Erblichkeitsschätzungen

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Erblichkeit, auch Heritabilität genannt, betrachtet die Frage inwieweit Merkmale durch den Genotyp bestimmt sind, oder die Frage inwieweit ein Merkmal von der P-Generation auf die F1 übertagen werden kann. Geht man nur von der klassischen Genetik aus (Mendel) scheint die Frage ganz einfach zu beantworten zu sein. (Bei der Risikoabschätzung für Phenylketonurie geht das). Es ist aber so, dass die meisten Merkmale nicht auf so einfache Art von Eltern an die Kinder weitergegeben werden. Wichtige Stichworte dazu sind Polygenie, additive genetische Varianz und nicht additive Geneffekte.

100 % Erblichkeit bedeutet, das das Merkmal allein durch den Genotyp bestimmt wird. Die Schlussfolgerung, dass dann bei 58 % Erblichkeit 58% genetisch sind und 42% durch die Umwelt ausgeprägt werden ist aber nicht korrekt..Isegrimm hat ja schon etwas zur Berechnung dieser Werte gesagt. Es ist ein statistisches Maß, man könnte es auch Schätzwert nennen, der sich auf größere Bevölkerungsgruppen bezieht. In der Tierzucht (z,B. Milchleistung bei Kühen) wird mit Erblichkeitsschätzungen gerechnet. Da ergibt das auch einen gewissen Sinn.

Die Grundlage für die Einschätzung von Erblichkeit von Eigenschaften beim Menschen stammen u.a.aus der Zwillingsforschung (getrennt aufgewachsene eineiige Zwillinge), da gibt es zwar faszinierende Ergebnisse, aber die sind oft nicht seriös. Im übrigen geistern durch die Presse oft Meldungen wie "Gen für Homosexualität entdeckt, Gen für Alkoholismus.. usw." . Das hat sich bislang alles als falsch erwiesen.

Die Epigenetik steckt ja noch in den Kinderschuhen, ich denke, dass ihre Ergebnisse die Betrachtungsweise von Erblichkeit weiter relativieren werden. So einfach ist das nicht.

Was kann man überhaupt mit solchen Angaben zur Erblichkeit anfangen? Gar nichts.

Wer ist geneigt Schlussfolgerungen aus der Erforschung von Erblichkeit zu ziehen? Poliitiker, die sich zurücklehnen und auf die Förderung von Kindern verzichten?

es ist eine große frage, welche ursache(n) merkmale wie erkrankung oder auch intelligenz haben. eine mögliche ursache ist: erbe/ genetik. wenn man also eine zahl für erblichkeitsschätzung hat, dann heisst das, dass genetik 58% des auftretens des merkmals (hier: anorexie) erklärt. da gruppen von menschen sich in ihrem genetischen erbe unterscheiden, muss man auch davon ausgehen, dass solche merkmale in unterschiedlichen menschengruppen auch unterschiedlich stark durch genetik erklärbar sind. wichtig ist natürlich auch der kulturelle einfluss: gerade bei anorexie spielt das schönheitsideal eine rolle, das sich auch wandeln kann z.b. kann ich mir nicht vorstellen, dass in früheren zeiten, wo dick als schön galt, auch nur irgendjemand anorexie hatte.

Wenn man Ähnlichkeiten beurteilt, verwendet man in der Statistik das Streuungsmaß der Varianz in einer Gruppe. Und man ermittelt die Korrelation zwischen zwei interessierenden Gruppen bezüglich eines Merkmals, z.B. Eltern und Kinder ...

Die Statistik kann dann nur aufklären, wieviel Prozent der Varianz z.B. durch genetische Einflüsse oder durch Umwelteinflüsse erklärt werden kann, d.h. welcher Anteil der Unterschiede der Mitglieder einer Gruppe auf den einen und welcher Anteil auf den anderen Einfluss zurückgeht.

Das ist inhaltlich etwas völlig anderes als die Frage zu beantworten, wie stark der Einfluss der Gene ist. Aufgeklärte Varianz ist das einzige, was die Statistik ermitteln kann, es deckt sich aber nicht mit dem umgangsprachlichen Begriff der Erblichkeit. Die allermeisten Aussagen über Erblichkeit oder Nichterblichkeit werden in den Medien falsch wiedergegeben, teils, weil die Kommunikatoren selber nicht wissen, was aufgeklärte Varianzen sind, teils, weil man vom Publikum nicht erwarten kann, dass es vorher einen Crashkurs in Statistik macht.

Denkbar wäre, dass bei den 58% die Konkordanzrate gemeint ist. Das hieße, dass bei eineigen Zwillingen die Wahrscheinlichkeit 58% beträgt, dass der zweite Zwilling an Anorexie erkrankt, wenn der andere auch erkrankt.

Auszug aus dem Buch 'Die Psychotherapie-Prüfung' vom September 2013:

  • Anorexie: Es liegen noch keine abschließenden Befunde zur Erblichkeit vor. Auf einen genetischen Einfluss bei der Entstehung von Anorexie weisen die Unterschiede in den Konkordanzraten bei eineiigen Zwillingen (30-50%) und zweieigen Zwillingen (ca. 10%) hin