Wie würdet ihr entscheiden und warum?

8 Antworten

Hallo,

ich möchte mal versuchen zu erklären, warum die Fälle nicht anders zu entscheiden sind und weshalb auch Folter nicht möglich wäre, selbst wenn Terroristen nachweislichen eine Atombombe in einer Großstadt platzieren würden (machen wir den Fall doch etwas dramatischer).

Wie alle hier erkannt haben, steht die Geltung der Menschenwürde dem entgegen. Diese ist jedoch kein Grundrecht wie jedes andere. Vereinzelt wurde bereits angedeutet, dass sie "unantastbar wäre". Ich möchte hierfür gerne etwas weiter ausholen, denn wirklich anchvollziehbar werden diese Entscheidungen erst, wenn man die Bedeutung der Menschenwürde verstanden hat.

Die Menschenwürde steht an der Spitze unserer Verfassung, das hat historische Gründe und ist eine objektive Wertentscheidung. Sie ist gewissermaßen eine Antwort auf die Gewaltverbrechen des Nationalsozialismus. In unserer freiheitlichen Demokratie ist sie der oberste Wert und ein tragendes Konstitutionsprinzip.

Sie kommt jedem gleichermaßen zu, da sie an die Subjektstellung als Mensch anknüpft (egal ob unschuldig oder Schwerverbrecher).

Folter ist eine massive Verletzung der körperlichen Integrität und seelischen Identität des Menschen.

Grundrechte können normalerweise beschränkt werden, insbesondere wenn sie mit Grundrechten Dritter kollidieren. Das ist bei der Menschenwürde aber nicht so, sie ist nicht nur "vorbehaltlos" gewährleistet sondern als einziges Grundrecht "schrankenlos" gewährleistet und unterliegt daher als praktisch einziges Recht des Staates keiner Beschränkungsmöglichkeit. Der Schutz der Menschenwürde ist absolut, sie ist einer Abwägung nicht zugänglich (was der Juristerei äußerst fremd ist), sie kann deshalb auch nicht zugunsten anderer Verfassungsgüter oder Grundrechte eingeschränkt werden.

Ein paar Argumente die hierfür in das Feld geführt werden können:

Wortlaut: Die MW ist „unantastbar“
Systematik: Die MW hat den höchsten Rang in der Verfassung inne und steht deshalb auch an ihrer Spitze
Historik: MW hat historisch besondere und herausragende Bedeutung (s.o.)
Im Übrigen: Die Ewigkeitsgarantie aus Art. 79 III schützt Art. 1 I GG vor jeglicher Veränderung.

Jeder Eingriff ist damit ein nicht rechtfertigbarer Verstoß gegen die Verfassung.

Jetzt noch ein kleiner Bezug auf das Beispiel. Mein Lehrmeister in Grundrechten (ein Bundesverfassungsrichter a.D.) hat selbst dieses Beispiel in der Vorlesung angeführt (das o.g. mit der Atombombe). Aber eben wegen des absoluten Schutzes ist es nicht möglich eine Abwägung zu machen. Es gibt keine Verfassungsgüter, die der Menschenwürde entgegenstehen können, wegen dieser Besonderheit wird es niemals legitim sein können, eine Beschränkung dieser vorzunehmen. Würde hiervon auch nur ein einziges Mal eine Ausnahme gemacht, so würde eine Art "Präzedenzfall" geschaffen, der Sonderrecht Tür und Tor öffnet. Die Menschenwürde würde entgegen ihrer herausragenden Bedeutung entwertet. Ansichten, die daher eine Folter befürworten würden sind aus juristischer Sicht schlechthin falsch und nicht vertretbar.

