Parmenides und Heraklit? Die Philosophischen Zwillinge...

2 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Über die beiden griechischen Philosophen sind einige Tatsachen bekannt, aber nicht sehr viele. Die ungefähre Lebenszeit (Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr./Anfang des 5. Jahrhunderts v. Chr.) kann der Überlieferung entnommen werden, aber die genaue Lebenszeit ist nicht ganz sicher nachgewiesen. Wesentlicher als Fakten sind die grundlegenden philosophischen Auffassungen, die Heraklit und Parmenides vertreten haben. Sie haben sich mit ähnlichen Problemen beschäftigt, wobei Heraklit in seinem Denken das Werden betont, Parmenides das Sein. Wenn unterschiedliche Aussagen zu finden sind, liegt dies auch an der Notwendigkeit, schwierige und nicht vollständig erhaltene Gedanken zu verstehen und zu deuten.

Heraklit hält die Wirklichkeit für nicht feststehend und bleibend, sondern sich wandelnd, als Geschehen eines Prozesses. Heraklit hat die Wirklichkeit als eine dynamische Einheit in der Vielheit verstanden, eine Einheit in Gegensätzen.

Parmenides hat die Lehre vertreten: Seiendes ist. Dieses sei etwas Zeitloses, Ganzes, Gleichbleibendes, Einheitliches. Vielheit kommt bei ihm in einer Welt des Scheins vor, zu der kein Weg Wahrheit darlegender der Erforschung gangbar ist.

Heraklit

Heraklit (Herakleitos; altgriechisch: Ἡράκλειτος) hat nach einer antiken Angabe seine Blütezeit (ἀκμή [akmé] um 500 v. Chr. gehabt. Demnach ist er etwa 545 – 540 v. Chr. geboren und etwa 480 v. Chr. gestorben. Es gibt aber auch andere Datierungen.

Heraklit lebte in Ephesos, einer Stadt in Kleinasien, und stammte aus einer alten aristokratischen Familie. Er hat ein Exemplar seines philosophischen Werkes als Weihgabe im Artemis-Tempel von Ephesos hinterlegt.

Werden und Vergehen: Fluß der Dinge

Nach Heraklits Auffassung befindet sich die Wirklichkeit in einem Wandel. Dieses Werden und Vergehen drückt er auch im Bild eines Fließens aus.

VS DK (= Fragmente der Vorsokratiker, Hermann Diels/Walther Kranz) 22 B 91 steht:

ποταμῷ γὰρ οὐκ ἔστιν ἐμβῆναι δὶς τῷ αὐτῷ

„Zweimal in denselben Fluß hineinzusteigen ist nicht möglich“.

Dies wird dort damit näher erläutert, daß der Fluß zerstreut/auseinandertreibt und zusammenführt, herangeht und fortgeht.

VS DK 22 B 12 enthält die Aussage:

ποταμοῖσι τοῖσιν αὐτοῖσιν ἐμβαίνουσιν ἕτερα καὶ ἕτερα ὕδατα ἐπιρρεῖ•

„Den in dieselben Flüsse Hineinsteigenden strömen/fließen andere und andere Wasser zu.“

Platon, Kratylos 402 a sagt die Dialogfigur Sokrates:

λέγει που Ἡράκλειτος, ὅτι πάντα χωρεῖ καὶ οὐδὲν μένει· καὶ ποταμοῦ ῥοῇ ἀπεικάζων τὰ ὄντα λέγει, ὡς δὶς ἐς τὸν αὐτὸν ποταμὸν οὐκ ἂν ἐμβαίης.

„Heraklit sagt irgendwo, daß alles im Gange ist und nichts bleibt. Und indem er das Seiende mit dem Strömen/Fließen eines Flusses vergleicht, sagt er, daß man wohl nicht zweimal in denselben Fluß hineinsteigen kann.“

Für eine Veränderung, ein allgemeines Werden und Vergehen, ist die als Aussage von Heraklit selbst nicht belegte Formel „Alles fließt“ (πάντα ῥεῖ [pánta rheî]) geprägt worden. Dies ergäbe eine umfassende unaufhörliche Veränderung.

