Welche Bedeutung bzw. welchen Ursprung hat das Wort: Orientierung?

8 Antworten

Das deutsche Wort „Orientierung“ geht auf die lateinische Sprache zurück (zum Teil auch über die französische Sprache vermittelt, also indirekt aufs Lateinische zurückgehend). Das Verb oriri ist ein Deponens (passive Form, aktive Bedeutung; Stammformen: oriri, orior, ortus sum). Es bedeutet: sich erheben, aufsteigen, aufgehen, sichtbar werden, entstehen, entspringen, geboren werden, seinen Ursprung bekommen, abstammen.

Das Partizip Präsens von oriri ist oriens (Genitiv: orientis). In Verbindung mit sol (Sonne) ist daraus das Wort Orient entstanden (das Land/die Gegend der aufgehenden Sonne/wo die Sonne aufgeht).

Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearbeitet von Elmar Seebald. 25., durchgesehene und erweiterte Auflage. Berlin ; New York : de Gruyter, 2011, S. 670 gibt an:

Orient: 12. Jahrhundert, mittelhochdeutsch orient, abgeleitet aus lateinisch oriens (orientis), Partizip von oriri „sich erheben“, „aufgehen“, wohl aus Wendungen wie in oriente sole „in Richtung der aufgehenden Sonne“

orientieren: 18. Jahrhundert, entlehnt aus französisch orienter, Ableitung von französisch orient „Sonnenaufgang“, „Osten“, „Orient“ , die Bedeutung als Verallgemeinerung von: „die Position nach der (aufgehenden) Sonne bestimmen. Abstraktum: Orientierung

Duden, Das Fremdwörterbuch. 10., aktualisierte Auflage. Herausgegeben von Dudenredaktion. Mannheim ; Leipzig ; Wien ; Zürich : Dudenverlag, 2010 (Duden ; Band 5), S. 739 gibt an:

orientieren: lateinisch-französisch. 1. a) sich orientieren: eine Richtung suchen, sich zurechtfinden b) ein Kultgebäude/eine Kirche in West-Ost-Richtung anlegen 2. (besonders schweizerisch) informieren, unterrichten 3. auf etwas einstellen, nach etwas ausrichten 4. (regional) a) auf etwas umlenken b) sich orientieren: seine Aufmerksamkeit auf etwas/jemanden konzentrieren

Orientierung: 1. Anlage eines Kultgebäudes/einer Kirche in West-Ost-Richtung 2. das Sichzurechtfinden im Raum 3. geistige Einstellung, Ausrichtung 4. Informierung, Unterrichtung 5. (regional) Hinlenkung auf etwas

Hinsichtlich einer Ansiedlung im kollektiven Unbewußten könnte die große Bedeutung des Sinnes des Sehens für Menschen unter den Sinneswahrnehmungen festgestellt werden. Helligkeit und Dunkelheit gliedert in Tag und Nacht. Das Sonnenlicht ist eine Hilfe, sich zurechtzufinden, kann Anhalt bieten, die richtige Richtung zu finden. Geographisch wird die Himmelsrichtung nach der aufgehenden Sonne bestimmt. Bei sich regelmäßig auftretenden Vorgängen stellt sich eine Erwartung einer Wiederholung ein. Dies schließt den Sonnenaufgang ein.

Danke, Albrecht! Besonders für den letzten Absatz. Darf ich dir folgenden Artikel dazu empfehlen?:

http://hintergrundstrukturen.de/index.php?option=com_content&view=article&id=298:die-suche-nach-dem-orient&catid=42:thema-kultur&Itemid=72

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@helisua66

Der Artikel macht den Fragehintergrund deutlicher.

Eine weltanschauliche Voraussetzung der Kreuzzüge ist, ein „himmlisches Jerusalem" (ein Reich der Gottesnähe und verheißenen Heils/Erlösung) und ein „irdisches Jerusalem" in sehr enger Beziehung zu verstehen.

Zu einer Suche nach Wahrheit, höherer Realität bzw. Weisheit könnte in Verbindung mit Sonne eine Tradition der Lichtmetaphorik und Lichtmetaphysik in die Untersuchung einbezogen werden. Diese beginnt in der griechischen Philosophie der Antike schon früh, bei Parmenides. Das Verhältnis von Licht und Sehen entspricht nach einer platonischen Auffassung dem von Ideen und erkennendem Geist. Dem einsehenden Denken erschließt sich die Wahrheit.

Platon stellt im Sonnengleichnis (Politeia 507 b - 509a) dar, wie die Sonne im Bereich des Sichtbaren, der Welt der Erscheinungen, durch ihr Licht dem Auge Wahrnehmung ermöglicht und den Dingen Existenz (Entstehung und Wachstum) gibt. In einem intelligiblen, einem durch Vernunft einsehbaren (geistig erfassbaren) Bereich (νόητος γένος/τόπος), der Welt der Ideen, verleiht in einer Entsprechung zur Sonne die Idee des Guten Wahrheit und Sein/Existenz und gibt insofern als Ursache dem Subjekt (eine Person mit Erkenntnisvermögen in der Seele) die Fähigkeit zu Wissen/Erkenntnis. Ein geistiges Licht (in einer Doppelnatur als Wahrheit und Sein) ist das vermittelnde Dritte, das Bedingung der Möglichkeit von Erkennen ist.

