Könnte mir jemand das sog. "Mäeutik/ Ananke -Verfahren" von Sokrates erklären?

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Maieutik bzw. Mäeutik (griechisch μαιευτικὴ τέχνη) ist eine Bezeichnung für eine kunstvolle Gesprächsführung, die andere hilft, in ihnen schlummernde Gedanken (mit denn sie gleichsam schwanger sind) hervorzubringen und zu Erkenntnissen zu gelangen. Genau wiedergegebene Gespräche, die Sokartes tatsächlich geführt hat sind nicht aufgezeichnet und es gibt auch keine schriftlichen Werke von ihm. Es gibt eine Darstellung von Sokrates in den Dialogen Platons, die ihn bei so etwas zeigt (die Bezeichnung stammt aus Platon, Theaitetos 148 a – 151 d, 184 b und 210 b – d).

Helmut Meinhardt, Maieutik. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 5: L – Mn. Basel ; Stuttgart : Schwabe, 1980, Spalte 637 gibt an:

„M., d. h. Hebammenkunst nennt Platon die Gesprächsführung des Sokrates, der seine Mitunterredner nicht belehrt, sondern sie durch Fragen anregt, aus sich selbst zu finden, was schon in ihnen ist und in Zweifeln ans Licht drängt, und der die Funde prüft, Scheinhaftes aussondert.“

Die Maieutik ist mehr als bloße Taktik und zielt auch nicht auf rhetorische Überwältigung, um jemanden eine Niederlage zuzufügen (für solche Kunst von Streitgesprächen gab es in der Antike die Bezeichnung Eristik), sondern ist pädagogisch motiviert.

Ananke (ἀνάγκη) bedeutet Notwendigkeit/Zwang. Sie kann insofern eine Rolle spielen, als die Kraft von Argumenten, (logisch) zwingende Widerlegungen und Beweisführungen dazu nötigen, mit den Gedanken eine bestimmte Bahn einzuschlagen.

Die Verwirrung, die auftritt, ist ein Zustand, der zwischen Scheinwissen (Nichtwissen, aber Meinung, etwas zu einem Thema zu wissen) und Wissen steht. Eine falsche Einbildung, in Bezug auf eine Fragestellung wissend zu sein, wird beseitigt und jemand wird sich zumindest seines Wissensmangels bewußt. Dies ist eine günstige Voraussetzung, um ein Bedürfnis nach eingehenderem Durchdenken zu spüren.

Maieutik hilft dabei, Wissen, das jemand in sich trägt (verborgen, weil erst einmal nur der Möglichkeit nach), zum Vorschein zu bringen (emporzufördern) Es werden keine fertigen Kentnisse übermittelt, sondern jemand durch geignete Fragen auf den Weg eigener Erkenntnis gebracht. Es geht um eine Anregung zum Selbstdenken.

Er gibt zwei Arten der Einwirkung;

1) Elenktik (Kunst der Überführung)

2) Protreptik (Kunst der Hinwendung)

Elenktik ist von Elenchos (ἐλεγχος) abgeleitet, das „Beweis(mittel)“, „Überführung“, „Widerlegung“, „Prüfung“, „Untersuchung“ bedeutet. Es kann beim Befragen und Einwänden ein Zustand der Ratlosigkeit eintreten, eine Aporie (ἀπορία).

Eine Anregung zu gründlicherer Beschäftigung mit einer Sache und einer Auseinandersetzung mit einem Problem kann Anstöße geben und jemand zu Einsichten verhelfen, wobei diese selbst zu vollziehen sind.

Sokrates gibt sich manchmal sogar besonders unwissend und möchte etwas erläutert bekommen. Damit lockt er andere dazu, ihre Gedanken in starkem Ausmaß ausdrücklich darzulegen.

Angewendet werden verschiedene Gesprächsbeiträge wie Aufforderung zu genauen Begriffsbestimmungen, Deduktionen, Analogien, zu klarerer Entwicklung von Gedanken herausforderndes Nachfragen, ob etwas so oder anders gemeint war, Überprüfung der Erklärungskraft, Aufzeigen von Implikationen und Konsequenzen, Widerlegung durch Hinweis auf Widersprüche, Herantragen von Gesichtspunkten.

