankreich geschaffen, mithilfe der Aufklärung und des englischen und amerikanischen Vorbildes. Crane Brinton drückt das in folgender Weise aus: «Seit 1789 beruht die Regierung Frankreichs auf dem Prinzip der Diskussion; das aber bedeutet : Parlamente, Parteien, Zeitungen, politische Schlagworte, militante Minoritäten, Massenpsychosen – kurz alle jene Erscheinungen, die uns heute so vertraut anmuten, aber den Franzosen von 1788 ganz unbekannt waren.»

Die Französische Revolution hat das, was schon der fortschrittliche Absolutismus wollte, aber nicht erreichte, geschaffen: nämlich den festen, einheitlichen zentralen Regierungsapparat, der alle Umstürze des 19. Jahrhunderts überlebte und der das eigentliche stabile, «konservative» Element des Staates war. Mit diesen beiden, nämlich mit der politischen Demokratie und der Zentralregierung, hängt zusammen der moderne Nationalismus, die allgemeine Schulpflicht, die allgemeine Wehrpflicht und dergleichen. Für die Landwirtschaft - lange, in ziemlich auffallendem Grade auch noch heute das Rückgrat Frankreichs - bedeutete die Französische Revolution das Ende der feudalen Strukturen. Frankreich wurde, was sich in langer Entwicklung angebahnt hatte, ein Land von selbständigen bäuerlichen Kleinbesitzern oder freien Pächtern. Diese Stärkung des bäuerlichen Mittelstandes (denn es kam kaum zu großen Gütern, der Landerwerb durch das Bürgertum führte keineswegs zu kapitalistisch ausgenutztem Großgrundbesitz) ist kaum zu überschätzen in ihrer stabilisierenden, beruhigenden, konservativen Wirkung.

Die politisch bestimmende Gesellschaftsschicht war seither das Bürgertum in seinem schwer abzugrenzenden Umfang. Wenn man sagt, das «reiche Bürgertum» oder das «kapitalistische», ist das schon zu abgegrenzt. Sein bestimmtes Interesse, nämlich die Sicherung des Eigentums, die Freiheit für die wirtschaftliche Unternehmung und für den sozialen Aufstieg, ist aber seit 1789 zu erkennen. Es ist zu erkennen in der Abschaffung der Stände einerseits, in der Begrenzung des Weges zur radikalen Demokratisierung andererseits.“

S. 268: „Sie ist die erste große, auf völlige Neuerung ausgehende Revolution gewesen – Vorbild für alle gescheiterten oder gelungenen, künstlichen oder echten Revolutionen der Folgezeit, aber auch für die Reformen der Folgezeit. Darin liegt ihre lebendige geschichtliche Wirkung bis heute.“

Albrecht  09.12.2021, 00:32

Wolfgang Kruse, Die Französische Revolution. Paderborn ; München ; Wien ; Zürich : Schöningh, 2005 (UTB : Uni-Taschenbücher : Geschichte ; 2639), S. 185 – 191 unterscheidet:

unmittelbare Ergebnisse

  • Ersetzung der feudalständischen Privilegienordnung des Ancien Régime mit ihrer gewachsenen Vielfalt unterschiedlicher lokaler und regionaler Ausprägungen durch das bürgerliche Prinzip der allgemeinen Rechtsgleichheit und durch individuelle Eigentumsrechte
  • umfassende Rationalisierung der öffentlichen Ordnung, von der allgemeinen Durchsetzung des metrischen Sytsems bis zur rationalen Vereinheitlichung des Verwaltungsaufbaus
  • Prinzip der konstitutionellen Bindung politischer Herrschaft (eine geschriebene Verfassung), insbesondere Steuerbewilligungsrecht einer repräsentativen Volksvertretung

längerfristige Prägungen

  • Wegbereitung für neue politische Kultur (politische Öffentlichkeit, Organisierung politischer Interessen, politischer Parteiungen mit Einteilung von Richtungen nach einem aus der Sitzordnung stammenden rechts-links-Schema)
  • Trennung von Staat und Kirche
  • revolutionäre Ideologisierung und Modernisierung des Krieges (unter dem Vorzeichen des Nationalismus stattfindende Mobilisierung in einem Volkskrieg, Ansätze auf der einen Seite zu Milizvorstellungen, nach denen die bewaffnete Macht aus selbstorganiserten Bürgern bestehen sollte, auf der anderen Seite mit der allgemeinen Wehrpflicht verbundene Einordnung von Bürgern in einen von ihnen getrennt organisierte Armee mit Tendenzen zur Militarisierung der Gesellschaft)
Albrecht  09.12.2021, 00:30

Was macht dann das Umstürzende, das Innovative und die Wirkungsmacht der Revolution auch in der Perspektive der longue durée aus, wenn ein solcher Bruch, wie ihn die Rhetorik der Revolution beanspruchte, für den Bereich von Wirtschaft und Gesellschaft nur bedingt zu erkennen ist? Die moderne Forschung der vergangenen zwanzig Jahre findet die Antwort darauf im Politischen, in der Entwicklung von Verfassungen und neuen Formen der Legitimation von Herrschaft, in der Proklamation von Menschen- und Bürgerrechten und in der Funktion der Revolution als Gründungsereignis für eine demokratische politische Kultur, in der Entfaltung neuer Formen der politischen Repräsentation und Integration. Dazu gehört auch die Entwicklung von neuen Formen der politischen Rituale und Kommunikation, mit denen das Prinzip der Volkssouveränität von seiner abstrakten Ebene in die politische Praxis übersetzt und sichtbar gemacht werden sollte, mit denen die politischen Fraktionskämpfe ausgeformt und ausgetragen wurden. Diese Perspektiven und Ergebnisse einer neuen Politik- und Kulturgeschichte, die Varianten ihrer Deutungs- und Erinnerungsgeschichte entlang einer Erzählung der Ereigniskette Französische Revolution vorzustellen, sind Leitfaden und Thema der vorliegenden Darstellung.