Die Idee des Guten verursacht als begründende Kraft:

a) Erkennen der Seele
b) Erkanntwerden des Denkbaren/Einsehbaren
c) Einheit von Denkendem und Gedachtem (den Ideen), Denken und Sein, im Erkenntnisvorgang

Zur Tradition der Lichtmetapher und Lichtmetaphysik (Licht = griechisch φῶς, lateinisch lux) gehören der Neuplatonismus (z. B. Plotin, Proklos), die Sprache der Bibel (z. B. Johannes 1, 4 – 5; 8. 12; 1 Johannes 1, 5), christliche Kirchenväter (Augustinus, Soliloquia 1, 1, 3 sagt z. B., Gott sei „intelligibles Licht, in dem und von dem her und durch das alles intelligibel leuchtet“) und mittelalterliche Theologie und Mystik.

Überblick dazu:
Werner Beierwaltes, Licht I. Antike, Mittelalter und Renaissance. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 5: L – Mn. Basel ; Stuttgart : Schwabe, 1980, Spalte 282 – 286

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Ginoxe hat bereits auf die Ableitung aus dem Französischen hingewiesen. Wurde vom franzöischen Verb s`orientier, dieses wiederum vom franzöischen orient -Sonnenaufgang, Osten, Orient, entlehnt.

Das vom Verb abgeleitete Substantiv -ORIENTIERUNG- hat dabei eine Bedeutungserweiterung erfahren. Es bedeutet soviel wie Kenntnis vom Weg und Gelände, geistige Einstellung, Ausrichtung. Seit dem 19.Jhdt. belegt.

In der DDR hatte das Verb orientieren eine etwas andere Bedeutung, beeinflußt von der russischen Konstruktion: orientirovat` na..., auf etwa zielen,lenken, etw. im Auge haben, sich auf etwas konzentrieren, das Programm orientierte sich auf wirtschaftliche Schwerpunkte .

Ja, das ist die sprachliche Herkunft. Aber die bedeutungsmäßige? Der Begriff geistige Einstellung hilft ein wenig weiter. Aber ich suche etwas, was ich allerdings nicht ausdrücklich in der Frage formuliert hatte - nämlich die Verbindung zum Orient und zum Sonnenaufgang. Vielleicht hat das auch die Kreuzfaher bewegt, und möglicherweise hing auch die Suche nach dem Gral damit zusammen.

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Hi, oriri, orior, ortus sum: sich erheben, entstehen, aufgehen. Oriens (ergänze: Sol): aufgehende Sonne, Land der aufgehenden Sonne = Osten. Orientieren: ein Bauwerk ausrichten (ursprünglich: nach Osten). Sich orientieren: sich zurechtfinden (im Gelände). Gruß Osmond

Aber wie hängt das mit dem Begriff Orient zusammen?

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@helisua66

Hi, das geht doch aus meiner Antwort hervor. oriri: aufrichten, aufgehen. Die Sonne geht wo auf? Im Osten! Oriens Sol: die aufgehende Sonne. Orient: Aufgehen (wo die Sonne aufgeht - also im Osten. Meine Eselsbrücke an Dich: Im Osten geht die Sonne auf, im Süden nimmt sie ihren Lauf, im Westen wird sie untergehn, im Norden ist sie nie zu sehn. Difficile est satiram non scribere! Machste Abitur? lgO

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@osmond

Doch doch! Aber einmal ganz nebenbei: Kennst du diesen Spruch?:

Ceterum censeo canes cuniculorum cognationes causarum causarii cogitant.

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@helisua66

Hi, wer ist Karnickel, wer Hund - was soll die invalide Ursache (Du?) sein? lgO

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@osmond

Die Übersetzung lautet meines Erachtens: "Im übrigen bin ich der Meinung, daß die Hunde nur kränklich (hier: kaum) als der Kaninchen zugehörige Ursache gedacht werden können." (Sog. 'Apropostes-Dialog' zur Kausalitätsfrage; bezog sich auf den Fall, in dem du zuerst ein Kaninchen und hinter diesem einen Hund aus einem Busch hervorgeschossen kommen siehst (erumpere vides)). Denn ebenso kann man das Kaninchen als die Ursache des Hundes sehen. Bezogen auf unseren Fall bedeutet das, daß die von dir aufgestellte Kausalitätsfolge nicht zwingend ist, denn wir sehen zwar einen Gläubigen, der sich in Erwartung des Sonnenaufganges nach Osten ausrichtet, also sich entsprechend 'orientiert', aber das tut er ggf. auch abends, wenn die Sonne bereits im Westen untergeht. Wir orientieren uns schließlich unabhängig von der Zeit. Und was ist mit den Eskimos: können die sich nicht dennoch orientieren, obwohl sie sich dabei stets nach Süden richten müßten, was für sie bedeutet: in alle nur möglichen Richtungen? Diffile est satiram non scribere!