Die Maieutik ist bei Platon mit der Anamnesislehre verbunden. Sie erklärt eine Fähigkeit, die Voraussetzung bei der Maieutik ist. Platon deutet im Dialog „Menon“ Wissen/Erkenntnis (ἐπιστήμη) als Wiedererinnerung (Anamnesis). Wissen ist als etwas in der Seele Angelegtes vorhanden, noch nicht bewußt, sondern latent (verborgen), beruhend auf einem Zugang zur Ideenwelt. Durch Beschäftigung mit einer Sache und Anregungen als Anstoß gelangen Menschen zu einem Verstehen, bei dem sie ihre Meinung begründen können. Platon unterscheidet Erkenntnis (wahr und begründet) von einer bloßen Meinung. Die Vernunft kann Ideen einsehen (wobei eine „Wiedererinnerung“ stattfindet).

Bücher zum Thema Maieutik bei Sokrates:

Michael Landmann, Elenktik und Maieutik : drei Abhandlungen zur antiken Psychologie. Bouvier, Bonn 1950

Bernhard Waldenfels, Das sokratische Fragen : Aporie, Elenchos, Anamnesis. Meisenheim am Glan : Hain, 1961 (Monographien zur philosophischen Forschung ; 26)

Ich halte es es für empfehlenswert, das Verfahren konkret an Texten zu untersuchen und gründlich die Argumentation in einzelnen Dialogen analysierende Untersuchungen heranzuziehen.

Sokrates hat mit anderen Sophisten Grundsteine zur Kunst der Rhetorik gelegt und diese ist inzwischen als eigenständige Kunst weiterentwickelt, kann man lernen. Wie Sokrates seine Gespräche wirklich geführt hat, wissen wir nicht, denn bei Platon ist Sokrates nur eine Kunstfigur in der literarischen Gattung des Dialogs. Und natürlich ist er mit seinen Fragen so angelegt und die anderen Figuren auch mit ihren Antworten, dass zum Schluss das herauskommt, was Platon - nicht Sokrates - uns beibringen will. Ob Du Sokrates wirklich argumentativ hättest standhalten können, wirst Du nie erfahren, denn dann müsstest Du direkt mit ihm diskutieren. Was Du da liest, ist Theater und die Rollen sind festgelegt.

Sokrates gibt die Antworten bereits vor, indem er Suggestiv-Fragen stellt (ja-/nein-Fragen). Insofern ist es nur bedingt Mäeutik ("Hebammenkunst"; herausziehen von ungeahntem Wissen).
Was möchtst du denn konkret wissen?

danke für die antwort. wie kann man zB heute noch solche "Gespräche" anfangen, bzw weiterführen. Gibt es eine Methode aus diesem kreislauf "heraus" zu kommen (wenn man erst einmal als Gegenüber darin verwickelt ist). PS: ich habe mir diese Unterhaltung mehrmals fasziniert durchgelesen (Sokrates, Menon) doch bin ich mir immernoch nicht sicher ob Sokrates erneute Frage/bzw. Antwort vorbereitet oder spontan kam und wenn spontan, dann wie er auf die erneute Gegenfrage gekommen ist.

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@MCKCLK

Die Griechen waren Rhetoriker, in den Schulen wurde das "schöne" Reden beigebracht, insofern hatten sie mehr Übung als wir^^
Dazu ist das Fragment ja wohl keine Aufzeichnung des gesagten, sondern ein Text, geschrieben mit viel Mühe zum Detail und im Sinne des Fragenden.
Als Ausweg gibt es die Möglichkeit den Fragensteller zu unterbrechen oder überraschend eine Frage zu verneinen/bejahen um durch ein geschicktes rhetorische Bild eine andere Ansicht zu vermitteln

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Wahrscheinlich würde Sokrates hier als Troll auflaufen. Das ist eine Art der Quantenphilosophie. Sie offenbart eine Gesetzmäßigkeit des menschlichen Denkens, die seine Absurdität ergründet, was Weisheit ausmacht.