Einheit der Gegensätze

Heraklit sieht die Welt durch vielfältige Gegensätze gekennzeichnet, die sogar ineinander umschlagen. Metaphorisch ausgedrückt bringt Streit/Kampf/Krieg (VS DK 22 B 80) die Dinge hervor.

Heraklit bleibt aber bei dieser Gegensätzlichkeit der Erscheinungen nicht stehen. Er hat den Gedanken einer Übereinstimmung des Unterschiedlichen, einer gegenstrebigen Zusammenfügung/Harmonie (παλίντονος ἁρμονίη [bzw. παλίντροπος ἁρμονίη; darüber, welches Wort von Heraklit an dieser Stelle verwendet worden ist, sind die Meinungen nicht ganz einheitlich] VS DK 22 B 51). Einer Prozeßhaftigkeit liegt nach seiner Deutung etwas zugrunde. Heraklit hat offenbar auch eine Lehre von der Einheit der Dinge und dem Zusammenfallen der Gegensätze vertreten.

Herrschaft des Logos

Der in und zwischen Gegensätzen verlaufende Prozeß ist nach Heraklits Auffassung zugleich Teil einer umfassenden Herrschaft des Logos (λόγος). Der Logos bei Heraklit ist teils Weltprinzip in Form einer vernunftbegabten, feuerähnlichen (bzw. wie ein Glutwind/Äther), unveränderlich mit sich identischen Urstoffes, teils mächtiges allgemeines Weltgesetz, teils alles durchwaltende Weltvernunft bzw. Weltseele.

VS DK 22 B 30: κόσμον τόνδε, τὸν αὐτὸν ἁπάντων, οὔτε τις θεῶν οὔτε ἀνθρώπων ἐποίησεν, ἀλλ' ἦν ἀεὶ καὶ ἔστιν καὶ ἔσται πῦρ ἀείζωον, ἁπτόμενον μέτρα καὶ ἀποσβεννύμενον μέτρα.

„Diesen Kosmos, denselben aller, hat weder irgendeiner der Götter noch der Menschen geschaffen, sondern er war immer und ist und wird sein immerlebendes Feuer, entflammend nach Maßen und erlöschend nach Maßen.“

Der Logos ist sowohl eine Naturgegebenheit als auch ein universales Gesetz, das eine Norm darstellt. Eine Einsicht Der Mensch hat sich dem Logos gemäß zu verhalten.

Albrecht  29.10.2013, 00:14

Parmenides

Parmenides (Παρμενίδης) hat nach einer antiken Angabe seine Blütezeit in der 60. Olympiade 504/503 – 501/500 v. Chr.) im Alter von 40 Jahren gehabt, was zu einem Geburtsjahr 544 – 541 v. Chr. führen würde. Nach Platon hat er dagegen bei einer Reise nach Athen im Alter von etwa 65 Jahren den jungen Sokrates getroffen (was etwa 455 – 450 v. Chr. stattgefunden haben könnte), was auf eine Geburtsjahr etwa 520 – 515 v. Chr. deutet. Nach Plutarch hat er irgendwann im Zeitraum 449 – 440 v.Chr. auch noch eine Reise nach Thurioi unternommen.

Parmenides lebte in Elea, einer griechischen Stadt in Süditalien.

Parmenides hat seine Philosophie in einem Lehrgedicht (um 500 v. Chr. entstanden, in Bruchstücken [Fragmenten] erhalten) dargelegt. Die Untersuchung (als Weg/Fahrt ausgedrückt) führt dazu, sowohl überzeugende Wahrheit zu erfahren (Teil 1) als auch die Meinungen der Sterblichen (Teil 2), denen wahre Verläßlichkeit fehlt, und zu diesen eine Erklärung kennenzulernen (VS DK 28 B 1).