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@helisua66

Hi, ist doch meine Rede. Drum hatte ich ja scherzhaft gefragt. Immerhin hatte ich mal das Latinum. Ist aber schon lange her. Grammatikalisch gehts aber etwas anders als frei übersetzt: Im übrigen (Ceterum) bin ich der Ansicht (Censeo: 1. Pers. Sing. Präs. Aktiv), die Hunde (Canes: Nominativ Plural) (ge)denken (cogitant: 3. Per. Plural, Präsens, Aktiv) der Karnickel (Cuniculorum: Genitiv Plural) den Sippen/Verwandtschaften (Cognationes: Akkusativ Plural) des Invaliden/Kränklichen ( Causarii: Genitiv Singular) der Ursachen (Causarum: Genitiv Plural) . lgO

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@osmond

Apropo Apropostes (sic!): Ich glaube, daß es sich dabei um einen literarisch-philosophischen Scherz nach dem Muster von Robert Neumann (siehe Wiki) handelt und daß der Titel möglicherweise gewisse grammatikalische Fehler enthält. Ich hoffte, daß du mir die vielleicht nennen könntest. Gib einmal den ganzen Titel in Google ein und du wirst fündig.

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Baukunst: Ausrichtung von sakralen Bauwerk, im christl. Bereich Ostung.

Mathe: Durchlaufsinn einer geomet. Figur, z.B. Auszeichnung einer von 2 Seiten einer Fläche.

Physiologie: Fähigkeit von Organismen sich in Raum /Zeit zurechtzufinden, bestimmte Raumlage beizubehalten oder verändern zu können.

Ist Lateinischen Ursprungs.

Kirchen wurden so gebaut, dass sie zur aufgehenden Sonne ausgerichtet sind: zum Licht, welches Christus zugeschrieben wird ("ich bin das Licht der Welt!") (Betrichtung) Der Westen (untergehende Sonne) wurde als Heimstatt des Bösen angesehen, vor dem man sich zu schützen habe. Deswegen stehenden dieser Richtung die mächtigen Turmfassaden ("Westwerke")

Es gibt auch gewestete Kirchen. Die bekannteste ist die Peterskirche in Rom.

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@salome77

Richtig! Und in welche Richtung betet der Hauptzelebrant?

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@Eustachio

Aber du hast recht. Die Basilika St. Peter ist ein Ausnahmefall.. Hatte das nicht mit dem Schisma mit den Ostkirchen zu tun? Arianischer Streit? Irgendwas war da doch...

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@Eustachio

Die Betrichtung ist schwierig zu bestimmen, da sie sich mit dem Vaticanum II geändert hat. Auch der Bamberger Dom ist gewestet. Er hat auch im Westchor ein Papstgrab und ist der Peterskirche mit dem Petrusgrab nachgebildet.

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@salome77

Das mit dem Bamberger Dom finde ich sehr interessant, und das wußte ich noch gar nicht. Denn ich erahne einen irgendwie gearteten Zusammenhang zum Bamberger Reiter. Der läßt sich ggf. als die vertikale städtische Gesellschaft deuten, die sich über die Naturalgesellschaft erhebt (der Grüne Mann im Sockel steht für diese). Denn er wurde etwa zu der Zeit geschaffen, als die meisten frühen Stadtgründungen in Deutschland begannen. Und senkrecht zur Vertikalen richtet sich die horizontale Ost-West-Achse aus. Wenn diese nun plötzlich betont nach Westen gerichtet wurde, kann das einer Betonung der neuen Säkularisierung entsprechen. Man muß dazu wissen, daß der Bamberger Bischof ein Statthalter Friedrichs II. von Hohenstaufen war, der in einem tödlichen Konflikt mit dem Pabst und dem Vatikan lag. Er sah sich deshalb fast als eine Art Gegenpabst. Siehe dazu hier:

http://hintergrundstrukturen.de/index.php?option=com_content&view=article&id=245:der-bamberger-reiter&catid=60:grundlagen&Itemid=108

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@helisua66

Der Bamberger Dom ist nach der Peterskirche ausgerichtet und deshalb gewestet. Erbaut durch Heinrich II, der gut 200 Jahre vor Friedrich II. gelebt hat. Es hat also nichts mit Säkularisierung zu tun, sondern mit dem Machtanspruch des Kaisers im Rom nördlich der Alpen. Die These aus dem Artikel zum Bamberger Reiter ist meiner Meinung nach sehr weit hergeholt. Ich finde die Performancetheorie plausibler. Der Reiter als erster bei der Prozession in den Dom, am Gericht hindurch und dann zum Papstgrab.

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@salome77

Richtig, ich habe das verwechselt. Der Dom wurde schon früher von Heinrich II erbaut, aber der Reiter erst zur Zeit Friedrichs II.

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