Eigentlich müsste die Erklärung weitaus länger ausfallen, aber ich denke ich habe die wichtigsten Punkte vermitteln können. Ich hoffe daher, etwas geholfen zu haben! :P

Viele Grüße, JS

KimAlexandra 
Fragesteller
 27.05.2016, 22:28

Danke, für diese ausführliche und objektive Erklärung. Ich glaube, jetzt kann ich das auch ein bisschen besser nachvollziehen. :)

Würde man deiner Meinung in diesem Fall nachgeben, müsste man das in anderen Fällen genauso handhaben. Damit würde die Androhung von Folter zum legitimen Mittel der Vernehmung. Das ist aber mit den Menschenrechten nicht vereinbar.

Ich kann deine Haltung gut verstehen, aber die Menschenrechte sind unantastbar und können auch in solchen Fällen nicht einfach ignoriert werden. 

Der Rechtsstaat muss sich an seine eigenen Regeln halten.

Nein, jeder Mensch hat seine Grund Rechte. Zudem hat die Drohung ja gar nichts gebracht da er ja auch schon Tot war. Und außerdem wo soll die Ausnahme anfangen und aufhören. Das würde einfangen das ein Diebstahl dafür schon recht. Andere meinen den wieder erst das es erst ab Mord oder so ,so eine Ausnahme geben sollte. Dies kann man gar nicht beurteilen wann es so eine Ausnahme geben sollte. 

In der BRD gilt ein Strafrecht, das mit dem Grundgesetz vereinbar ist, es gibt kaum bessere Rechstsystheme auf dieser Welt. Die Judikative ist an die genaue Einhaltung dieser Gesetze gebunden und die Rechtsprechung handelt auch danach.

Der Fall Jakob von Metzler ist mir noch sehr gut in Erinnerung. Schon allein aus beruflichen Gründen habe ich, insbesondere die Nachfolgenden Geschehen, intensiv verfolgt.

Zunächst hat nicht der Täter wegen Andohung der Folter geklagt (das tat er später im Zivilprozeß auf Schmerzensgeld, was er auch bekam), das kann nur der Staatsanwalt.

Die Anklage gegen den damaligen stellvertretenden Polizeipräsidenten Wolfgang Daschner lautete auf Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat (§ 357 StGB). Worauf die Verteidigung sich berief weiß ich nicht mehr so genau, wahrescheinlich auf Notwehr (§ 32 StGB). Möglich wäre auch Rechtfertigender Notstand (§ 34 StGB) gewesen. Die große Strafkammer am Landgericht Frankfurt urteilte jedoch daß die Menschenwürde des (§ 1 GG) Täters vorrangig sein und billigend in Kauf genommen worden sei.

Daschner wurde zu 90 Tagessätzen Geldstrafe verurteilt. Die Strafe wurde gem. § 59 StGB, unter Strafvorbehalt ausgesetzt.

Die damalige Diskussion zu dem Fall ging durch sämtliche Bevölkerungsschichten, von Talkshows bis zu Thekendisskussionen. Ich denke mal das 95 % der Bevölkerung absolutes Verständnis für das Verhalten Daschners hatten und ihn alles andere als bestraft sehen wollten. Trotzdem erfolgte die notwendige und richtige Verurteilung. Es gibt nun mal Fälle in denen sich unser Rechtssysthem selbst fängt, das Recht darf dadurch aber nicht gebeugt werden. Wie schwer sich letztlich auch das Gericht mit dieser Verurteilung tat zeigt das Urteil, welches sich am absolut unteren Rand der Strafmöglichkeiten befand.

Folter und die Androhung derer wird nunmal seit jeher als Verstoß gegen die Menschenrechtswürde geahndet. Das muss man nicht gut finden, das ist aber so. 

Wenn man jetzt diese Grenze verwischt, indem Folter bzw. die Androhung in bestimmten Fällen erlaubt sein kann, dann sind wir wieder in Zeiten vor dem Grundgesetz und Menschenrechten.

Denn Menschenrechte und das Grundgesetz gelten auch für Menschen, die Kinder missbrauchen und ermorden.

Ich denke nicht, dass diese Sichtweise jetzt hier gut ankommt, das ist mir auch egal, aber ich möche nicht, dass Folter und auch die Androhung von Folter wieder ein legitimes Mittel zum Verhör werden kann, egal wen man foltert.