Seiendes

Kernaussage bei Parmenides ist: Seiendes ist

Dieser Aussage wird dabei entgegengestellt: Nichts/Nichtseiendes ist nicht (beispielsweise VS DK 28 B 6, 1 – 2 χρὴ τὸ λέγειν τε νοεῖν τ' ἐὸν ἔμμεναι· ἔστι γὰρ εἶναι, μηδὲν δ' οὐκ ἔστιν· „Es ist nötig/richtig zu sagen und zu denken, daß Seiendes ist. Denn es ist möglich, zu sein, nichts aber ist nicht.“).

Das Seiende hat Merkmale und Einheit gehört dazu.

Seiendes ist, so lehrt Parmenides, unentstanden/ungeworden, unvergänglich, ganz, ohne Ende/unteilbar, ohne zeitlichen Anfang/Vergangenheit und Ende/Zukunft (das heißt: zeitlos), Eines (eine Einheit/einheitlich), unbeweglich und unveränderlich, homogen, kontinuierlich und einer wohlgerundeten Kugel gleich (VS DK 28 B 8). Nur Seiendes ist nach dieser Lehre, allein Seiendes ist denkbar und wahr.

Zusammenhang von Denken/Denkbarkeit und Sein

VS DK B3: τὸ γὰρ αὐτὸ νοεῖν ἐστίν τε καὶ εἶναι.

„Denn dasselbe ist Denken und Sein.“

Gedacht werden zu können und etwas Bestimmtes zu sein, ist dasselbe.

Denken/Erkennen/geistig Erfassen/Einsehen (νοεῖν [voeîn]) und Sein (εἶναι [eînai] = sein) hält Parmenides für unlöslich verbunden. Wer denkt und sagt, sagt etwas Bestimmtes. Nichtseiendes ist kein bestimmter Gegenstand als Objekt. Für Parmenides bedeutet Nichtseiendes zu denken und zu sagen offenbar, etwas zu denken und zu sagen, was nicht ist und daher überhaupt nichts zu denken und zu sagen. Denken richtet sich nach seinem Verständnis immer auf das Erfassen des Seienden.

Ein Grundzug des Seienden besteht darin, eine Einheit/Eines zu sein (VS DK 28 B 8, 5 – 6: οὐδέ ποτ' ἦν οὐδ' ἔσται, ἐπεὶ νῦν ἔστιν ὁμοῦ πᾶν, ἕν, συνεχές· „Weder war es einmal noch wird es sein, denn es ist ganz beisammen, Eines, zusammenhängend.“). In einer Entgegenstellung von Seiendem und Nichtseiendem wird alles, was nicht Seiendes ist, zu etwas, das nicht ist, etwas Unwahres, bloße menschliche Meinung, die trügerisch ist und sich auf einem Irrweg befindet (Vgl. VS DK 28 B 8, 50 – 54).

nur unzuverlässige Meinung über Welt des Scheins möglich

Eine Vielheit mit einem Dualismus (Vorhandensein zweier grundlegender Wesenheiten/Prinzipien) gibt es bei Parmenides nur in einem Bereich des Scheins und bloßer Meinung (δὀξα [dóxa]), die trügerisch und nicht zuverlässig ist.

Die Sinneswahrnehmung mit veränderlichen Dingen der Erfahrung bezieht sich auf eine erscheinende Welt. Diese veränderlichen Dinge zeigen sich in einer Weise, die mit den Bestimmungen des Seienden, wie Parmenides sie angibt, unvereinbar ist. Daher kann es sich dabei nicht um etwas handeln, das etwas an sich ist. Werden wäre (nach dem Maßstab reinen Seins) ein Übergang vom Nichtsein zum Sein.