Die Erfindung neuer politischer Ausdrucksformen und einer modernen politischen Begriffswelt gehört zu den schöpferischen Leistungen der Revolution und zu ihrem Erbe an unsere Gegenwart. Mit der Französischen Revolution entsteht ein neuer Begriff von Revolution. Revolution war nicht mehr das, was das 18. Jahrhundert darunter verstanden hatte: eine allgemeine staatliche Veränderung, ein geistiger Fortschritt, eine Veränderung im Denken. Nun verband sich mit dem Begriff Revolution die Erfahrung eines dramatischen, von Gewalt begleiteten umfassenden Wandels in Politik und Gesellschaft mit dem Anspruch, eine neue gerechte Ordnung zu schaffen und damit den geschichtlichen Fortschritt zu gestalten.“

Albrecht  09.12.2021, 00:30

Hans-Ulrich Thamer, Die Französische Revolution. Originalausgabe. 5., durchgesehene Auflage. München : Beck, 2019 (Beck'sche Reihe : C.-H.-Beck-Wissen ; 2347), S. 7 - 9:

„Kaum ein Ereignis hat die Geschichte der Moderne so tief geprägt wie die Französische Revolution von 1789 bis 1799. Sie eröffnete eine Phase grundstürzender Veränderungen der politischen, sozialen und kulturellen Verhältnisse in Frankreich. Als ein epochales Ereignis hat die Französische Revolution weit über den nationalen französischen Rahmen hinaus tiefe Spurenin der politischen und sozialen Entwicklung anderer Länder hinterlassen. Sie wurde zum Motor des Verfassungswandels und der Entstehung liberaler politischer Kulturen. Sie wurde zum Laboratorium der Moderne, indem sie in der kurzen Spanne eines Jahrzehnts die unterschiedlichsten Verfassungsformen entwickelte, die für das 19. und 20. Jahrhundert wirkungsmächtig werden sollten, von der konstitutionellen Monarchie über die Republik bis zur bonapartistischen Diktatur; indem sie die Grundlagen einer bürgerlich-individualistischen Eigentums- und Gesellschaftsverfassung schuf; indem sie zum ersten Mal eine demokratische politische Kultur entfaltete und damit den Durchbruch zur politischen Freiheit erkämpfte; indem sie einen fundamentalen Prozeß der Politisierung der Gesellschaft und der Ideologisierung der politischen Sprache auslöste und dabei zugleich die Selbstgefährdung demokratischer Ordnung demonstrierte. Ihre historisch-politische Bedeutung reicht darum bis in die Gegenwart.

In historischer Perspektive läßt sich die Französische Revolution zugleich als ein herausragendes Ereignis in einer langen Phase des politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichenWandels vom alteuropäischen Ancien Régime in die Moderne deuten, in dem die allgemeinen strukturellen Veränderungen anderen Zeitrhythmen folgen als dramatische politische Ereignisse. Kurzfristige Revolutionsereignisse werden dabei in langfristig ablaufende Prozesse sozialen Wandels eingebettet und die politischen Prozesse des Revolutionsjahrzehnts zum strukturellen Wandel in Beziehung gesetzt. Dadurch werden neben den Phänomenen der historischen Zäsur und des Neubeginns auch Elemente der Kontinuität stärker in den Blick genommen, die bereits im 18. Jahrhundert entwickelt waren und sich in der Revolution fortgesetzt oder vollendet haben und die in den Diskursen und in der Gesetzgebung zwar vorbereitet, aber erst im Laufe des 19. Jahrhunderts umgesetzt wurden. Dies gilt vor allem für den Strukturwandel von Wirtschaft und Gesellschaft, der den Gesetzen der langen Dauer und damit anderen Handlungsbedingungen unterliegt als die Politik. Dies gilt beispielsweise für Fortsetzung politisch-administrativer Zentralisierung, die mit dem Ausbau absolutistischer Staatlichkeit begann und mit derJakobinerherrschaft und ihren Kommissaren einen weiteren, nun freilich mit dem Prinzip der Volkssouveränität legitimierten Kulminationspunkt erreichte. Die Revolution bedeutet darum auch Rhetorik und Ankündigung, hinter der die Wirklichkeit zurückblieb. So vollzog sich 1789 nicht die «Geburt der bürgerlichen Gesellschaft», sondern die Organisation eines neuen Frankreichs bedeutete allenfalls einen wichtigen, vor allem rechtlichen Schritt in diesem Prozeß, der in seiner ökonomischen und sozialen Dynamik bereits vor 1789 begonnen und sich weit in das 19. Jahrhundert erstreckt hat. Beim Aufstieg der industriellen Welt spielte die Französische Revolution allenfalls eine Nebenrolle, manche Historiker halten die Revolution für die industrielle Modernisierung sogar für abträglich; sie habe England bei der Durchsetzung der Industriellen Revolution einen entscheidenden Vorsprung verschafft, den es vor 1789 nicht gegeben habe.