Nach der Darlegung des Wegs der Wahrheit, der von der Vernunft eingesehen werden kann, in einem ersten Teil unternimmt Parmenides in einem zweiten Teil einen hypothetischen (Annahmen darstellenden und unter der Voraussetzung, die Wirklichkeit sei etwas Veränderliches und Werdendes vorgetragenen) Erklärungsversuch für die Erscheinungswelt.

Parmenides hat darin eine Kosmologie vorgelegt (nur ziemlich wenige Bruchstücke sind in der Überlieferung erhalten). Er stellt eine Theorie von zwei gegensätzlichen Elementen/Prinzipien, φάος (Licht, Feuer) und νύξ (Nacht, Dunkel) vor. Aus diesen leitet er eine Reihe von Gegensatzpaaren ab, die Grundbestimmungen der Dinge in der Erscheinungswelt darstellen sollen. Alle beobachtbaren Eigenschaften der Dinge versucht er aus der Mischung der ursprünglichen Elemente begreiflich zu machen.

1
Albrecht  29.10.2013, 00:20

Die Texte der beiden Philosophen gehören zu den Fragmenten der Vorsokratiker (Fragment bedeutet Bruchstück).

In Büchern gibt es Darstellungen, die Deutungen der wesentlichen Gedanken enthalten, z. B.:

Wolfgang Röd, Von Thales bis Demokrit. 3., überarbeitete und aktualisierte Auflage. München : Beck, 2009 (Geschichte der Philosophie ; Band 1), S. 89 – 136 (VI. Heraklit. VII.Parmenides)

Christof Rapp, Vorsokratiker. Originalausgabe. 2., überarbeitete Auflage. München : Beck, 2007 (Beck'sche Reihe : Denker ; 539), S. 56 – 82 (III. Unsichtbare Harmonie der Gegensätze: Heraklit) und S. 91 – 133 (V. Parmenides' Überwindung des Nicht-Seienden)

Andreas Bächli, Heraklit : Einheit der Gegensätze. In: Philosophen des Altertums : von der Frühzeit bis zur Klassik : eine Einführung. Herausgegeben von Michael Erler und Andreas Graeser. Darmstadt : Primus-Verlag, 2000, S. 56 – 71

Andreas Graeser, Parmenides : Denken und Sein. In: Philosophen des Altertums : von der Frühzeit bis zur Klassik : eine Einführung. Herausgegeben von Michael Erler und Andreas Graeser. Darmstadt : Primus-Verlag, 2000, S. 72 – 81

Dieter Bremer, Heraklit. In: Friedo Ricken (Hrsg.), Philosophen der Antike I. Stuttgart : Kohlhammer, 1996, S. 73 – 92

Friedo Ricken, Parmenides. In: Friedo Ricken (Hrsg.), Philosophen der Antike I. Stuttgart : Kohlhammer, 1996, S. 93 - 110

Manfred Kraus, Parmenides. In: Frühgriechische Philosophie. Halbband 1. Herausgegeben von Dieter Bremer, Hellmut Flashar und Georg Rechenauer (Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neu bearbeitete Ausgabe. Herausgegeben von Helmut Holzhey. Die Philosophie der Antike - Band 1/1). Basel ; Stuttgart : Schwabe, 2013, S. 441 – 530

Dieter Bremer und Roman Dilcher, Heraklit. In: Frühgriechische Philosophie. Halbband 1. Herausgegeben von Dieter Bremer, Hellmut Flashar und Georg Rechenauer (Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neu bearbeitete Ausgabe. Herausgegeben von Helmut Holzhey. Die Philosophie der Antike - Band 1/1). Basel ; Stuttgart : Schwabe, 2013, S. 601 – 656

1

Ich empfehle zu den Vorsokratikern das Werk von Wilhelm Capelle. In Zeiten des Internet ist auch das viel umfangreichere Werk von Diehls&Kranz als digitale Kopie leicht zugänglich.

Da von den Vorsokratikern nur Fragmente erhalten sind, ist es ein Leichtes, diese zu sichten und eigene Betrachtungen oder Vergleiche anzustellen.